Was tun, wenn emotionale Entgleisungen für mehr Aufmerksamkeit sorgen als sachliche Argumente? Bei einem Medienkongress in Stuttgart suchten Führungspersönlichkeiten wie Grünen-Chef Robert Habeck nach Antworten.

Kultur: Tim Schleider (schl)

Stuttgart - Die Zeiten, da das Internet als Raum und Katalysator für wahre Freiheit und Demokratie galten, sind offenbar lange vorbei. „Wir sind alle verführt, in den sozialen Netzwerken aufeinander draufzuschlagen“, sagt Robert Habeck, einer der beiden Bundesvorsitzenden der Grünen. „Weil wir uns bei Facebook und Twitter nicht persönlich gegenübersitzen, stumpfen wir ab. Und wir bekommen für möglichst scharfe Emotionen mehr Reaktion als für sachliche Argumente“, ergänzt Markus Beckedahl, Netzaktivist und Plattform-Chef von Netzpolitik.org. Bettina Schausten, stellvertretende ZDF-Chefredakteurin, macht es konkret: „Sollte das Berliner Gerichtsurteil, demzufolge Regine Künast im Netz schlimmste Schmähungen als freie Meinungsäußerung hinnehmen muss, nicht von weiteren Instanzen korrigiert werden, ist wirklich ein Damm gebrochen.“

 

Es sieht offenbar nicht gut aus für die politische Kultur in Deutschland. Diesen Eindruck bekommt man jedenfalls bei der Podiumsdiskussion „Macht und Medien“, die Joachim Dorfs, der Chefredakteur der „Stuttgarter Zeitung“, am Donnerstag auf dem Medienpolitischen Kongress in den Stuttgarter Wagenhallen moderiert hat. Habeck spricht von einer „Grammatik der sozialen Netzwerke, die uns die politische Debatte verhunzt“. Wobei er spezifiziert: gemeint sind die „sozialen Netzwerke der kommerziellen Plattformen“, also Facebook, Twitter und Co.

Der Kongress wird live auf Youtube übertragen

Ebenso lustig wie bitter hält er dabei auch den Veranstaltern selbst den Spiegel vor: Dieser hochkarätig besetzte Kongress voll spannender Vorträge und differenzierter Beiträge wird live auf Youtube übertragen. „Ja, was glaubt ihr denn, wie viele da draußen uns jetzt gerade zuschauen? 200?“. Wer mit einer Podiumsdiskussion im Netz wirklich die Massen erreichen wolle, „der muss auf die Bühne zwei Nazis setzen und zwei Politiker, die sich dauernd anschreien, und zum Schluss ziehen wir uns noch alle aus“. Mit einem Tweet „Habe heute viel gelernt in Stuttgart, war interessant“ gewinne man ganz sicher keinen neuen Follower.

Die Frage, ob es Alternativen gibt zu den Netzwerk-Plattformen großer amerikanischer Konzerne, die, wie es der Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen am Vormittag ausgedrückt hatte, „sehr konsequent Bilder mit nackten Brustwarzen löschen, aber die Videos von Holocaust-Leugnern unangetastet lassen“, spielte auch in dieser Debatte eine große Rolle. Habeck machte den Vorschlag, einen kleinen Prozentsatz des Rundfunkbeitrags („1 bis 10 Prozent“) für den Aufbau eines „öffentlich-rechtlichen Netzwerks“ abzuzweigen. Schausten dagegen meinte, womöglich dauere ein solcher Prozess zu lange, schließlich dürfe man das Publikum hier und jetzt nicht einfach vergessen. Und womöglich sei auch schon viel gewonnen, wenn die öffentlich-rechtlichen Sender ihre Mediatheken noch offensiver vernetzen könnten.

Das Ziel: eine inklusive Sprache

Aber ist nicht auch ein Problem der öffentlichen Auseinandersetzung, dass in den Medien und der Öffentlichkeit bestimmte politische Fragen und Denkweisen kategorisch ausgeblendet oder sogar angefeindet werden? Matthias Döpfner, der „Springer“-Vorstandschef hat das gerade jüngst in einem „Spiegel“-Interview beklagt: die Debatte in Deutschland sei „politisch-korrekt sediert“. Alle drei Podiumsgäste bestreiten dies. Habeck gestand zwar zu, in manchen Versammlungen könnte es manchmal „etwas entspannter und großzügiger zugehen, wenn jemand mal vielleicht in der Hektik einen falschen Ausdruck benutzt“. Aber er stimmte Markus Beckedahl zu, der meinte, natürlich seien alle Anschauungen erlaubt. „Die Grenze ist erreicht, wenn mit Sprache Menschen oder Gruppen ausgeschlossen und angegriffen werden sollen.“ Das Ziel bleibe eine „inklusive Sprache“, die ein Miteinander statt ein Gegeneinander schaffe.

Die Fernsehfrau Bettina Schausten gab zu, „dass wir selbstkritisch überlegen müssen, ob wir in der Vergangenheit Themen und Probleme von allen nötigen Seiten beleuchtet haben“. Vielleicht müsse man zum Beispiel das „gute alte Format der Talkshow“ neu nutzen, um mehr Menschen mit ihren Meinungen miteinander ins Gespräch zu bringen als bisher. Aber eines war wiederum Robert Habeck an dieser Stelle dann doch wichtig: „Natürlich darf man im Prinzip alles sagen. Aber man muss natürlich auch zu seinem Wort stehen und im Zweifel dafür einstehen.“

Sehnsucht nach analoger Kommunikation

Dorfs erinnerte daran, dass der Berliner Politiker zu Beginn des Jahres seinen Twitter-Account löschte, weil er sich aus gegebenem Anlass über den Ton in den eigenen Tweets erschrocken hatte. Ob Habeck sich nach einer gewissen Zeit der Quarantäne ins Netzwerk zurückmelden wolle? „Nein“, sagte der kurz und kategorisch. Aber ob er damit nicht seine Unterstützer enttäusche und das Feld letztlich der AfD überlasse? „Ich glaube nicht, dass man Twitter braucht, um Wahlen zu gewinnen. Der Ministerpräsident von Baden-Württemberg ist dafür ein gutes Beispiel. Der hat noch nie einen Twitter-Account gehabt.“

Er, Habeck, stelle vielmehr bei vielen Menschen eine gewisse Sehnsucht fest, „zur analogen Kommunikation“ zurückzukehren. Man genieße es, sich in einer Versammlung wieder intensiv und direkt über ein Thema austauschen zu können. Bettina Schausten bestätigte das, führte den Gedanken aber eine Wendung weiter: „Die Menschen haben auch wieder Sehnsucht nach gutem Benehmen und Anstand in der Debatte. Vielleicht müssen wir nach Mitteln suchen, wie wir das in die Netzdebatte einführen können.“

Und Markus Beckedahl antwortete auf die Frage, welche besonderen Fähigkeiten Politiker in den sozialen Netzwerken aufweisen müssen: „Das übliche technische Wissen. Und ansonsten das, was auch im analogen Leben entscheidend ist: Mit den Leuten auf Augenhöhe sprechen.“