Der CDU-Ministerpräsident von Sachsen setzt sich im ARD-Talk in der Russland-Frage vom Parteikurs ab. Und er schildert die Eiseskälte, die Sahra Wagenknecht versprüht.

Passend zum am Montag beginnenden CDU-Parteitag hat sich der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) am Sonntagabend im ARD-Talk von Caren Miosga erneut auf Konfliktkurs mit der eigenen Partei begeben.

 

Das gesetzte Thema war eigentlich die Gewalt gegen Politiker und ob „reden gegen Radikale“ helfe. Spannender wurde es beim Thema des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine, bei dem Miosga den Hauptgast mit Verweis auf eine „Telefonaudienz“ 2021 von ihm mit Russlands Präsident Wladimir Putin unterstellte, er habe „Verständnis für Putin“. Sachsens Ministerpräsident hatte sich auch lange vor dem SPD-Politiker Rolf Mützenich für ein Einfrieren des Konflikts eingesetzt – also ein Christdemokrat als Putin-Versteher?

Wann hört das Sterben auf?

„Wie kommt der Krieg zum Anhalten, und wann hört das Sterben auf?“, so Michael Kretschmer, diese Fragen müsse man doch jetzt stellen. Ja, Russland sei ein „gefährlicher Nachbar“, es habe ein „Riesenverbrechen“ begangen, aber man müsse doch nach zwei Jahren des erfolglosen Waffengangs fragen, wie man damit umgehe, denn das eingesetzte Mittel habe nichts gebracht, man müsse es jetzt mit Diplomatie versuchen. Man könnte für Verhandlungen eine Allianz mit China, Indien oder den Brix-Staaten knüpfen. „Wir brauchen Diplomaten. Aber leider hat unser Land keine Diplomaten.“ Er habe nie gesagt, so Kretschmer, dass ein Quadratmeter des ukrainischen Territoriums – auch nicht auf der Krim – mittlerweile russisch geworden sei: „Mit dieser juristischen Haltung müssen wir in Verhandlungen gehen.“

Von den in der Schweiz angesetzten Friedensgesprächen ohne Beteiligung Moskaus hält er wenig, die folgten vermutlich nur „der Logik von Waffen, Krieg, Sterben“, aber davon müsse man weg. Dass Kretschmer mit seiner Haltung auf Gegenkurs zu Parteichef Merz ist, das ist ihm klar. Die CDU sei eine Volkspartei und er wisse, dass eine Mehrheit in ihr die Dinge nicht so sehe wie er, aber der „Diskurskorridor“ werde in dieser Frage immer breiter.

Mit Wagenknecht nie geredet

Eine abweichende Ansicht kann sich Kretschmer offenbar leisten, bei einem anderen Punkt hält er aber die Reihen zur Parteiführung geschlossen. Es ging um die Frage, warum die Union einen Unvereinbarkeitsbeschluss zur AfD und zur Linkspartei hat, aber nicht gegenüber dem Bündnis von Sahra Wagenknecht (BSW). Dem Parteifreund Daniel Günther, CDU-Ministerpräsident in Schleswig-Holstein, der mit Hinblick auf die Thüringen-Wahl einen offeneren Umgang mit den Linken forderte, mochte Kretschmer nicht folgen: Von außen erteilte Ratschläge seien nicht seine Sache, im Übrigen sollten die Thüringer mal selbst entscheiden, was sie wollen.

Was eine mögliche Koalition der CDU mit dem BSW nach der Landtagswahl in Sachsen – wie in Thüringen auch am 1. September – anbelangte, hielt sich Kretschmer bedeckt: Er beobachte, was sich da im BSW ansammele. Das sei eine kommunistische Plattform, da seien neokapitalistische Unternehmer und Gewerkschaftsfunktionäre dabei: „Ich kann zu der Truppe gar nichts sagen. Ich kenne deren Programm nicht.“ Zu Sahra Wagenknecht hat Kretschmer allerdings ein eher distanziertes Verhältnis. Als er im Bundestag gewesen sei, habe er eigentlich mit jedem gesprochen: „Aber nie mit Sahra Wagenknecht. Wenn die einen Raum betrat, sank die Temperatur um fünf Grad. Mit ihr wollte auch niemand reden.“

Verständnis für die Bauern

Nicht ob, aber wie und was man redet, das färbt aufs politische Umfeld ab. Schon zu Beginn der Sendung hatte Caren Miosga dem sächsischen Ministerpräsidenten – der bei der Berliner Demonstration nach dem Angriff auf den SPD-Politiker Matthias Eckes dabei war – mit mehreren Beispielen unterstellt, dass er vielleicht selbst etwas zur aufgeheizten Situation beitrage: Und zwar mit Worten wie „Diese Bundesregierung zerstört Demokratie, weil sie die Menschen nicht ernst nimmt“ oder „Wir müssen die Grünen loswerden“.

Ob er jetzt nicht nachdenklich werden müsse, so Miosga. Natürlich werde er nachdenklich, so Kretschmer, er sei ja auch zur Demonstration gegangen und habe da Sozialdemokraten und Gewerkschaftlern die Hand gereicht. Aber im gleichen Atemzug verteidigte der Gescholtene dann seine kritisierten Aussagen. Demokratie sei ja nicht nur, alle vier Jahre wählen zu gehen, dazu gehöre auch „einen Diskussionsrahmen“ zu haben und Beteiligung zu ermöglichen. Das sei aber beispielsweise bei den Protesten der Bauern nicht der Fall gewesen, die seien nach ihrer Großdemonstration in Berlin mit einem Ohnmachtsgefühl nach Hause gefahren. Auch seinen umstrittenen Satz, die Wirtschaftspolitik der Ampel-Regierung erinnere an die DDR, rechtfertigte Kretschmer: Es sei doch so, dass die Regierung alle Probleme mit neuen Schulden lösen wolle, das sei bei der DDR auch der Fall gewesen.

„Das ist eine Frechheit“

Vehement wehrte sich Kretschmer gegen den von Miosga mit Zitaten des früheren CDU-Ministerpräsidenten Kurt Biedenkopf unterlegten Vorwurf, die sächsische CDU – sie regiert seit 1990 in Dresden – habe die Gefahr des Rechtsextremismus verkannt und unterschätzt. Das verbitte er sich, so Kretschmer, das sei eine Frechheit.

Die beiden anderen Gäste im Studio sahen das etwas anders. Das Land habe ein „massives Problem“ mit Rechtsextremismus, so die Geschäftsführerin der Hertie-Stiftung, Elisabeth Niejahr, und als es die ersten Anzeichen dafür gab, etwa das Treiben der Neonazis in der Sächsischen Schweiz, habe Biedenkopf („Sachsen sind immun gegen Rechtsextremismus“) dem lange schweigend zugeschaut. Und was die Bildungspolitik und Demokratieförderung in den Schulen anbelange, gebe es in Sachsen „Luft nach oben“.

Erst Schmähungen, dann Mord

Laut einer eingespielten Dimap-Umfrage sind 33 Prozent der Sachsen der Meinung, dass Deutschland „immer mehr einer Diktatur“ werde und 40 Prozent glauben, dass die regierenden Parteien das Volk betrügen. Der Publizist und Historiker Ilko-Sascha Kowalczuk, ein Experte für die SED, stellte eine mangelnde Debattenkultur in Ostdeutschland fest. Wo solle die denn auch herkommen, die DDR-Bürger seien mit der Wende oft aus der Bahn geworfen worden, sie hätten gar keine Zeit gehabt, die „anstrengende“ Regierungsform der Demokratie zu lernen – Diktatur gehe halt einfacher.

Sowohl Kowalczuk als auch Niejahr stellen im konservativen Milieu – auch in der Union – eine Anbiederung an rechte Sprachformeln und Methapern fest, etwa wenn CSU-Chef Markus Söder die Grünen als „Hauptgegner“ ausrufe oder bei Bauernprotesten Galgen mitgeführt werden und das von der Polizei geduldet wird. „Der rechte Sprech rückt in die Mitte der Gesellschaft“, diagnostizierte Kowalczuk. Eine gefährliche Gratwanderung. Niejahr erinnerte an die Ermordung des Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke (CDU), der Schmähungen vorausgegangen seien.