Vor fast 32 Jahren wurde Ötzi, die Mumie aus dem Eis, entdeckt. Leipziger Forscher haben das Aussehen des berühmtesten Bewohners des Tiroler Ötztals rekonstruiert. Und sind zu erstaunlichen Ergebnissen gekommen. Denn Ötzi war dunkelhäutig und kahl.

Wochenend-Magazin: Markus Brauer (mb)

Glatze, dunkle Augen, sehr dunkle Haut: Eine Genomanalyse – also eine Untersuchung des Erbguts – verrät, wie der Gletschermann Ötzi zu Lebzeiten aussah.

 

Die Ahnenlinie des Mannes vom Hauslabjoch, der um 3250 v. Chr. im Ötztal in den Tiroler Alpen lebte und dessen Todeszeitpunkt auf das Jahr 3258 +/- v. Chr. datiert wird, reicht demnach direkt zurück zu jenen ersten Bauern, die vor etwa 8000 bis 9000 Jahren aus dem Nahen Osten nach Europa kamen.

Das berichtet ein internationales Forschungsteam von Archäogenetikern aus Deutschland, Italien und Österreich in einer Studie, die in der aktuellen Ausgabe des Fachblatts „Cell Genomics“ erschienen ist. Die Archäogenetik befasst sich mit der Analyse von Erbmaterial von Menschen sowie Tieren und Pflanzen, um Erkenntnisse über die Evolution zu gewinnen.

Wie sah die Welt von Ötzi aus?

Ötzi ist die älteste bekannte natürliche Mumie eines Menschen. Sie wurde vor fast 32 Jahren am 19. September 1991 beim 3208 Meter hohen Tisenjoch in den Ötztaler Alpen oberhalb des Niederjochferners gefunden. Das abschmelzende Eis hatte die Überreste freigelegt. Die Fundstelle ist eine Felsmulde, die einst von Gletschereis bedeckt war.

Unsere Karte zeigt die Bergwelt, in der sich vor fast 5300 Jahren das Leben und Sterben des Mannes aus dem Eis abspielte.

Woher stammen Ötzis Vorfahren?

Die Sequenzierung des Erbguts zeigt, dass das Genom von Ötzi zu mehr als 91 Prozent von anatolischen Zuwanderern stammt. Diese frühen Ackerbauern kamen ab vor etwa 9000 Jahren aus dem Nahen Osten und brachten die bis dahin unbekannte Landwirtschaft nach Europa. Die übrigen knapp neun Prozent des Genoms stammen von europäischen Wildbeutern.

Das Forschungsteam schließt daraus, dass Ötzi aus einer relativ isolierten Bevölkerung in den Alpen stammt, die nur wenig Kontakt zu anderen europäischen Gruppen hatte. „Genetisch sieht er so aus, als seien seine Vorfahren direkt aus Anatolien gekommen“, sagt Ko-Autor Johannes Krause, Direktor am Leipziger Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie.

So sieht der rekonstruierte Ötzi im Archäologiemuseum in Bozen aus. Foto: Sudtiroler Archäologiemuseum/Ochsenreiter/dpa
Nachbildung Ötzis im Bozener Museum. Foto: Südtiroler Archäologiemuseum/Imago/stock&people
Das Bild zeigt die originale Mumie des Gletschermanns Ötzi im Bozener Museum. Foto: Marco Samadelli-Gregor Staschitz/Südtiroler Archäologiemuseum/Eurac/dpa
Ein Replikat des 1991 in den Ötztaler Alpen entdeckten Steinzeitmenschen Ötzi liegt im Museum für Naturkunde in der Ausstellung „Ötzi. Der Mann aus dem Eis“ in einer Nachbildung einer Kältekammer. Foto: Klaus-Dietmar Gabbert/dpa
Eine Genomanalyse verrät, wie der Gletschermann Ötzi zu Lebzeiten aussah. Foto: Imago/stock&people
Die Mumie wurde am 19. September 1991 beim 3208 Meter hohen Tisenjoch in den Ötztaler Alpen oberhalb des Niederjochferners gefunden. Foto: Imago/stock&people
Ein Steindenkmal am Hauslabjoch markiert heute die Fundstelle Foto: Imago/stock&people
Das Ötzi-Denkmal Foto: Imago/Volker Preußer

Wie sah Ötzi aus?

Ötzi hatte der Gen-Analyse zufolge recht dunkle Haut – wesentlich dunkler als der Teint heutiger Südeuropäer. Die Färbung der Mumienhaut geht laut Studie nicht auf ein Nachdunkeln über die Jahrtausende im Eis zurück.

Auch der Umstand, dass an der Mumie kaum Kopfhaar gefunden wurde, ist offenbar nicht durch diese Lagerung verursacht worden. Stattdessen neigte der ursprünglich dunkeläugige und schwarzhaarige Ötzi genetisch bedingt stark zu Haarausfall und hatte wohl eine fortgeschrittene Glatze.

Nicht nur Ötzi sah anders aus als bisher angenommen wurde. Auch die alpenländische Bergwelt, durch die der Steinzeitmensch vor rund 5300 Jahren kraxelte, war weit weniger mit Eis und Gletschern bedeckt als heute. Das belegen Eisbohrkern-Analysen an der 3518 Meter hohen Weißseespitze im Tiroler Kaunertal in den Ötztaler Alpen, die Forscher ausgewerteten und im Fachblatt „Scientific Reports“ veröffentlichten.

Wann begannen die Ostalpen zu vereisen?

Demnach vereiste die zwölf Kilometer entfernte Weißseespitze erstmals vor rund 5900 Jahren. Ötzi lebte vor rund 5300 Jahren. Das Tisenjoch, eine Senke des Schnalskamms zwischen der Fineilspitze und dem Similaun, verbindet das Schnalstal mit dem Ötztal. Der Fundort liegt rund 300 Meter tiefer als der Gipfel der Weißseespitze.

Ob Ötzi im Eis starb oder erst später davon umschlossen wurde, lässt sich heute nicht mehr mit Sicherheit bestimmen. Das dortige Eis wurde nie datiert und ist inzwischen geschmolzen. Womöglich vereiste dieses tiefer gelegene Gebiet erst Jahrhunderte später und war damit zu Ötzis Todeszeitpunkt eisfrei.

Die Fundstelle Ötzis am Hauslabjoch inmitten der Ötztaler Bergwelt im Winter. Foto: Imago/Südtirolfoto
Ötzis Denkmal an der Fundstelle am Hauslabjoch. Foto: Imago/Volker Preußer
Blick auf das Tisenjoch beim Abstieg von der Finailspitz, Fineilspitze im Schnalstal, hinten der Similaun und die Hintere Schwärze Foto: Imago/stock&people
Ein Wanderer beim Aufstieg zur Finailspitz im Schnalstal durch das Tisental, hinten der Similaun und die hintere Schwärze, unten das Tisenjoch und das Hauslabjoch mit der Fundstelle von Ötzi Foto: Imago/stock&people

Wie sah die Bergwelt zu Ötzis Lebzeiten aus?

Anhand von Eiskernbohrungen an der nahen Weißseespitze hatte das Team um Pascal Bohleber von der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) in Innsbruck das damalige Klima in der Region untersucht. Die Analyse von eingeschlossenem Kohlendioxid (CO2) zeigt, dass die unterste Eisschicht auf dem Berg etwa 5900 Jahre alt ist. Demnach war die Spitze vorher wohl eisfrei, und der dortige Gletscher entstanden erst infolge einer Abkühlung, die damals begann.

Damit zeigt sich, dass natürliche Klimaschwankungen, welche die vom Menschen verursachte Klimaerwärmung verstärken können, enorme Auswirkungen auf die Gletscher auch in hohen Lagen haben können. So waren die Gipfel der Ostalpen in den vergangenen 10 000 Jahren schon einmal eisfrei.

Die Klima-Ergebnisse der Studie decken sich mit anderen Untersuchungen aus dem Alpenraum. „Wir wissen zum Beispiel durch vom sich zurückziehenden Eis freigelegte Bäume, die datiert werden konnten, sowie aus anderen Klimaarchiven, dass es vor etwa 6000 Jahren ein sogenanntes Klima-Optimum gab“, sagt Pascal Bohleber. Die Eiskernbohrungen legten nahe, dass damals auch hoch gelegene Gipfel in den Ostalpen eisfrei waren.

Will das Bozener Museum Ötzis Rekonstruktion anpassen?

Die Gletschermumie liegt im Südtiroler Archäologiemuseum (Museo Archeologico dell’Alto Adige) in Bozen, das auch eine Rekonstruktion des lebenden Ötzis mit heller Haut und langen Haaren enthält. Und das soll auch so bleiben

„Wir werden die Rekonstruktion nicht gleich anpassen“, teilt Pressesprecherin Katharina Hersel mit. „Während die Erbanlagen eindeutig analysierbar sind, ist das Forschungsteam jedoch sehr zurückhaltend, was die Wahrscheinlichkeit anbelangt, ob, wann und in welchem Ausmaß sich diese Erbanlagen zu Lebzeiten eines Menschen zeigen.“

Info: Von Afrika nach Europa

Einwanderungswellen
Bis heute ist umstritten, wann und in wie vielen Ausbreitungswellen der moderne Mensch von Afrika und dem Nahen Osten ausgehend Europa besiedelte. Einem internationalen Forscherteam unter Leitung von Wissenschaftlern der Universität Tübingen und des Max-Planck-Instituts (MPI) für Menschheitsgeschichte in Jena war es im Jahr 2016 gelungen, die Genome von 51 frühen europäischen Jägern und Sammlern aus der Zeit von vor 40 000 bis 7000 Jahren zu rekonstruieren. Demnach hat es mehrere große Einwanderungswellen gegeben, die sehr unterschiedliche Spuren im Erbgut des heutigen Europäers hinterlassen haben.

Vor 42 000 Jahren:
Die erste Einwanderungswelle moderner Menschen gen Europa erfolgte vor circa 42 000 Jahren. Zu ihnen gehörte auch ein Mann, der vor rund 40 000 Jahren lebte und dessen Knochen im Jahr 2002 in der Oase Höhle („Peștera cu Oas“) in Südwest-Rumänien gefunden wurden. Es sind die ältesten Überreste des modernen Menschen, die jemals in Europa entdeckt wurden. Die Vorfahren dieses Individuums hatten sich erst kurz zuvor mit dem Neandertaler vermischt. Seine Gruppe trug aber keinen genetischen Beitrag zu den heutigen Europäern bei.

Vor 40 000 bis 31 000 Jahren
Die Menschen in der darauffolgenden Aurignacien-Kultur (40 000 bis 31 000) fertigten die ersten Musikinstrumente und Kunstwerke wie die berühmte Venus aus dem Hohle Fels. Sie wanderten wahrscheinlich aus dem Nahen Osten entlang der Donau nach Zentraleuropa ein.

Vor 14 000 Jahren
Die nächste große Wanderungsbewegung erfolgte vor 14 000 Jahren aus dem Nahen Osten. Es ist nicht genau bekannt, welcher Kultur diese Menschen zugeordnet werden müssen.

Vor 9000 Jahren
Um 7000 v. Chr. kamen Menschen aus dem Nahen Osten, die bereits Ackerkultur betrieben. Aus Jäger und Sammlern werden Bauern und Viehzüchter (sogenannte Neolithische Revolution). Es waren die Vorfahren von Ötzi, dem Mann aus den Tiroler Bergen.

Vor 5000 Jahren
Vor etwa 3000 Jahren kam es zu einer massiven Einwanderung aus den zentralasiatischen Steppen. Die lokale Bevölkerung Mitteleuropas wurde kurzfristig fast komplett verdrängt.