Nach dem friedlichen Protestzug mit 300 000 Teilnehmenden durch London am Samstag ist wieder ein politischer Streit entbrannt. Der britischen Innenministerin wird dabei vorgeworfen, Spannungen angefacht und Rechtsextremisten aufgestachelt zu haben.

Korrespondenten: Peter Nonnenmacher (non)

Zu erneuten Spannungen zwischen Regierung und Polizei ist es am Sonntag in London gekommen, nachdem Premierminister Rishi Sunak seine Drohung wiederholte, er werde den Londoner Polizeipräsidenten für dessen Genehmigung eines propalästinensischen Protestmarschs, der am Samstag stattfand, „haftbar“ machen.

 

Sunak will aus diesem Grund Polizeichef Sir Mark Rowley diese Woche zur Rede stellen – obwohl der Zug durch die Londoner Innenstadt, bei dem 300 000 Menschen einen Waffenstillstand für Gaza verlangten, durchweg friedlich verlief.

Der Protest gegen Israels Vorgehen in Gaza war einer der größten der britischen Geschichte. Demonstranten aus allen Teilen des Landes, darunter etliche Familien mit Kindern, waren angereist. Zum vereinbarten Ende des Marschs am Spätnachmittag hatte die Polizei keine einzige Verhaftung von Marsch-Teilnehmern gemeldet.

Handgreiflich wurden Hunderte rechtsextremer „Gegendemonstranten“

Eine kleine, separate Gruppe von Demonstranten wurde aufgegriffen, weil sie trotz polizeilicher Warnungen Masken trugen und Feuerwerke entzündeten. Und einen im Bahnhof Victoria aufgetauchten Minister, der sich von Demonstranten bedrängt fand, brachte die Polizei in einem Streifenwagen in Sicherheit. Eine Anzahl von Demonstranten, die auf dem Hauptmarsch der Polizei zufolge antisemitische Plakate mit sich führten oder Hamas-Stirnbänder trugen, sollen außerdem nach Ermittlung ihrer Identität festgenommen werden. Fünf solcher Fälle waren am Sonntag bekannt.

Unmittelbar handgreiflich wurden dagegen Hunderte rechtsextremer „Gegendemonstranten“, die nach eigenen Worten aufmarschiert waren, um das Kriegerdenkmal in Whitehall „vor Islamisten zu schützen“. Sie gingen dort gegen Polizeibeamte vor, warfen mit Steinen und Flaschen und lauerten später entlang der weitab von Whitehall verlaufenden Demo-Route in Pubs und an Straßenecken den propalästinensischen Demonstranten auf. Über hundert der rechten Aktivisten, die sich mit England-Fahnen und nationalistischen Parolen Bahn zu brechen suchten, wurden im Laufe des Tages von der Polizei festgenommen. Neun Polizisten wurden verletzt, zwei mussten ins Krankenhaus eingeliefert werden.

Es sei zu „extremer Gewalt“ von Rechtsradikalen gegenüber Polizeibeamten gekommen

„Die extreme Gewalt“ dieser Rechtsradikalen gegenüber Polizeibeamten sei „ganz außergewöhnlich und äußerst besorgniserregend gewesen“, hieß es dazu aus dem Polizei-Präsidium. Leider habe auch „eine Woche intensiver Debatte über Proteste und polizeiliches Vorgehen“ zu zusätzlicher Spannung beigetragen. Gemeint war damit, dass Innenministerin Suella Braverman die Demonstranten vorab als „propalästinensische Meute“ beschimpft, von „Hass-Märschen“ gesprochen und der Polizei unzureichenden Willen zum Einschreiten gegen „linke Gruppen“ vorgeworfen hatte. Sie und Sunak hatten ein Verbot der Kundgebungen gefordert, die der Premier „respektlos“ fand am Armistice-Wochenende, zum jährlichen britischen Gedenken an die Kriegstoten. Auch nach den Kundgebungen fand Sunak, dass seine Sorge berechtigt gewesen sei, da man „vollkommen unakzeptable Szenen“ erlebt habe, für die „rechte Schägertypen und Hamas-Sympathisanten“ gleichermaßen verantwortlich gewesen seien. Dagegen erklärte Londons Labour-Bürgermeister Sadiq Khan, das „Chaos“ am Kriegerdenkmal gehe aufs Konto von Braverman, die die Spannungen angefacht und die Rechtsextremisten aufgestachelt habe: „Das war ein direktes Resultat der Worte der Innenministerin.“

Tory-Abgeordnete raten dem Regierungschef zur Entlassung von Braverman

Tatsächlich haben am Wochenende nach Berichten aus der Regierungsfraktion viele Tory-Abgeordnete dem Regierungschef zur Entlassung von Braverman geraten. Moderate Torys und Oppositionsparteien verlangen ihre Ablösung. Ein Gutteil der Tory-Rechten hält allerdings zu ihr.

Vor immer neuen Problemen sieht sich auch Sir Keir Starmer, der Vorsitzende der Labour Party und Oppositionsführer in Westminster. Starmer weigert sich bisher, nach einem Waffenstillstand in und um Gaza zu rufen, wie ihn viele seiner Parteigänger verlangen. Für Mittwoch hat die Schottische Nationalpartei im Unterhaus eine Abstimmung über die Forderung nach einem Waffenstillstand angekündigt.