Zwei Frachter stoßen in der Nordsee zusammen. Eine dramatische Suchaktion läuft an, um mehrere schiffbrüchige Seeleute zu retten. Vier Menschen werden noch vermisst. Für die Retter ist es ein Wettlauf mit der Zeit - unter widrigen Wetterbedingungen.

Die Kollision von zwei Frachtern auf der Nordsee vor Helgoland hat eine dramatische Suchaktion ausgelöst und mindestens einen Seemann das Leben gekostet. Rettungskräfte konnten zwei Seeleute aus der zwölf Grad kalten Nordsee retten, nachdem einer der Frachter am Dienstagmorgen infolge des Zusammenstoßes gesunken war, wie das Havariekommando in Cuxhaven mitteilte. Bei kräftigem Wind, Wellen mit bis zu drei Metern Höhe und schlechter Sicht suchten Einsatzkräfte mit mehreren Schiffen nach den Schiffbrüchigen. „Wir tun derzeit alles Menschenmögliche, um weitere Menschenleben zu retten“, sagte Robby Renner, Leiter des Havariekommandos.

 

Bei völliger Dunkelheit stießen gegen 5.00 Uhr am Dienstagmorgen das Massengutschiff „Polesie“ und das Küstenmotorschiff „Verity“ in der Deutschen Bucht zusammen. Fotos vom Unglücksort zeigten, wie Lichtkegel von Suchscheinwerfer des Kreuzfahrtschiffes „Iona“, das zufällig in der Nähe unterwegs war, kurz nach der Havarie am frühen Morgen die dunkle Wasseroberfläche an der Unglücksstelle absuchten.

Gegen 5.20 Uhr sei das Signal der „Verity“ verloren gegangen, sagte Michael Ippich von der Deutschen Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger (DGzRS). „Man musste davon ausgehen, dass zu diesem Zeitpunkt das Schiff gesunken ist.“ Gut eine Stunde später sei der erste Seenotrettungskreuzer von Helgoland am Unglücksort gewesen. Kurz darauf wurden erste Wrackteile gefunden.

Zwei Seeleute wurden aus dem Wasser gerettet und kamen in Kliniken

Zwei Seeleute wurden aus dem Wasser gerettet und kamen in Kliniken. Vier Seeleute der insgesamt siebenköpfigen Besatzung der „Verity“ wurden vermisst - für ein Besatzungsmitglied kam jede Hilfe zu spät.

Der Unfall ereignete sich rund 22 Kilometer südwestlich der Hochseeinsel Helgoland und 31 Kilometer nordöstlich der ostfriesischen Insel Langeoog. Wie es dazu kam, ist noch unklar.

Die unter der Flagge Großbritanniens fahrende 91 Meter lange „Verity“ hatte laut dem Havariekommando sogenannte Stahl-Coils geladen, also Rollen aus großen Blechen. Das Schiff der britisch-niederländischen Reederei Faversham Ships war auf dem Weg von Bremen nach Immingham, einem Hafen an der englischen Nordseeküste. Es hatte auch rund 1300 Kubikmeter Dieseltreibstoff an Bord. Deswegen rückte auch ein Mehrzweckschiff zu der Unfallstelle aus, um möglichen ausgelaufenen Treibstoff vom Wasser aufnehmen zu können.

Der andere Frachter, die mit 190 Metern Länge größere „Polesie“, war unter der Flagge der Bahamas auf dem Weg von Hamburg nach La Coruña in Spanien unterwegs. 22 Seeleute waren an Bord des Frachters, der zu der polnischen Reederei Polsteam Group gehört. Diese Seeleute befinden sich laut den Rettungskräften unverletzt auf ihrem Schiff.

Das Havariekommando zog in Betracht, dass die Vermissten in dem Wrack des gesunkenen Frachters „Verity“ eingeschlossen sein könnten. Taucher versuchten deshalb, am Nachmittag mögliche Lebenszeichen der Besatzung am Wrack in einer Tiefe von etwa 30 Metern zu finden - jedoch ohne Erfolg. „Die Taucher konnten keine Erkenntnisse gewinnen“, teilte die Behörde am Abend mit.

Sechs Seenotrettungskreuzer der DGzRS suchten nach den Vermissten

Für die Aktion stand laut den Rettern nur ein kurzes Zeitfenster zur Verfügung, nämlich das sogenannte Stauwasser zwischen Ebbe und Flut, wenn die Strömung schwächer ist. Doch die Bedingungen unter Wasser waren schwierig. Die Sichttiefe am Wrack betrage gerade einmal ein bis zwei Meter. Eine einsetzende starke Strömung habe zudem weitere Versuche zunächst unmöglich gemacht, teilte das Havariekommando mit. Ob und wann es weitere Tauchgänge geben könnte, war unklar.

Solange es eine Chance gibt, Überlebende zu finden, wollen die Rettungskräfte die Suche nicht einstellen. Wind, Wellen und Kälte erschwerten aber die Rettungsarbeiten. „Für die Einheiten vor Ort ist es sicherlich komplex, weil die Bedingungen herausfordernd sind“, sagte DGzRS-Sprecher Christian Stipeldey. Himmel und See hätten bei der herbstlichen Witterung nahezu die gleiche Farbe. Es sei dann schwierig, Vermisste auf See zu erkennen.

Niemand wisse aber, wie die vermissten Seeleute ausgerüstet seien, sagte der Sprecher. Immer wieder würden Menschen auch nach längerer Zeit lebend in kaltem Wasser gefunden. Laut den Seenotrettern könnten Menschen bei Wassertemperaturen um zwölf Grad nach Erfahrungswerten bis zu 20 Stunden überleben - es hänge aber auch von der Kondition und der Bekleidung, etwa einer Rettungsweste, der Verunglückten ab.

Sechs Seenotrettungskreuzer der DGzRS suchten am Unglücksort nach den Vermissten. Auch der Notschlepper „Nordic“ und weitere Schiffe von Behörden waren im Einsatz. Die Deutsche Marine beteiligte sich mit einem SAR-Rettungshubschrauber. Auch das Kreuzfahrtschiff „Iona“ der Reederei P&O Cruises, sei gebeten worden, am Unglücksort zu bleiben. Schiffbrüchige könnten an Bord medizinisch versorgt werden, hieß es.

Bilder des Erkundungsschiffs „Atair“ vom Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie zeigten, dass das Wrack nicht auseinandergebrochen sei. Renner kündigte an, das verbleibende Tageslicht für die Suche zu nutzen. Alle Arbeiten, die bei Dunkelheit geschehen könnten, sollten nach Anbruch der Dunkelheit fortgesetzt werden.

Havariekommando ließ Seegebiet von einem Sensorflugzeug überfliegen

Der Zusammenstoß der beiden Frachter ereignete sich in einem der meistbefahrenen Seegebiete weltweit - denn in der Deutschen Bucht verlaufen zwei international eingerichtete Schifffahrtsstraßen in Ost-West-Richtung, wie eine Sprecherin des Bundesamtes für Seeschifffahrt und Hydrographie (BSH) sagte. Dabei handelt es sich um das Verkehrstrennungsgebiet (VTG) Terschelling-German Bight (Deutsche Bucht) vor den Ostfriesischen Inseln sowie das weiter nördlich liegende Verkehrstrennungsgebiet German Bight Western Approach (Deutsche Bucht West-Ansteuerung). Querend zu den beiden Verkehrstrennungsgebieten verläuft der Schiffsverkehr zu den deutschen Flussrevieren Ems, Jade/Weser und Elbe sowie auch zu den Offshore-Windparks in der deutschen Nordsee.

Das Havariekommando in Cuxhaven, das die Gesamteinsatzleitung übernahm, ließ das Seegebiet von einem Sensorflugzeug überfliegen, um nähere Erkenntnisse zu bekommen. Es ist die Behörde, die in Deutschland für die maritime Notfallvorsorge und das Unfallmanagement auf Nord- und Ostsee zuständig ist.

Die Frachter-Kollision weckte Erinnerungen an eines der größten Schiffsunglücke in der deutschen Geschichte - fast auf den Tag genau vor 25 Jahren. Am 25. Oktober 1998 war der italienische Frachter „Pallas“ auf der Nordsee unterwegs, als die Holzladung vor der dänischen Nordseeküste in Brand geriet. Das Schiff trieb führerlos in deutsche Gewässer und strandete vor der Insel Amrum. Es kam zu einer großen Ölverschmutzung, in deren Folge viele Vögel starben.