Dietrich Fischer-Dieskau war ein Jahrhundertsänger – dazu Dirigent, Autor, Maler und Lehrer. Er ist kurz vor seinem 87. Geburtstag verstorben.

Starnberg - Im Sommer 1949 traf der 24-jährige Dietrich Fischer-Dieskau in Salzburg den Dirigenten Wilhelm Furtwängler. Der Bariton wollte ihm Brahms’ „Vier Ernste Gesänge“ vorsingen. Der „Jupiter“ – so der ehrfürchtige Beiname – war skeptisch, als er die Noten auf dem Klavierpult sah; von einem Sängerfrischling wollte er diese tiefgründige Musik nicht unbedingt hören. Fischer-Dieskau erinnerte sich: „Er warf einen kurzen Blick darauf und setzte sich, um sogleich zu spielen. Ohne Unterbrechung musizierten wir mit steigender Begeisterung, und ich genoss seinen so besonders singenden Klavierton. ,Danke‘, war Furtwänglers ganzer Kommentar.“

 

Was der Sänger nicht erzählt, berichtet die Frau des Dirigenten. Nach der Begegnung sei Furtwängler lange ziemlich still gewesen und habe dann gesagt: „Unglaublich, dass ein so junger Mensch, schon so genau weiß, wie man das Musizieren muss. Ich wusste es damals auch.“ Da hatten sich zwei Frühreife gefunden. Bis zu Furtwänglers Tod fünf Jahre später gab es einige gemeinsame Projekte. Von dem Sänger ließ sich der Dirigent, an sich kein ausgesprochener Freund der Musik von Gustav Mahler, anstiften, ihn bei den „Liedern eines fahrenden Gesellen“ zu begleiten und für Schallplatte zu produzieren: eine der vielen meisterhaften Aufnahmen des Baritons.

Ein großer Sänger mit wiedererkennbarer Stimmfarbe

Dietrich Fischer-Dieskau war eine Jahrhundertfigur, ein großer Sänger allein durch seine charakteristische, leicht wiedererkennbare Stimmfarbe. Und er ist einer der fleißigsten und produktivsten Musiker gewesen, neugierig hat er keine Epoche ausgelassen, von frühbarocker Musik bis zu Zeitgenössischem von Aribert Reimann hat er gesungen, was von seiner Stimme zu bewältigen war – und manchmal darüber hinaus. Im Kern ein lyrischer Bariton, in jungen Jahren weich und rund verblendet, hat Fidi, wie er genannt wurde, in der Oper auch Partien gesungen, die seinem Stimmtypus, seinem Temperament entgegenstanden: Rigoletto, Scarpia in „Tosca“, Hans Sachs in den „Meistersingern“. Er wollte es wissen. Manchmal glichen diese Rollenporträts Studienratsprosa. Seinem seit den sechziger Jahren weltweit strahlenden Ruhm hat das nicht geschadet. Als Mr. Lied war er da längst eine Institution: Keiner hat mehr für diese kleine, intime Kunst geleistet. Rund 3000 Lieder von rund einhundert Komponisten hat er aufgenommen, hat Vergessenes ausgegraben und die großen Werke, wie Schuberts „Winterreise“, hundertfach umkreist.

Nach 45 Jahren beendete Fischer-Dieskau 1993 seine Sängerkarriere, machte ansonsten tatkräftig weiter: Denn neben dem Musiker gab es den Buchautor (über Debussy, Hugo Wolf, Goethe, Furtwängler und manches mehr), den Dirigenten, Maler und Lehrer mit namhaften Schülern. Zu ihnen gehören Thomas Quasthoff, Christine Schäfer und Christian Gerhaher.

Charmanter Disput mit Otto Klemperer

Fischer-Dieskau war ein charmanter Bildungsbürger, ein ernsthafter Besserwisser. Da gab es zum Beispiel mal bei Proben zur „Matthäuspassion“ mit dem Dirigenten Otto Klemperer Meinungsverschiedenheiten über ein Tempo. Danach erzählte der Sänger von einem Traum, in dem Bach seine Tempi gelobt habe. Anderntags erwiderte Klemperer: „Heute Nacht habe ich auch von Bach geträumt. Aber der kennt Sie gar nicht!“ Wenn sich der große Otto da mal nicht geirrt hat. Gestern ist Dietrich Fischer-Dieskau kurz vor seinem 87. Geburtstag in Berg bei Starnberg gestorben.