Die Zentrale Stelle zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen erhebt schwere Vorwürfe gegen zwei ehemalige Auschwitz-Wachmänner. Die Justiz steht womöglich vor spektakulären Prozessen.

Nachrichtenzentrale: Tim Höhn (tim)

Ludwigsburg - Die Zentrale Stelle zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen hat ein umfangreiches Ermittlungsverfahren gegen einen ehemaligen Auschwitz-Aufseher abgeschlossen. Die Akten zu dem Fall wurden bereits an die zuständige Staatsanwaltschaft in Weiden (Oberpfalz) weitergeleitet, die nun entscheiden muss, ob sie Anklage erhebt. Auch in Baden-Württemberg könnte demnächst ein spektakulärer Kriegsverbrecherprozess in Gang kommen. „In zwei Monaten werden wir ein zweites Verfahren abgeben“, sagt Kurt Schrimm, der Leiter der Zentralen Stelle in Ludwigsburg. In diesem Fall ist voraussichtlich die Stuttgarter Staatsanwaltschaft zuständig. Die Vorwürfe richten sich ebenfalls gegen einen Wachmann im KZ Auschwitz-Birkenau.

 

Die Beschuldigten sollen beim Massenmord geholfen haben

Dass gerade jetzt Bewegung in die beiden Fälle kommt, ist kein Zufall. Im Mai 2011 hat das Münchner Landgericht den KZ-Aufseher John Demjanjuk wegen Beihilfe zum Mord in Tausenden Fällen zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt. Das Urteil gilt als wegweisend, weil Demjanjuk nicht wegen einer konkreten Einzeltat, sondern als „Teil der Mordmaschinerie“ schuldig gesprochen wurde. Das wiederum eröffnete den sieben Fahndern der Zentralen Stelle neue Perspektiven. Sie begannen, nach weiteren Teilen der Nazi-Mordmaschinerie zu suchen – nach Männern also, die bislang davon ausgehen konnten, unbehelligt zu bleiben.

Die Prüfung der Ermittlungsergebnisse aus Ludwigsburg werde mehrere Wochen dauern, erklärt ein Sprecher der Weidener Staatsanwaltschaft. Die Zentrale Stelle geht davon aus, dass der Beschuldigte 1942 freiwillig in die Waffen-SS eintrat, nach Auschwitz versetzt wurde und von April 1944 an im Vernichtungslager Birkenau diente. Dort soll er als Wachmann zu Tausenden Tötungen „einen wesentlichen Tatbeitrag geleistet“ haben. Durch seine Tätigkeit beim Absperren der Rampe, beim Wachdienst um das Lager und beim Dienst auf den Wachtürmen habe er einen „kausalen Beitrag zu den als Mord zu qualifizierenden Tötungsverbrechen geleistet“.

Nach Informationen der Stuttgarter Zeitung lebt der 87-Jährige in den USA und ist mittlerweile amerikanischer Staatsbürger, was die Arbeit der Staatsanwaltschaft nicht einfacher machen wird. Auch die Auslieferung wäre mit Hürden verbunden. Anders ist dies beim zweiten Beschuldigten, für den dann die Stuttgarter Staatsanwaltschaft zuständig sein dürfte. Die Vorwürfe sind ähnlich, aber der Mann lebt in Deutschland. Wie langwierig Auslandsermittlungen sein können, zeigt ein weiterer Fall aus Stuttgart. Bei den Beschuldigten handelt es sich um Männer, die an einem Massaker in Italien beteiligt gewesen sein sollen.

Die Zentrale Stelle bearbeitet aktuell 20 offene Fälle

Am 12. August 1944 hatten Mitglieder einer SS-Division in dem toskanischen Ort Sant’Anna di Stazzema 560 Zivilisten ermordet, überwiegend Frauen und Kinder. Die Zentrale Stelle leitete ihre Erkenntnisse bereits vor zehn Jahren nach Stuttgart weiter, seitdem befasst sich eine Ermittlungsgruppe des Landeskriminalamts damit. „Wir gehen davon aus, dass wir das Verfahren Ende dieses Jahres abschließen können“, sagt Claudia Krauth, die Sprecherin der Staatsanwaltschaft. Ob die Ermittlungen in einen Prozess münden, ist unklar. Die Herausforderung in solchen Verfahren ist stets, dass den Beschuldigten ein Mord nachgewiesen werden muss. Dazu müssen die Täter aus niederen Beweggründen oder grausam gehandelt haben. Alles andere wäre ein Totschlag – und verjährt.

Die stetig kleiner werdende Zahl an Zeugen wiederum erschwert die Ermittlungen. „Aber die Arbeit wird uns so bald nicht ausgehen“, sagt Kurt Schrimm, der bald das Holocaust Memorial Museum in Washington besuchen und dort neue Akten sichten wird. 20 offene Fälle bearbeitet die Zentrale Stelle aktuell. „Das können schlagartig mehr werden“, sagt Schrimm. „Manchmal ist es ein Stochern im Nebel.“ Auch in Südamerika, wohin viele NS-Täter geflüchtet sind, existieren Archive, die noch ausgewertet werden müssen. Aber die Zeit wird knapp, denn die biologische Lösung rückt näher. „Dass die Täter sterben, bevor sie zur Rechenschaft gezogen werden können, ist für uns das Schreckgespenst schlechthin.“