Das Reden und Beraten rund um das Thema Innovation ist inzwischen in Deutschland ein gutes Geschäft. Mit einem satirischen Augenzwinkern wagen wir einen Blick hinter die Fassade der Digitialisierungs-Slogans.

Stuttgart - Deutschland innoviert sich Deutschland hinkt hinterher: Bei der Digitalisierung, der Entwicklung nachhaltiger Konzepte für Mobilität und städtischen Lebensraum. Neidisch schielen wir nach Dakar (Senegal), wo die Netzabdeckung besser ist als auf der schwäbischen Alb. Unsere Start-up-Szene liegt danieder, bevor sie überhaupt oben war. Eigentlich kann’s nicht so schlimm sein, schließlich hat das Weltwirtschaftsforum Deutschland zum innovativsten von 140 Ländern gekrönt. Für jene, die dazu noch nicht den richtigen Zugang gefunden haben, kommt hier Abhilfe. Wir hangeln uns hier einmal durch die wichtigsten Schritte bis zur Weltherrschaft.

 

Fruchtige Türrahmen

Geht man vom Wortsinn aus, ist Innovation einfach etwas Neues, was noch nie da war. Das ist leicht! Hier kommt, kostenlos und für jedermanns Verwendung, eine Innovation: Türrahmen mit Melonengeschmack. Das wäre so richtig neu – aber auch so richtig sinnlos. Nein, eine vernünftige Innovation ist besser, sie soll Sinn und Nutzen haben. Sie möge das Leben, die Garderobe, das Miteinander oder die Frisur schöner, besser, günstiger, einfacher, umweltfreundlicher machen. Und sie muss – das ist unerlässlich – irgendwas mit Digitalisierung zu tun haben. Also: TÜRRAHMEN mit FRUCHT-DUFT (für die gute Laune beim Betreten eines Raums) und BLUETOOTH (damit die Tür weiß, wer durchgeht). Das ist eine richtig gute Innovation. Sie sichert Marktanteile, Ruhm und Weihrauch und lässt sie sich verkaufen. Zugegeben: Nicht jedem fliegen die guten Ideen so zu. Wer an dieser Front eingerostet ist, holt sich vernünftigerweise externe Unterstützung. Das bringt uns zu…

KreativDuschen ™

Rund um die Innovation ist eine neue Zunft entstanden, die in einem Kontinuum von hilfreich bis heißluftig beim Entwickeln von neuen… äh… Dings… hilft, nämlich Innovationsforscher/experten/förderer/berater/… macher. Dabei gehen diverse selbst ernannte Gurus ihrerseits sehr innovativ vor, nämlich ungefähr so: Irgendwem kam mal unter der Dusche eine gute Idee. Dann hat dieser einen Experten (z. B. für Gas/Wasser/Heizung/Sanitär), gefragt, ob es gute Gründe gibt, warum Duschen die Entstehung von guten Ideen verhindert. Der verneint (denn gute Ideen kann man überall haben). Dann macht sich der Mensch mit der Dusch-Idee selbstständig und berät Unternehmen beim Installieren von Duschen, denn sie sind der Garant für gute Ideen. Wir alle stellen uns den Innovationszirkel vor, der ab sofort nicht mehr im großen Meetingraum tagt. Ab und zu klappt aber auch das nicht so recht…

Flauschige Ideen

Wenn sich die Innovation dann nicht einstellt wie geplant, liegt es an zu heißem/zu kaltem Wasser, dem falschen Blubberschaum und zu wenig flauschigen Handtüchern – die sind nämlich gut für die Motivation, das hat ein Kollege rausgefunden. Der Dusch- und der Handtuchmensch fusionieren dann und sind glücklich mit ihrem neuen Geschäft. Die Lizenz zur Installation innovationsförderlicher Duschräume mit entsprechenden Handtüchern verkaufen sie dann an einen Haufen Berater, die leider nicht so flott waren, selbst auf die Idee zu kommen. So geht Innovation.

Das Verhindern der Verhinderung

Ist die gute Idee gefunden, muss vermieden werden, dass sie abgewürgt wird, bevor sie als solche erkannt wird. Für Abwürgen kann es viele Gründe geben. Hier ein kleiner Auszug, den ich in einem Märchenbuch gefunden habe:

-weil der Ideenzündler alleine geduscht hat und ihm nicht in den Sinn kam, jemand anderen davon zu erzählen

-weil es nicht die Idee vom Chef war

-weil die Idee in der falschen Form dargestellt wurde (zu viel Text, zu wenig Text, zu wenig Grafik, zu viele Aufzählungspunkte pro PowerPoint-Folie, zu wenige/zu viele englische Buzzwords)

-weil sich dafür spontan kein Business Case rechnen ließ

-weil der Zuständige für das Entscheiden über gute/schlechte Ideen im Urlaub war

-weil dafür kein Budget da war, der Sache nachzugehen

-weil wir keine Zeit haben – wir müssen schließlich arbeiten

-weil wir so was ja noch nie gemacht haben

Gründergeist & eiserner Wille

Sollte wider jede Vernunft ein Unternehmen seine gute Idee ausrollen wollen, ist es denkbar, jemanden zu fragen, der sich damit auskennt. Nun bringt eine Innovation mit sich, dass es dafür keine Experten gibt – ist ja schließlich was Neues. Also tut man gut daran, diesen Schritt zu überspringen. Er kostet unnötig Zeit/Geld, er bremst den Gründerspirit und überhaupt wird Erfahrungswissen brutal überschätzt. Wer genug Business-Netzwerk-Du-kannst-alles-schaffen-Du-musst-es-nur-wollen-Sprüche konsumiert hat, umgeht also diese fiese Falle. Als leuchtendes Beispiel für diese hohe Kunst ist Elizabeth Holmes zu nennen. Mit dem richtigen Mindset und Spirit hat sie für ihr Unternehmen Theranos 700 Millionen Dollar von privaten Investoren eingesammelt, um ein Echtzeit-Blut-Diagnostik-Kistchen herzustellen, von dem jeder Experte schon Jahre vorher gesagt hat, dass es so nicht funktionieren kann (Buchtipp: Bad Blood von John Carreyrou). Merke: Gegen Grundsätze von Physik und Chemie hilft auch das richtige Mindset wenig. Wir machen es besser und unsere Türrahmen schaffen es ans Tageslicht…

(Er-)Schlagworte sind alles

Spätestens jetzt ist es Zeit, die Marketing-Maschinerie anzuwerfen. Die nötigen Kanäle sind zu bespielen, Content Marketing im richtigen Mix ist zu erstellen. Facebook war eher gestern, Instagram ist heute, TikTok ab heute Nacht. Für die Finanzierung unseres neuen Business ist es wichtig, den Investoren das passende Vokabular zu präsentieren beim Vorsprechen. Hier eine Praxisübung dafür:

Unterstreiche alle Käsesorten!

Manifesto – Parmesan – Montasio – Persona – Scamorza – Quota – Scrumban – Squacquerone Fioresardo – Fomo – Disruptive – Provolone – Big Data – Burrata

Von der Dusche in die Linie

Wir haben also unser Produkt und nichts und niemand wird uns aufhalten. Na ja, vielleicht die Richtlinie 2006/42/EG des europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Mai 2006 über Maschinen und zur Änderung der Richtlinie 95/16/EG. Oder halt die Verordnung zur arbeitsmedizinischen Vorsorge oder die Verpflichtung zur Aktualisierung der jeweiligen Gefährdungsbeurteilungen. Oder einfach die Datenschutzgrundverordnung. Oder halt die Begleitverordnung zum Bilanzgesetz 2020. Aber das sind alles Details, auf das richtige Mindset kommt es an – wenn man die Welt verbessern will, darf man sich nicht an Kleinscheiß aufhalten. China macht es uns vor, wir müssen es nur nachmachen.

#IronyOff.

Zur Person: Gudrun Töpfer

Laufbahn –
Organisationen, Menschen, dynamische Systeme: Im Raum dazwischen ist eine Menge los und dort ist Gudrun Töpfer zu Hause. So erklärt sich das bunte Mosaik, das zu ihrem Tummelplatz geworden ist: Studium der Bildungsplanung, der Psychologie, systemischer Coach, Lehrbeauftragte der Universität Freiburg, Mitherausgeberin und Autorin der Haufe Group (Arbeitsschutz Office) und ihre Rolle als Inhaberin und Geschäftsführerin der Unternehmensberatung Wechselwerk (www.wechselwerk.com).

Ambidextrie –
Schon früh kam das Thema auf, über das sie schließlich promoviert hat: organisationale Ambidextrie. Dieses Konzept (wörtlich übersetzt „Beidhändigkeit“) verbindet Extreme, die sich in der Wirtschaftswelt seit einigen Jahren fast unversöhnlich gegenüberstehen: einerseits der klassische hierarchie-, kennzahlen- und prozessfixierte Managementansatz; andererseits die experimentellen Formen wirtschaftlicher innovativer Zusammenarbeit und dezentraler, flacher Organisation (Stichworte „Agilität“ und „New Work“). Um dieses Organisationsprinzip als Entwicklungsinstrument für Unternehmen näher zu erforschen, geht demnächst Töpfers Thinktank Ambidextrie an die Arbeit (www.thinktank-ambidextrie.com).