In der Projektwerkstatt für die neue Leonhardvorstadt diskutieren Experten kontrovers die Möglichkeit, die Bausubstanz des Parkhauses für Neues zu erhalten. Einigkeit besteht indes darin, dass das neue Viertel für Vielfalt stehen soll.

S-Mitte - Das Züblin-Parkhaus trennt derzeit noch, was verbunden werden soll: nämlich das Leonhards- und das Bohnenviertel. Hier soll die neue Mitte für die Leonhardsvorstadt entstehen. Die Stadt hat sich die Unterstützung dreier Architekturbüros organisiert: Belius aus Berlin, BeL aus Köln und das Studio Malta aus Stuttgart. Alle sind spezialisiert auf Städteplanung und Prozessgestaltung. Wichtig dabei ist die vox populi, die Stimme der Bürger. Die Menschen aus dem neuen Viertel sollen mitbestimmen.

 

„Wir wollen möglichst viele ins Boot holen. Alle sollen ihre Ideen einbringen. Dieser Prozess ist auch jetzt noch lange nicht beendet”, sagt Aaron Schirrmann vom Studio Malta. Damit spielt er auf die Planspiele an, die seit einem Jahr laufen. Es sind daran formelle und informelle Planungsteams sowie politische Gremien beteiligt. Anhand spielerischer Szenarien erschaffen Bürger und Experten Konzepte und Entwürfe.

Zuletzt fand dieser Austausch wegen der Pandemie in Online-Meetings statt. Beim jüngsten Meeting waren rund 70 Teilnehmer dabei. Allen war nach dreistündiger Diskussion zwei Ziele wichtig: die Lebendigkeit des Viertels und seine kulturelle Vielfalt. Einigkeit besteht auch darüber, dass nicht kurzfristiger, finanzieller Profit für die Stadt oder für Investoren den Ausschlag bei der Bebauung geben soll. „Bei einer zukünftigen Anhandgabe an Baugemeinschaften und Investoren geht es um die Inhalte, nicht um den Kaufpreis”, betont Andreas Foidl von der Belius-GmbH für Raumstrategien.

Die Frage nach bezahlbarem Wohnen ist für Heike Fuss von der Initiative Züblin-Areal eine der zentralen des Projektes: „Was die Mieten anbelangt, ist Stuttgart mittlerweile teurer als München. Damit die Lebendigkeit erhalten bleibt, müssen mindestens 50 Prozent der Mieten preisgebunden sein.”

Bezahlbaren Wohnraum schaffen

Neue Töne schlägt Anne-Julchen Bernhardt von BeL an: „An der Stelle des Züblin darf kein neuer Klotz entstehen“, sagt sie, „wir wollen ein fließendes Erdgeschoss, Freiraum, Begrünung und Verschattung.” Sie plädiert dafür, das alte Parkhaus nicht komplett abzureißen, sondern aus der vorhandenen Bausubstanz etwas Neues entstehen zu lassen. Bisher war man immer von einem Abriss des Züblin-Parkhauses ausgegangen, und Heike Fuss ist skeptisch: Angesichts der abschüssigen Fahrbahnen und niedrigen Deckenhöhen des Züblin-Baus meinte sie: „Ich habe Zweifel, was die Barrierefreiheit anbelangt. Die nicht allzu reichlich bemessene Deckenhöhe würde zudem bedeuten, mit wenig Licht zu leben.” Anne-Julchen Bernhardt jedoch hält diese Herausforderungen für zu bewältigen: „Wir können die Geschosse an bestimmten Stellen miteinander verbinden.” Seitens der Büros besteht die Tendenz, die bestehende Bausubstanz zumindest in Teilen zu erhalten. Allerdings, so stellte Aaron Schirrmann vom Studio Malta nüchtern fest: „In Stuttgart gibt es eine Tradition, im Zweifelsfall abzureißen.”

Was auch immer mit der Bausubstanz passiert, sicher ist dagegen: „Wir wollen einen Platz für Jugendliche und Kinder genauso wie für Start-Ups und Coworking. Wir wollen einen urbanen Raum, dicht, verspielt und verzahnt”, wie Aaron Schirrmann betonte. Wie die anderen Akteure, sieht auch er, dass die Sport- und Spielplätzen um das Parkhaus eine entscheidende Rolle spielen. Sie zögen junge Menschen an und gäben Raum für Miteinander. Kinderspielplatz, Bolzplatz, Skaterpark und ein Jugendhaus sind in allen bisherigen Planungsvarianten berücksichtigt. Georg Wittner, Leiter des Jugendhauses Mitte, ist zuversichtlich, dass das auch realisiert wird, aber: „ohne die Partizipation der Jugendlichen geht es nicht.”

Platz auch für Prostituierte und Drogis

Es bleiben noch offene Themen, die zu diskutieren sein werden – etwa die Frage nach der Integration sozialer Randgruppen wie Prostituierten, Obdachlosen oder Drogenabhängigen. „Das Viertel soll weiterhin ein Platz für alle sein. Auch für Arme und Drogenabhängige”, mahnte Diakonie-Pfarrerin Gabriele Ehrmann, „diakonische Fragen liegen mir bei dem Projekt am Herzen”. Auch die Kunst- und Kulturvermittlerin Sara Dahme ist der Ansicht, dass diesen Menschen vor Ort Platz eingeräumt werden soll. Ein Stadtzentrum müsse auch Randgruppen und deren Ansprüche wahrnehmen. „Es darf nicht aufgeräumt werden. Nicht nur das Angenehme gehört zur Stadtgesellschaft”, sagt sie. Dahme zeigt sich überzeugt, dass eine Gesellschaft nur wachsen könne, wenn es Raum für Begegnung und Diversität gäbe: „Wir müssen diesen Menschen etwas anbieten.”

Doch Aaron Schirrmann ist zuversichtlich, dass am Ende aller Diskussionen die meisten Interessen und Gruppen in den Planungen Widerhall finden. Schon registriert er: „Stuttgart traut sich etwas. Von überall her schaut man auf uns.”