Der 36-Jährige spricht bei seiner Präsentation auf dem DFB-Campus gleich darüber, wo er bei der Fußball-Nationalmannschaft den Hebel ansetzen will – aber er verrät noch mehr.

Sport: Carlos Ubina (cu)

Julian Nagelsmann verlässt sich auf sein Bauchgefühl. Das macht er, wenn er eine modisch gewagte Hose kauft und wenn er entscheidet, ob er mit dem fetten Motorrad, dem schlanken Mountainbike oder dem jugendlichen Skateboard auf das Trainingsgelände fährt. Alles schon vorgekommen. Am Campus des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) wird der 36-Jährige in den nächsten Monaten aber wohl in einem seriösen Auto erscheinen. Schließlich ist Nagelsmann jetzt der Bundestrainer – der Mann, der die kriselnde Nationalmannschaft wieder ins Rollen bringen soll.

 

Nagelsmann geht die Herausforderung mit dem ihm eigenen Selbstvertrauen an. „Es gab keinen Moment des Zweifelns“, sagt der bisherige Bundesliga-Coach zur Entscheidung, „es ist wichtig, sich auch in einem Job, der sehr viele Emotionen freisetzt, von Emotionen leiten zu lassen.“ Und bei der DFB-Auswahl hat er ein gutes Gefühl. Trotz der nationalen Tragweite, die dem jüngsten Bundestrainer der Nachkriegsgeschichte bewusst ist.

Die zweite Rettungsmission startet

Nagelsmann befindet sich seit seiner Vertragsunterschrift am Freitag im Büro des DFB-Präsidenten Bernd Neuendorf nun auf offizieller Mission – bis zum 31. Juli 2024. Es ist eine Rettungsmission. Die zweite, die er in seiner Trainerkarriere angeht. Beim ersten Mal bewahrte Nagelsmann die TSG Hoffenheim vor dem Absturz in die Zweitklassigkeit. Damals war er 28 Jahre jung und galt in der Branche als Chefbubi.

Jetzt soll Nagelsmann mit seinem Enthusiasmus die Heim-EM im nächsten Jahr zum Erfolg machen – sportlich und atmosphärisch. Beides hängt unmittelbar miteinander zusammen. Nagelsmann weiß das. Doch wer seinen beiden Vorgesetzten, Verbandschef Bernd Neuendorf und Sportdirektor Rudi Völler, in den vergangenen Monaten öfter zugehört hat, könnte meinen: Die Qualität der Nationalelf steigt allein mit der Stimmung. „Er soll unsere Landsleute wieder glücklich machen“, sagt der Sportdirektor.

So wie sich die Fans nach zahlreichen Enttäuschungen zuletzt beim 2:1 gegen den Vizeweltmeister Frankreich gefühlt haben. Der Völler-Effekt unmittelbar nach der Trennung von Hansi Flick half, wieder Selbstvertrauen zu gewinnen. Der Impuls war jedoch einmalig wie Völlers Aushilfsengagement als Interimsteamchef. Ein Selbstläufer wird die Reise zur Europameisterschaft im eigenen Land jedenfalls nicht. Nagelsmann ist vor allem als Fußballlehrer gefragt – und weniger als Identifikationsfigur.

Das ist wieder Völlers Job, der sich auf die Tribüne zurückzieht – und dennoch „nah an Mannschaft und Trainer dran sein will“. Nach drei verpatzten Turnieren geht es für Nagelsmann darum, dem Team eine verbindende Spielidee zu vermitteln. Flick ist das während seiner Zeit nicht gelungen. Die WM-Dokumentation über das Scheitern im vergangenen Herbst in Katar hat sich sein Nachfolger aber noch nicht angeschaut. Er will sich zuerst ein eigenes Bild machen. Er verfügt über genügend fußballerische Vorstellungen – und hat sie skizziert: „Keine Sorge. Wir werden keine 14 verschiedenen Grundordnungen spielen lassen.“

Vielmehr verschreibt sich der neue Bundestrainer der Einfachheit des Fußballs. „Die Spielweise wird nicht so komplex angelegt sein wie im Verein“, sagt Nagelsmann. Sie ist darauf ausgelegt, den Spielern in schwierigen Situationen Halt zu geben. Plakativ ausgedrückt, strebt er eine „gesunde Aggressivität in Richtung gegnerisches Tor an“. Was beinhaltet, dass es „dem Gegner auch wehtun soll, gegen uns zu spielen“.

Das sind die neuen Co-Trainer

Unterstützen werden Nagelsmann sein langjähriger Co-Trainer Benjamin Glück (37) und der Ex-Stürmer Sandro Wagner (35). Ein junges, kompetentes und dynamisches Trainerteam, das schnell einen Draht zu den Spielern finden soll. Mit Ilkay Gündogan hat Nagelsmann dabei schon vor seiner Präsentation telefoniert – um dem Mittelfeldspieler des FC Barcelona zu sagen, dass er Kapitän bleibt. „Ich bin von ihm sportlich und menschlich überzeugt“, sagt der Bundestrainer, der nun den Kontakt zu den anderen Nationalspielern aufnehmen will.

Viel Zeit bleibt der „Wunschlösung“ (Neuendorf) ja nicht, einen frischen Geist zu entfachen. Am 9. Oktober hebt das Flugzeug mit der DFB-Elf in Richtung Amerika ab. Dort stehen die nächsten Länderspiele gegen die USA (14. Oktober) und Mexiko (17. Oktober) an. Mit einem Nagelsmann an der Seitenlinie, der sich ein halbes Jahr nach seinem Rauswurf beim FC Bayern München ehrgeizig zeigt, aber nicht übereifrig. Er spricht im gewohnten Stakkato-Stil, verzichtet jedoch auf Witze. Dafür ist ihm die Sache zu ernst. Nagelsmanns Fokus liegt komplett auf der Heim-EM. Und im Erfolgsfall schließt er eine Fortsetzung des Engagements nicht aus. „Mein Wunsch ist es, dass die gemeinsame Arbeit Vertrauen weckt, nicht die Dauer meines Arbeitspapiers.“