Das Projekt „Neuland“ belebt das verlassene Franck-Areal am Bahnhof in Ludwigsburg und weckt Erinnerung an den einstigen Kaffeeduft, der von hieraus über die Stadt zog.

Ludwigsburg - Das alte Fabrikgemäuer gehört seit 150 Jahren zum Ludwigsburger Bahnhofsbild. Eine geschlossene Stadt in der Stadt, wie es ein Historiker einst nannte. Für die Besucher war es am Wochenende daher Neuland, das sie an der Westseite des Bahnhofs erstmals betreten haben.

 

Der Titel „Neuland“ war für das dreitägige Kulturfestival der Stadt mit finanzieller Unterstützung der Wüstenrot-Stiftung auf dem Franck-Areal gut gewählt: Das einstige Weltunternehmen gehörte zuletzt dem Nestlé-Konzern, der es am Ende nach so langer Produktionszeit stilllegte.

Ein Teil der Immobilie gehört der Stadt

Die Ludwigsburger kannten ihr Caro-Werk als fensterlose Industrie-Trutzburg, aus der in regelmäßigen Abständen Qualm aufstieg, der sich als Geruchsteppich über das Stadtgebiet legte. Ein Teil der Immobilie gehört nun der Stadt. Die mache sich in ein Neuland für die künftige Nutzung der nur zum Teil historischen Gebäude auf, sagte Oberbürgermeister Mattias Knecht am Freitagabend bei der Eröffnung.

Der typische Röstduft gehöre zu seiner Kindheit, die nicht weit weg stattfand. „Man wusste immer, woher der Wind weht.“ Als Stadtoberhaupt hat er nun Einfluss auf die Planung, die bestimmt, was mit der stillgelegten Geruchsquelle weiter passiert. „Eine historische Chance“, nannte es Knecht.

Ein kurzes Refugium für Kunst und Kultur

Die Idee, Kunst und Kultur mit einer Industriebrache und allerhand Gebrauchsspuren zu vereinen, drängte sich geradezu auf. Zumal Ludwigsburg nicht wenige Menschen in der Stadt hat, die ihre Kreativität zum Beruf gemacht haben oder machen wollen.

Die Filmakademie, die Akademie für Darstellende Kunst, die Kunstschule Labyrinth, das Haus des Dokumentarfilms und weitere Kultureinrichtungen waren zum ersten Mal an einem zentralen Aus- und Darstellungsort versammelt – eben auf Neuland.

Wie viel Kunst- und Kulturbetrieb auf dem stadteigenen Franck-Areal am Ende übrig bleibt, wird der Gemeinderat mit gestrengem Blick auf die kommunale Finanzlage entscheiden. Beeindruckend hoch sind die ehemaligen Lager, ohne Zwischengeschosse. Das ist viel toter Raum, der Architekten herausfordert, sollte nicht vorher die Abrissbirne zum Einsatz kommen.

Mitmach-Aktionen und Food-Trucks

Die Neugier der Neuland-Besucher auf die alten verwinkelten Hallen war genauso groß – wenn nicht sogar größer – wie auf die eigentlichen Kunstwerke sowie auf das abwechslungsreiche und vielfältige Begleitprogramm mit vielen Akteuren. Mitmach-Aktionen, Musik, Vorträge und Food-Trucks – nichts fehlte. Allein die Orte waren eine Besichtigung wert: Überall hingen die Anweisungen zur Arbeitssicherheit. Aus Kabelschächten ragten gekappte Leitungen. Von einem Computerschrank war die Tastatur übrig geblieben. Heiz- und Kühlrohre folgten einem Plan, den niemand verstand.

Die Hinterlassenschaften der Caro-Belegschaft waren in Kombination mit den Installationen, künstlerischen Porträtfotos und sonstigen Werken beinahe schon Gebrauchskunst. Die Geräuschkulisse zum Neuland-Festival kam vom Bahnhof unmittelbar hinter der Fabrikmauer.

Die Besucher konnten bis spät in die Nacht nicht nur Erinnerungen wachrufen, Eindrücke sammeln und mitnehmen. Sie konnten auch schriftlich ihre Ideen und Vorstellungen davon zurücklassen, was aus ihrer Sicht mit dem Neuland passieren sollte. Alles ist vorstellbar, nur der aromareiche Geruch gebrannter Zichorien wird von diesem Ort niemals mehr ausgehen.