Die Wirtschaft wächst, die Arbeitslosigkeit geht zurück. Doch an vielen Menschen in Spanien geht der Aufschwung vorbei. Sie wollen nach den Neuwahlen am Sonntag eine andere Wirtschaftspolitik.

Korrespondenten: Martin Dahms (mda)

Madrid - Pablo Iglesias hielt sich lange im Zaum, aber dann musste er doch eine kleine Spitze gegen Mariano Rajoy loswerden. Zwei Millionen Arbeitsplätze wolle Rajoy schaffen? Wunderbar. Dann bitte auch noch drei hartgekochte Eier. Es war ein Scherz der Marx-Brothers, den der Podemos-Chef da während der großen Fernsehdebatte der Spitzenkandidaten für die Wahlen am Sonntag zitierte. Vor allem aber war es Iglesias‘ Art, an der Glaubwürdigkeit des amtierenden Regierungschefs zu kratzen. Zwei Millionen neue Arbeitsplätze? Ein ähnliches Versprechen hatte im September 2011 schon der damalige Sprecher von Rajoys konservativer Volkspartei (PP), Esteban González Pons, gemacht: „Wir streben an, dass in der kommenden Legislaturperiode 3,5 Millionen Arbeitsplätze geschaffen werden.“ Doch als die Legislaturperiode zu Ende ging, war die Zahl der Arbeitsplätze genau so hoch wie zu deren Beginn: gut 18 Millionen.

 

Wahlversprechen sind leichter zu machen als zu halten. Die Wahlen vor viereinhalb Jahren gewann die PP vor allem aus einem Grund: Die Spanier trauten den Konservativen zu, ihr Land aus der schweren Wirtschaftskrise herauszuführen, in der Spanien seit dem Platzen der Immobilienblase 2008 steckte. Sie schafften’s auch, wenn man Wolfgang Schäuble glaubt. Spanien sei „unser bestes Argument, dass wir doch vieles ziemlich richtig gemacht haben“, sagte der deutsche Finanzminister im September letzten Jahres während eines deutsch-spanischen Wirtschaftsforums in Berlin. Seine Argumente: Nach langandauernder Rezession wächst Spanien wieder, 2015 um 3,2 Prozent, mehr als fast jedes andere EU-Land; die Arbeitslosenrate ist – nachdem sie Anfang 2013 auf 26,9 Prozent geklettert war – auf 21 Prozent gesunken; das jährliche Defizit der öffentlichen Haushalte ging von 10,4 Prozent des BIP 2012 auf (wenn auch immer noch hohe) 5,1 Prozent im vergangenen Jahr zurück.

Schlechtverdiener härter betroffen

Doch trotz allgemeinem Aufwärtstrend wollen die Spanier von Optimismus nichts wissen. In einer Umfrage des staatlichen Sozialforschungsinstituts CIS vom April gab sich nur jeder sechste Befragte davon überzeugt, dass sich die wirtschaftliche Lage Spaniens in den vergangenen zwölf Monaten verbessert habe; mehr als jeder Vierte meinte im Gegenteil, die Situation sei heute noch schlechter als vor einem Jahr. Das ist bemerkenswert, bewegen sich doch fast alle ökonomischen Daten in eine positive Richtung. Aber wenn man näher hinschaut, sieht man die Dramen hinter den schönen Zahlen. Noch immer suchen 4,8 Millionen Männer und Frauen eine Beschäftigung. Mehr als zwei Drittel von ihnen, 3,5 Millionen Menschen, erhalten keine Arbeitslosenunterstützung, weil ihr Anspruch darauf (nach maximal zwei Jahren Arbeitslosigkeit) abgelaufen ist oder weil sie noch nie beschäftigt waren. Wer Arbeit findet, muss sich oft mit miserablen Bedingungen abfinden. Rund ein Viertel der Beschäftigten in Spanien hat einen zeitlich – auf ein paar Tage oder Wochen – befristeten Vertrag. Berufseinsteiger bekommen heute Gehälter, die 30 Prozent unter dem liegen, was Berufseinsteiger zu Beginn der Krise 2008 erhielten.

Die Lohnkürzungen treffen die Schlechtverdiener härter als die Gutverdiener. Nach einer OECD-Studie hat in keinem anderen OECD-Land die soziale Ungleichheit während der Krise so stark zugenommen wie in Spanien. Für viele Spanier ist die Krise noch lange nicht vorbei. Das ist einer der wichtigen Gründe dafür, warum die neue Linkspartei Podemos bei den Neuwahlen am kommenden Sonntag damit rechnen kann, zur zweiten Kraft hinter Rajoys Volkspartei aufzusteigen. Podemos verspricht das Ende der Austeritätspolitik. Vor allem verspricht Podemos, den chronisch unterfinanzierten spanischen Sozialstaat endlich aufzupäppeln, wofür sie die Steuern erhöhen, aber auch weiter Schulden machen will. Die Sanierung des Haushalts muss warten. Damit hat es allerdings auch Rajoy nicht eilig, der am liebsten immer weiter Steuern senken will. Wolfgang Schäuble ist heute nicht mehr ganz so glücklich mit seinem spanischen Musterschüler. Ob Podemos- oder PP-Regierung: Brüssel und Berlin werden noch einigen Ärger mit Spanien haben.