Über die Täter in der NS-Zeit wird nun vermehrt geforscht. Ein Beispiel ist ein Sammelband, der auch einen Aufsatz zu Hermann Eberle enthält, den Gefängnis-Kommandanten in Welzheim in der NS-Zeit. Der Autor Hermann Wenz berichtet im Interview über seine Erkenntnisse.

Welzheim -

 
In einem jetzt in zweiter Auflage erschienenen Band über NS-Belastete wird der Werdegang des Kommandanten des Polizeigefängnisses Welzheim beleuchtet. Häftlinge beschreiben Hermann Eberle als brutalen Täter, als Menschenquäler. Im Jahr 1949 nahm Eberle sich während einer Spruchkammerverhandlung, die seine Schuld beleuchten sollte, in seiner Zelle das Leben. Der Rentner Hermann Wenz hat zu Eberle geforscht. Im Interview schildert er seine Arbeit sowie die Umstände, wie die Menschen zu Tätern werden konnten.
Herr Wenz, Sie haben die Geschichte des KZ Welzheim vom Kommandanten Hermann Eberle aus erzählt. Früher war oft zu hören, man solle die Vergangenheit ruhen lassen. Warum haben sie das nicht getan?
Ich habe mich für meine Geschichte interessiert, wozu auch die NS-Geschichte gehört, zufällig passend gerade im Raum Württemberg, weshalb mich der Herausgeber der Reihe „Täter Helfer Trittbrettfahrer“ als Mitautor anfragte. Ich bin dafür, die Geschichte der Menschen und der Orte in der NS-Zeit nicht ‚ruhen zu lassen’ und zu beschweigen, sondern sie, auch noch nach so langer Zeit, erstmals kennenzulernen und nicht untergehen zu lassen.
Hermann Eberle stammt aus einfachen Verhältnissen. Der Weg vom normalen Bürger zum Täter war in den 1930er Jahren ein recht kurzer?
Manchmal hat sich etwas aus einem sehr begreiflichen Schritt heraus ergeben, etwa, dass man eine Stelle haben wollte oder später zum Notdienst verpflichtet wurde. Dann wurde dies oder jenes zugemutet oder abverlangt, wovor dann keiner zurückschrecken wollte. Keiner war in seinem Werdegang darauf vorbereitet, ein böser Mensch sein zu wollen.
Was hat nun den ehemaligen KZ-Kommandanten Hermann Eberle in diese Rolle gebracht?
Vorab: Ich verwende den Begriff KZ für Welzheim ungern, wegen der begrifflichen Klarheit. Das schwächt die Ungeheuerlichkeiten nicht ab, die dort verübt wurden. Eberle ist schlicht einer der seinerzeitigen Arbeitslosen gewesen. An seinem Wohnort Gerstetten wurde schon früh eine NS-Keimzelle gegründet. Er war gelernter Flaschner, hatte dann keine Stelle, hat freiwilligen Arbeitsdienst abgeleistet, und zeitweise auch im Ausland gearbeitet. 1933 konnte er sich der Hilfspolizei anschließen, Geld und eine Uniform und zudem auch eine gewisse Bedeutsamkeit zu bekommen.
Sie haben ja viele Berichte ausgewertet, darunter sind viele Schilderungen von Grausamkeiten: Schläge, Folterungen, Exekutionen. Was löst das aus, wenn man davon liest?
Das hat bei mir Erstaunen ausgelöst, auch, wenn ich gar nicht alles ausgewertet habe. Allein die Spruchkammerakte enthält noch sehr, sehr viel mehr solcher Aussagen. Ich habe vor allem jene ausgewertet, die gut leserlich waren. Ich vermute, dass da noch einiges zu finden wäre. Man erschrickt dabei, man muss allerdings aufpassen, dass man nicht zu sehr in den Trott des Selbstverständlichen verfällt. Das ist zu erschreckend, man muss sich zur Ordnung rufen, um nicht abzustumpfen. Das sind extreme Massierungen solcher Schilderungen.
Warum wurden diese Schilderungen aufgezeichnet?
Unter anderem die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes, hinter der viele ehemalige Häftlinge der frühen Lager Heuberg, Kuhberg und Welzheim standen, hatte die Zeugen angeschrieben, oder in ihren Mitgliederrundschreiben zur Schilderung solcher Vorfälle aufgerufen. Der öffentliche Kläger hat die Antworten aufgearbeitet, und man hat dann die Leute geladen. Was im Spruchkammerprotokoll niedergeschrieben wurde, ist allerdings das Diktat des Spruchkammervorsitzenden.
Die Zahl der Veröffentlichungen zum KZ ist ja überschaubar. Woran liegt das?
Dass es wenige Veröffentlichungen gibt, mag Zufall sein. Es liegt mir fern, die Stadt anzugreifen. Anderenorts gibt es gar keine. Man hat zwei örtliche Ausarbeitungen, die aber erst lange nach 1945 erschienen, seitens der Stadt als Dokumentation herausgegeben. Welzheim hat sich darin nicht von anderen betroffenen Orten unterschieden. Der örtliche Arbeitskreis, der vor wenigen Jahren die Ausstellung vorbereitet hat, war anerkennenswert fleißig, hat sich aber leider auf alte Informationsstände beschränkt. Die Informationstafeln müssen zum Teil überarbeitet werden. Die städtische Homepage beschränkt sich bei ihrer Geschichtsdarstellung darauf, dass man diese Informationstafeln abrufen kann. Man geht in Welzheim sicherlich nicht gerne prominent mit diesem Thema hausieren. Beim Thema Limes ist man etwas offensiver.
Karl Buck, der als KZ-Kommandant Vorgänger von Hermann Eberle gewesen ist, hat ja nur wenige Kilometer entfernt von Welzheim in Ruderberg bis zu seinem Tod gelebt. Warum war dies möglich?
Buck hatte drei Todesurteile und weitere Verurteilungen zu Haftstrafen hinter sich, als er 1955, wie viele NS-Täter, nach Amnestien und politischen Rücksichten auf freien Fuß kam. Seinen Familienwohnsitz hatte er aber schon etwa ab 1930 in Rudersberg. Es war dann relativ natürlich, dass er nach seiner Freilassung 1955 dorthin zurückkehrte.
Es gibt noch viel mehr Täter wie Buck und Eberle, nach denen man forschen könnte?
Da gibt es eine ganze Menge, wenn man will, auch in der Nachbarschaft. Mein älterer Nachbar wollte mir auch so etwas erzählen, aber seine Frau sagte zu ihm, wahrscheinlich schon gewohnt: ‚Willi, halt den Mund’. Die ehemaligen Soldaten konnten sich wenigstens am Sonntagnachmittag gegenseitig in den Gastwirtschaften die Probleme vom Leib reden. Die, die offenes Unrecht getan hatten wie etwa SS-Gaswagenfahrer oder andere Chargen, hielten den meist Mund, wenn sie es konnten.