Olaf Scholz ist am Dienstag zu mehreren Terminen nach Freiburg gereist. Empfangen wurde er dort auch von wütenden Landwirten. Der Bundeskanzler solle lieber seine Hausaufgaben in Berlin machen.

Baden-Württemberg: Florian Dürr (fid)

Als Olaf Scholz die ersten Worte ins Mikrofon spricht, wird es laut. Der Lärm aus Pfeifen, Rufen und Hupen ist auch im Zelt nicht zu überhören. Es ist, als hätte jemand aus dem Publikum den protestierenden Bauern draußen ein Zeichen gegeben – nach dem Motto: Jetzt zählt’s, der Kanzler spricht!

 

Hunderte Meter Entfernung, mehrere Reihen Absperrgitter und ein großes Polizeiaufgebot stehen einem direkten Austausch zwischen Kanzler und Landwirten auf dem weitläufigen Gelände im Weg. Schließlich soll es beim Besuch des SPD-Politikers am Dienstag in Freiburg nicht um die Bauern, sondern ums Bauen gehen: Der Spatenstich für den neuen Freiburger Stadtteil Dietenbach mit Wohnraum für 16 000 Menschen ist der eigentliche Anlass für Scholz’ Besuch.

Ohne die Traktoren in Sichtweite schindet der Protest nur halb so viel Eindruck

„Scholz soll seine Hausaufgaben in Berlin machen und nicht wegen zwei Spaten Erde nach Freiburg kommen“, sagt einer der wütenden Bauern. Der Kanzler solle sich lieber darum kümmern, dass die Landwirte in Deutschland zu gleichen Bedingungen wie die Konkurrenz aus dem Ausland produzieren können. „Wir schaffen unsere Ernährungssicherheit ab – und unsere Regierung kapiert das nicht“, schnaubt ein anderer. Mit rund 240 Traktoren aus verschiedenen Richtungen haben sich die Landwirte auf den Weg nach Freiburg gemacht. Doch ihr schweres Gerät durften sie nicht so weit vorfahren, wie sie sich das gewünscht hätten.

Ohne die Traktoren in Sichtweite macht der Protest nur halb so viel Eindruck. „Da sieht man, wie die Landwirtschaft gewürdigt wird“, klagt einer der Bauern. Und: „Wir sind hier so weit weg, das kriegt Scholz gar nicht mit.“ Jedenfalls lässt sich der Kanzler im beheizten Zelt nichts anmerken und setzt seine Rede fort – ohne ein Wort über die Proteste draußen in der Kälte zu verlieren.

Besser vorbereitet als beim politischen Aschermittwoch der Grünen?

„Nicht meckern, sondern machen“, sagt Scholz auf der Bühne gleich zweimal – eine Formulierung aus der Vorrede von Freiburgs OB Martin Horn, die den Kanzler wohl so überzeugt hat, dass er sie kurzerhand selbst mit einbaute. Dietenbach sei ein Vorzeigemodell für weitere Wohngebiete dieser Art in Deutschland. Vielleicht war das „Meckern“ aber auch eine Botschaft an die Bauern.

Eine Absage der Veranstaltung wollten die Landwirte aber auch nicht erzwingen. Offenbar hatten sich die Behörden dieses Mal auch besser vorbereitet als noch beim Politischen Aschermittwoch der Grünen in Biberach, wo die Proteste von Bauern und anderen Gruppen derart ausarteten, dass die Grünen ihr Treffen abblasen mussten. In Freiburg aber blieb es friedlich – und der Badische Landwirtschaftliche Hauptverband (BLHV) konnte sogar ein Forderungspapier an den Kanzler übergeben, wie BLHV-Präsident Bernhard Bolkart beim Spatenstich berichtet. Darin machen die Landwirte auch klar, dass die angekündigte Bau-Offensive von Olaf Scholz direkte Konsequenzen auf die Bauern in Deutschland hat. „Heute geht es in erster Linie um den Flächenverbrauch“, sagt Bolkart: „Wenn der Kanzler sagt, dass er insgesamt 20 solcher Gebiete wie Dietenbach möchte, dann wissen wir, was auf uns zukommt.“

Der eigentliche Auslöser der Bauernproteste nur noch eine Randerscheinung

Es ist eine weitere Baustelle im komplizierten Verhältnis zwischen Landwirten und Bundesregierung. Der eigentliche Auslöser der bundesweiten Proteste, die Kürzungen beim Agrardiesel ist wohl nur noch Nebensache. Den Bauern geht es um die ganz großen Themen für die Zukunft der Landwirtschaft in Deutschland: „Raus aus dem Bürokratiewahn“, steht etwa auf einem Plakat. Auf einem anderen: „Wir brauchen Wettbewerbsgleichheit innerhalb der EU.“

Die Demonstranten sind sich sicher: Ihre Proteste seien nichts gegen das, was drohen würde, wenn ihre produzierten Lebensmittel das kosten würden, was sie wirklich kosten. Einer der Bauern prophezeit: „Dann wäre der Aufstand groß.“ Und um einiges lauter als in Freiburg während der Rede des Kanzlers.