Im realen Leben braucht man 40 Flugstunden bis zum Alleinflug. Mit dem neuen Online-Flugsimulator für die Boeing 737 geht das in wenigen Minuten.

Stuttgart - Stark zerrt der Wind an den Tragflächen. Immer wieder driftet die Maschine nach links. Regen, der auf die Cockpitscheiben prasselt, macht den Anflug schwierig. Nur wenige Meter noch, dann setzt die Boeing auf. Gischt spritzt von der nassen Landebahn auf. Der Pilot geht voll auf Umkehrschub und bremst gefühlvoll ab.

 

Der Fluglotse gibt Anweisungen: "D-LI01 - please leave the runway." Wenige Minuten später ist die Maschine am Gate und fährt die Motoren herunter. Willkommen in Berlin-Tegel. Dann werden die Türen geöffnet, die Bordelektronik abgeschaltet - und es wird abgespeichert. Denn nichts davon war eben real, alles war virtuell. "Bis zum nächsten Mal", sagt der Fluglotse, der irgendwo in Berlin ebenfalls daheim vor einem Computer sitzt.

Abgewickelt wurde der Flug über Server der International Virtual Aviation Organization, eine belgische Non-Profit-Organisation für Hobbypiloten und -lotsen. Es gibt neben den Piloten auch Boden-, Tower- und Abflugcontroller, die jedes Flugzeug von Flugzone zu Flugzone geleiten, sowie ein virtuelles Wettergeschehen, das von Spezialservern heruntergeladen und eingespielt wird.

Realitätsgetreue Abläufe

Das ist nicht zuletzt wegen der neuen Boeing 737 NGX möglich, die von PMDG programmiert wurde, einer Firma, die sich auf virtuelle Flugzeuge für den Flugsimulator von Microsoft spezialisiert hat. Mit diesem Flugzeug lassen sich nicht nur reale Landemanöver üben. Das System simuliert auch Triebwerksausfälle und Druckabfälle in der Kabine. Noch vor ein paar Jahren wäre so etwas undenkbar gewesen.

Wie eine Grundplatte für eine Modelleisenbahn liefern die beiden gängigsten Programme, der Microsoft Flugsimulator X und die Software X-Plane von Hersteller Laminar Research eine virtuelle Spielumgebung. Im Simulator von Microsoft, der in Deutschland von rund 200.000 Spielern genutzt wird, lassen sich rund 24.000 Flughäfen anfliegen.

Für rund 70 Euro bekommt der Hobbypilot den Globus auf die Festplatte. Zwar liegen zwischen dem Fliegen einer virtuellen Maschine und dem Steuern eines echten Flugzeugs Welten. Aber die Abläufe im Spiel sind denen der Realität recht genau nachempfunden. Der Flug nach Berlin-Tegel dauert eine Stunde, hinzu kommt etwa eine halbe Stunde Vorbereitungszeit: Als Erstes wird am Startflughafen Köln die Flugroute festgelegt und im Bordcomputer gespeichert.

Beinahe fühlt man sich wie im echten Flugzeug

Der Kölner Fluglotse gibt dem Piloten wenige Momente später die Freigabe für das Starten der Maschinen und den sogenannten Pushback des Flugzeugs auf die Fahrspur. In der virtuellen Boeing werden nun die Treibstoffpumpen und Landelichter eingeschaltet, die Triebwerke hochgefahren, die Funkfrequenzen gesetzt, auf denen man sich über ein Kopfhörermikrofon mit dem Controller unterhält.

Dann kommt auch schon die Freigabe fürs Rollen zur Startbahn. Unterwegs geht der Pilot noch einmal die Checkliste durch: der Höhenmesser ist richtig eingestellt, die Klappen sind gesetzt. Dann biegt die virtuelle Boeing auf die Startbahn ein und der Tower erteilt die Startfreigabe. Virtuell wandert nun der Schubhebel nach vorn und die Boeing 737 beschleunigt.

Dieser Moment mag für den Piloten, der auf dem Bürostuhl vor seinem Monitor sitzt, der ernüchterndste sein. Nach dem Start entschwindet die detailliert nachgebildete Landschaft. Wenig später kann man Blicke auf das engmaschige Straßennetz Deutschlands werfen, auf Flüsse, Berge und Täler - fast hat man das Gefühl, aus einem echten Flugzeugfenster zu schauen.

Aktuelle Technik für lebensechte Darstellung nötig

Der Blick schweift nun über eine recht hügelige Landschaft. Um eine derart lebensechte Darstellung genießen zu können, ist allerdings aktuelle Computertechnik nötig. So sollte ein Vierkernprozessor drei Gigahertz schnell sein, die Grafikkarte über ein Gigabyte Speicher verfügen, und der Arbeitsspeicher sollte zwei Gigabyte an Daten fassen.

In der mehr als 20-jährigen Geschichte der Microsoft-Software hatte sich in einem Punkt deshalb nie etwas geändert: wer alle Funktionen des Flugsimulators mit komplexen Zusatzflugzeugen wie der seit wenigen Wochen erhältlichen Boeing 737 nutzen will, musste seinen Computer immer wieder aufrüsten.

Aktueller Trend: Heimcockpit

Inzwischen ist der Flugsimulator längst mehr als ein Programm nur für Flugfans. Er kann heute ein Familienspiel sein, das Kenntnisse über Fluginstrumente, Physik oder Geografie vermittelt, denn er stellt die Fliegerei in fast allen Aspekten dar. So lernt der Anwender viel über Aerodynamik oder Wetterkunde oder die Geografie des Erdballs.

Doch nur auf einen Monitor zu schauen, genügt manchem längst nicht mehr. Aktueller Trend ist daher der Bau sogenannter Heimcockpits. So gibt es ganze, voll funktionsfähige Cockpits, die denen einer Boeing oder eines Airbus nachempfunden sind und die in Keller oder in brachliegende Kinderzimmer eingebaut werden. Schnell kommen mit entsprechender Soft- und Hardware einige Tausend Euro zusammen. Doch schon kleine Investitionen können den Realitätsgrad für das Fliegen am PC erhöhen.

So muss man, um sich im dreidimensionalen Cockpit eines Flugzeugs umzuschauen, normalerweise einen Knopf am Joystick bewegen. Mit Track IR ist das vorbei: Eine Minikamera auf dem Monitor registriert Kopfbewegungen und berechnet daraus den jeweiligen Blick auf die virtuellen Armaturen. So kann sich der Pilot im Cockpit umsehen, als würde er direkt darin sitzen. Die ausgefeilte Technik und das Zusammenspiel von Menschen verschiedenster Herkunft beim Online-Fliegen zeigen, dass dieses Hobby von vielen Nutzern ernsthaft betrieben wird.

Die Landebahn in Sichtweite

Der Flug nach Berlin-Tegel erreicht schließlich den Punkt, an dem der Sinkflug eingeleitet werden muss, der Berliner Lotse gibt Anweisungen, auf einen bestimmten Flugkurs zu gehen, um so die Landebahn zu erreichen. Der Schub der Boeing 737 wird etwas zurückgenommen, das Flugzeug sinkt. Unterhalb der Wolkendecke prasselt Regen auf die Cockpitscheiben.

Dann kommt die Landebahn auch schon in Sichtweite. Die Landeklappen werden ausgefahren. Noch einmal ist höchste Konzentration gefragt, bis die Maschine schließlich aufsetzt, ausrollt und sich der Hobbypilot erschöpft auf dem Bürostuhl zurücklehnen kann.

Fliegen lernen am Computer

Training Als Faustregel gilt: rund 40 Flugstunden braucht man im realen Leben bis zum ersten Alleinflug. Im Online-Flugsimulator genügen hingegen Minuten, um in der Luft zu sein. Dort erfährt man aber schnell, wie kompliziert das Fliegen in Wirklichkeit ist. Fliegeralphabet und Fachbegriffe wie Bearing, Heading, VOR, NDB oder ILS-Anflug gehören zu einem Fachvokabular, ohne das man nicht auskommt.

Infos Das Internet bietet viele Möglichkeiten, um sich über das virtuelle Fliegen zu informieren. Als wichtigste deutsche Flugsimulatorseite ist www.simflight.de zu nennen. Sie bietet Neuigkeiten aus der Szene und ein Forum, das auch für Einsteiger zu empfehlen ist.