Schwere Parfümwolken erwarten Passanten oft in Fahrstuhl, Bahn oder im Theater. Dabei ist Parfüm überflüssig. Attraktiver, glauben manche, wirke ohnehin der Geruch von Schweiß und Vaginalsekret. Wie stark leitet uns im Alltag der Geruchssinn?

Psychologie und Partnerschaft: Eva-Maria Manz (ema)

Im Fahrstuhl steht eine schwere Wolke aus wuchtig-blumigem Duft. Es ist kein Atmen durch die Nase mehr möglich, zwei, drei, vier Stockwerke noch – endlich raus. Die Duftnote einer Passagierin, die sich stark einparfümiert hatte. In der Bürowelt, in Bus oder Bahn, beim Treffen mit Freunden, im Theater und im Kino erlebt man häufig, was wir den Duftschock nennen wollen. Eine geballte Ladung Parfüm und künstlicher Aromen. Keine Frage, das Riechvermögen mag unterschiedlich gut ausgebildet sein – bei manchen ist es beeinträchtigt durch Rauchen, Alter, Hormone. Dennoch scheint die Mehrzahl der Menschen der Maßgabe anzuhängen: Viel sprühen, hilft viel.

 

Dabei bleibt es meist nicht beim Parfüm. Auch andere Substanzen, die man am Körper trägt, strömen Gerüche aus: Waschmittel oder Weichspüler, Aftershave, Deo, Bodylotion oder Haarspray. Gerade die Haare transportieren Düfte besonders stark, was viele Frauen mit der freigebigen Anwendung von Trockenshampoo oder Lockenspray überreizen. Wer da noch zusätzlich parfümiert, muss sich zuvor schon auf eine ziemlich hohe Stufe der olfaktorischen Abstumpfung gebeamt haben.

Es ist wie der orgasmische Kick beim Essen

Dabei befinden wir uns nicht mehr im Zeitalter von Louis XIV, dem schmuddeligen Sonnenkönig, der nur zweimal in seinem ganzen Leben zum Bade schritt. Und auch nicht mehr im Berlin der 1910er Jahre, als es in der Straßenbahn nach „ungewaschenen, ungelüfteten, durchschwitzten, von Tabakrauch und Alkoholduft getränkten Leibern“ roch, wie der Berliner Journalist Egon Jameson damals schrieb.

Das Spiel mit Düften wird in unserer hyperhygienischen Welt überreizt. Patschuli, Jasmin und Moschus als Bestandteile vieler Parfüms und Sprays sind nicht gerade bescheidene Akteure. Sie sind die Rampensäue, die aufmerksamkeitsheischenden Diven unter den Düften, die keiner überriechen kann – auch wenn er es gerne würde. Dabei ist das dauerhaft kaum auszuhalten. Es ist wie der orgasmische Kick beim Essen: Wer Koriander liebt, weiß, dass sein Geschmack wie ein kleiner erregender Biss in den Nacken sein kann. Genau das, was manchen Gerichten sonst fehlen würde. Aber kein Mensch will doch permanent in den Nacken gebissen werden. Gerüche und Geschmäcker können bis zum Schwindel betörend und penetrant sein, in ihrer vollen Wuchtigkeit und Dominanz irgendwann abstoßend. Wer in diesen Wochen an den Blüten der Lindenbäume und Jasminbüsche vorübergeht, weiß, wie anziehend das ist – und zugleich fast zu viel. Jedenfalls kein Duftraum, in dem man sich stundenlang aufhalten möchte.

Wie soll man sich von den Erzählungen der Werbung lösen?

Wohl deshalb und zum Eigenschutz riecht man selbst das aufgetragene Parfüm irgendwann nicht mehr. Aber warum den Kollegen, den Freunden und Nebensitzern in der Bahn eine derart dicke Wolke zumuten?

Vom Parfüm loszukommen, bedeutet auch, sich von den Erzählungen der Werbung zu lösen. Ein Duft ist nicht nur Duft, sondern Lifestyle. Welcher seine Weiblichkeit suchende Teenager kaufte sich Ende der 90er nicht „Laura“ von Laura Biagotti nachdem die Fernsehwerbung faszinierend erratisch eine schöne Brünette verloren in geheimnisvollen Wasserlandschaften zeigte und es am Ende hieß: „Das Erwachen der weiblichen Seele“? In der „Roma“-Werbung von Biagotti teilte 1997 eine Stimme aus dem Off poetische Zeilen von zweifelhaftem Tiefgang mit: „Was verborgen ist, wird enthüllt, Kühle im Licht, Wärme im Schatten, Träume von tausend Leben – ein Hauch von Ewigkeit“. Und in der Axe-Werbung von 2013 liegen dem Mann die Frauen reihenweise zu Füßen oder fallen gar vor Verzückung in Ohnmacht, nachdem er sich mit dem Deo besprüht hat. Die Werbung will glauben machen, ohne die vom Parfümduft transportierte Sinnlichkeit sei keiner richtig Frau oder Mann.

Interessanterweise spielen viele der theatralisch inszenierten Spots für Frauenparfüms auch heute noch mit dem Bildmotiv einer Blume, deren Blütenblätter sich sinnlich entfalten. Ein nicht gerade subtiler Verweis auf das weibliche Geschlecht. So etwa im aktuellen Spot für „La Vie est belle“ von Lancôme mit Stars wie Zendaya und Julia Roberts. Spätestens dabei könnte man auf die Idee kommen, das Original doch gleich dem künstlich inszenierten kleinen Bruder vorzuziehen – und auf die Betörung der körpereigenen Gerüche setzen. Selbst wenn man es nicht derart übertreiben will wie die Protagonistin in Charlotte Roches Roman „Feuchtgebiete“, die sich zwischen ihre Beine an die Vulva fasst und dann „etwas Schleim hinters Ohrläppchen“ tupft und „verreibt“: „wirkt schon beim Begrüßungsküsschen Wunder“. Auf Tiktok wird diese, nun ja, natürliche Parfümierung zurzeit wieder als Trend, der Männer gefügig machen soll, propagiert, nennt sich „Vabbing“.

Wissenschaftlich betrachtet ist die Forschung zu Pheromonen, einer Art Botenstoffe zur Informationsübertragung, sehr komplex. Seit Jahrzehnten geistern Studienergebnisse wie das aus Wien durch die Medien: Dabei ließen Anthropologen Ende der 90er Jahre 66 Männer an sogenannten Kopulinen riechen – an Gemischen kurzkettiger Fettsäuren, die sich im Vaginalsekret befinden. Manche Studienteilnehmer bekamen nur eine verdünnte Wasserlösung vorgesetzt. Dabei wurden beiden Gruppen Bilder von Frauen gezeigt, und die Männer mussten deren Attraktivität bewerten. Schließlich stellte sich heraus, dass diejenigen, die am Vaginalsekret rochen, die Bilder alle als nahezu gleich attraktiv einstuften – im Gegensatz zur Kontrollgruppe. Der Studienleiter schloss daraus, die Fähigkeit von Männern, die Attraktivität einer Frau zu beurteilen, breche komplett zusammen, wenn sie Vaginalsekret riechen.

Auch wer das bezweifelt und lieber kein Vaginalsekret am Hals möchte, kann vielleicht zustimmen, dass dort eigentlich auch Parfüm nichts verloren hat. Denn wer jemanden am Hals küsst oder ableckt, möchte kein Parfüm auf der Zunge und in der Nase haben. Jeder, der schon einmal verliebt war, weiß, viel köstlicher schmeckt eine frische feinfeuchte Schweißschicht. Der Duft eines anderen kann irgendwann wirken wie eine Naturgewalt.

Erich Fried schreibt: „Wenn ich weit weg bin von Dir und wenn ich die Augen zumache und die Lippen öffne dann spüre ich wie Du schmeckst nicht nach Seife und antiseptischen Salben nur nach Dir und immer näher nach Dir und immer süßer nach Dir je länger ich an Dich denke und manchmal nach uns nach Dir und nach mir und nach Dir. Wenn ich bei Dir bin wenn ich Dich küsse und trinke und Dich einatme und ausatme und wieder einatme . . .“ Beim Riechen wird der Mensch zum Säugetier, das er nun einmal ist. Manche Forscher glauben sogar, auf diese Weise suche er sich gezielt Sexualpartner aus, die genetisch gut zu ihm passen.

Das Vomeronasale Organ sitzt im Gehirn, nicht in der Nase

Pferde oder Hunde stellen sich mit geöffnetem Maul voreinander. Beim sogenannten Flehmen strecken sie die Zungenspitze heraus, und mit dem Einatmen werden dann Geruchsstoffe am Gaumen entlang ins sogenannte Vomeronasale Organ geleitet. Die Geruchsstoffe können, so eigenartig das klingt, sowohl gerochen als auch geschmeckt werden.

Patrick Süskind schreibt im „Parfum“: „Und mitten in sie hinein ging der Duft, direkt ans Herz, und unterschied dort kategorisch über Zuneigung und Verachtung, Ekel und Lust, Liebe und Hass.“ Und spätestens während der Pandemie haben viele gelernt: Dieses Vomeronasale Organ sitzt im Gehirn, nicht in der Nase. Manche konnten mit Corona plötzlich nichts mehr riechen, andere nahmen Gerüche und Geschmäcker fremd oder abstoßend wahr.

Gerüche dringen direkt in den Kern der Gefühlszentrale vor. Das ist etwas anderes, als nur zu schauen, denn Schauen bleibt äußerlich. Wer riecht, der öffnet sich körperlich für die Welt, lässt sie in sich eindringen. Er nimmt den Duft ganz im Körper auf, wo dieser direkt ins limbische System wandert, ins Reich der Triebe.

350 Riechrezeptoren hat der Mensch, mit ihnen kann er etwa 10 000 Gerüche wahrnehmen, aber nur einige Dutzend unterscheiden. Das Sehen kommt hingegen mit nur drei Rezeptoren aus. Drei Prozent des gesamten Erbguts sind dem Riechen zur Orientierung und dem Wahrnehmen von Gerüchen verpflichtet.

Kein anderer Sinn bestimmt so stark das soziale Handeln des Menschen wie das Riechen und kein anderer Sinn ist Forschern dabei zugleich immer noch so rätselhaft. Es bleibt am Ende unmöglich, sich Gerüche wirklich lebhaft in Erinnerung zu rufen. Obwohl diese, tauchen sie wieder auf, doch selbst so starke Erinnerungen hervorrufen können. Vielleicht ist auch das ein Grund, weshalb manche auf künstliche Düfte und Parfüms zurückgreifen – sie können einfach aus dem Regal der Drogerie genommen und noch einmal versprüht werden. Das ist dann alles andere als eine Naturgewalt.