Am Sonntag, im höchsten Hochsommer, sollen die Spanier wählen gehen. Das wollen sie wohl auch. Nur die Wahldebatten interessieren sie nicht. Sie wissen schon längst, was sie wählen wollen. Die meisten haben sich für rechts entschieden.

Korrespondenten: Martin Dahms (mda)

Alberto Núñez Feijóo, der Präsident der konservativen Volkspartei (PP), zog sich am Dienstagabend einen Hexenschuss zu. Kein Wunder. Es ist Hochsommer, und Spanien befindet sich seit Mitte Mai im Dauerwahlkampf. Alle Kandidaten sehen erschöpft aus. Die Wähler versuchen sich dem Rummel zu entziehen. Die großen Fernsehdebatten hatten so wenige Zuschauer wie noch nie: jene am Montag vergangener Woche zwischen Feijóo und dem sozialistischen Ministerpräsidenten Pedro Sánchez keine 6 Millionen, die am Mittwochabend zwischen Sánchez, Vox-Chef Santiago Abascal und der Sumar-Spitzenkandidatin Yolanda Díaz nur gut 4 Millionen. Feijóo war auch eingeladen, blieb aber fern.

 

Flauer Wahlkampf

Dass dieser Wahlkampf so flau verläuft, mag daran liegen, dass alles längst passiert ist, was die Wähler zur einen oder anderen Partei treiben könnte, und dass sie keine nachträglichen Erklärungen von denen brauchen, über die sie jetzt urteilen sollen. Das singuläre Ereignis, das bis zu diesem Wahlsonntag nachwirken dürfte, geschah im Juni vor zwei Jahren: die Amnestie für neun katalanische Separatisten, die wegen Aufruhr zu hohen Haftstrafen verurteilt worden waren. Nicht nur, dass den meisten Spaniern die Amnestie der reuelosen Aufrührer missfiel, sie befestigte auch das Bild vom unzuverlässigen Sánchez, der hoch und heilig das Eine verspricht (keine Amnestie zu gewähren) und dann das Andere tut.

Und: Im Sommer vergangenen Jahres sah es so, als wollte sich die PP selbst zerlegen, und in ihrer Not besann sich die Partei auf Alberto Núñez Feijóo, den damaligen galizischen Ministerpräsidenten, und machte ihn zu ihrem Chef und Spitzenkandidaten. Feijóo, heute 61, ist zwar ein alter Narco-Freund, aber weil diese Freundschaft schon fast drei Jahrzehnte alt ist, kümmert’s die Spanier nicht. Seit der erfahrene Feijóo die PP führt, liegt sie in den Umfragen vorn. Die Partei Ciudadanos, ein paar Jahre lang Spaniens große liberale Hoffnung, bugsierte sich durch Ideenlosigkeit selbst in die Bedeutungslosigkeit, und Podemos, der linke Koalitionspartner von Sánchez, machte sich bei vielen Wählern durch Radikalität unbeliebt. Die Reste von Podemos sammelte die Arbeitsministerin Yolanda Díaz auf und schuf das Wahlbündnis Sumar, das aber nicht so viel Gewicht hat wie vormals Podemos.

Und schließlich geschah noch etwas ganz Vorhersehbares: die Annäherung von PP und Vox, der Rechtsaußenpartei, die als spanisch-nationalistische Antwort auf den katalanischen Nationalismus groß geworden ist. Für Vox ist die PP „die feige kleine Rechte“, und die PP hätte mit Vox gerne nichts zu schaffen, kommt aber nicht um sie herum, wenn sie regieren will. Die Idee einer großen Koalition aus PSOE (den Sozialisten von Pedro Sánchez) und PP ist der spanischen Kultur so fremd wie der Stierkampf der deutschen. In seiner Not bettelt Feijóo Sánchez an, er möge doch durch Stimmenthaltung eine PP-Minderheitsregierung möglich machen, was Sánchez ebensowenig tun wird wie es Feijóo in einer umgekehrten Konstellation täte. Also bleibt nur Vox.

Bedrohte Demokratie?

Vox ist allgegenwärtig, vor allem die Angst vor Vox. Pedro Almodóvar, der Filmemacher, schrieb neulich: „1933 kam Hitler an die Macht, indem er sich der demokratischen Institutionen bediente, die er später selbst zerstören sollte. Übertreibe ich? Sprechen aus meinem Mund die Angst und die Fassungslosigkeit, die ich in diesem Moment empfinde? Hoffentlich ist es das, und nicht, dass unsere Demokratie ernsthaft bedroht ist.“ Letzteres behaupten die Sozialisten. Zwei von ihnen, die ehemalige Balearen-Präsidentin Francisca Armengol und die amtierende Präsidentin Navarras, María Chivite, haben den „demokratischen Notstand“ ausgerufen. Die Vizechefin der andalusischen PSOE, Ángeles Férriz, erklärt nicht Vox, sondern „die Volkspartei von Herrn Feijóo“ zur „größten Gefahr für die Demokratie“. Und Pedro Sánchez sagt, bei diesen Wahlen gehe es nicht um einen Regierungswechsel – „die wirkliche Bedrohung ist eine Koalitionsregierung zwischen Feijóo und Abascal, was einen ernsthaften, gravierenden Einschnitt der Rechte und Freiheiten bedeuten würde“.

Nach den Regionalwahlen ist Vox in zwei Koalitionsregierungen mit der PP eingestiegen, in Valencia und in der Extremadura, und auf den Balearen haben die beiden Parteien einen Pakt geschlossen, der eine Alleinregierung der PP mit Unterstützung von Vox erlaubt. Wo es möglich war, auf den Kanaren und in Kantabrien, hat sich die PP statt mit Vox mit Regionalparteien zusammengetan. Andererseits regiert Vox in 140 (von gut 8000) Rathäusern mit, auch in sechs Provinzhauptstädten, darunter Toledo, Burgos und Valladolid.

Rechtes Realitätsversagen

Ob die Demokratie damit auf dem Rückzug ist, wird sich zeigen müssen. Am auffälligsten sind die symbolischen Gesten: das Nichtaufziehen von Regenbogenfahnen, gelegentliche absurde Zensurversuche, die Ablehnung des Begriffes Gendergewalt, die Vox lieber familiäre Gewalt nennt.

Es lohnt sich ein Blick auf die Region Kastilien und León, wo Vox bereits seit zwei Jahren mitregiert. Auffällig sind dort vor allem die legislative Untätigkeit und die administrative Überforderung der Regionalregierung. Wenn das Umfrageinstitut GAD3 recht behält, wird im kommenden spanischen Parlament nur noch ein Vox-Abgeordneter aus Kastilien und León sitzen, statt wie bisher sechs. Der Stimmanteil in ganz Spanien wird voraussichtlich von 15 auf 13 Prozent zurückgehen. Noch genug, um ein wichtiges Wort mitzureden. Feijóo wird sich nicht so schnell erholen können.