Finanzskandale, Führungskrisen und kein Rückhalt bei den Bürgern: Italiens Parteien stecken in der Krise – und das kurz vor den Wahlen.

Rom - Wo waren eigentlich die Diamanten? Zwölf Stück, so wusste es die Finanzpolizei aus ihren Ermittlungen, hatte der Schatzmeister der Lega Nord gekauft. 100 000 Euro aus der Parteikasse hatte er investiert, gedacht waren sie für zwei Senatsabgeordnete, eine davon – Rosy Mauro – sogar Vizepräsidentin der Parlamentskammer. Doch aufzufinden waren die Brillanten nirgendwo, allen Hausdurchsuchungen zum Trotz.

 

Erst nach wochenlangem Zögern rückte der Schatzmeister die Steinchen heraus, wenigstens elf, ohne Erklärung zum Verbleib des zwölften. Er lieferte bei der Staatsanwaltschaft auch gleich jenes Auto ab, das sich Renzo, der Sohn von Parteichef Umberto Bossi, zum Privatgebrauch hatte spendieren lassen – dazu fünf Kilo reines Gold. Alles bezahlt aus der Parteikasse, aus den staatlichen Zuwendungen an die Lega Nord, aus Steuergeld also.

Die Lega Nord, das war einmal die Partei, die das „ehrliche und fleißige“ Volk vor den Raubzügen der Politiker im „diebischen Rom“ zu schützen versprach. Nun kommt heraus, wie sich Bossis Familie und die Führungsclique der Lega bereichert haben. Der Sohn, trotz väterlicherseits bestätigtem Fehlen jeglichen politischen Talents untergebracht im lombardischen Parlament, nutzte seine Stellung wie einen Geldautomaten; nicht nur Zahnarztrechnungen, eine Nasenkorrektur und das Studium an einem Londoner Privatinstitut, auch die Knöllchen fürs Allzuschnellfahren bezahlte die Partei.

Aus der Parteikasse wird Privates finanziert

Bossis Frau finanzierte sich ihre Privatschule und die Renovierung des Familienhauses; die Senatorin Rosy Mauro alimentierte eine obskure Lega-Privatgewerkschaft, von der niemand weiß, wie viele Mitglieder sie hat. Selbst den Studienabschluss und den ihres Lebensgefährten bestritt Mauro aus der Parteikasse. Und auch wenn 4000 aufgebrachte Lega-Anhänger unlängst mit Besen bewaffnet und „Saubermachen! Saubermachen!“ schreiend eine Parteiversammlung dominierten – Rosy Mauro leitet weiterhin Sitzungen des Senats. Nicht einmal den Parteiausschluss nimmt sie zur Kenntnis.

Die Lega Nord ist nicht der einzige Skandal der italienischen Parteienszene. In der linken Landeshälfte sind, nach aktuellem Stand, 23 Millionen Euro verschwunden: Der Schatzmeister der kleinen links-christdemokratischen „Margherite“ hat die Auflösung seiner Partei genutzt, um mit der Kasse nach Gutdünken zu verfahren. Wobei man nicht weiß, inwieweit der luxuriös lebende Mann – er gönnte sich gerne mal einen Teller Spaghetti mit Kaviar am römischen Pantheon für 180 Euro – auf eigene Faust gehandelt hat oder ob die Chefs der Nachfolgerpartei die Millionen unter der Hand verteilen wollten.

Jede Woche wandern in Mailand Politiker in Untersuchungshaft

Jedenfalls ist eine hitzige Schlacht um die Sinnhaftigkeit, den Umfang und die Kontrolle der staatlichen Parteienförderung entbrannt. Und das Vertrauen der Bürger in die etablierten Parteien ist auf das Allzeittief von zwei Prozent gefallen. Zusätzlich steht die reiche Region Lombardei kopf: In Mailand wandert derzeit beinahe jede Woche ein Landespolitiker wegen Korruption und verwandter Delikte in Untersuchungshaft. Roberto Formigoni selbst, der Ministerpräsident aus der Berlusconi-Partei Volk der Freiheit, soll sich sündteure Karibikurlaube von dubiosen Geschäftemachern bezahlen lassen haben.

Die Parteien sahnen finanziell mächtig ab

Alles in allem weht ein Wind durch Italien wie vor zwanzig Jahren, als die „Erste Republik“ im Sumpf der Parteispenden- und Bestechungsaffäre „Tangentopoli“ versank. Die Bürger heute erfahren vom Obersten Rechnungshof, dass sich die Parteien an „Ersatz für Wahlkampfkosten“ gut viermal so viel Geld aus der Staatskasse holen, wie sie an Aufwendungen deklarieren, und dass sie sich eigenhändig – trotz eines abschlägigen Volksentscheids 1993 – die zehn Mal höhere Summe im Lauf der letzten 13 Jahre genehmigt haben.

Gianfranco Fini, der Präsident des Abgeordnetenhauses, befürchtet eine „Implosion des gesamten politischen Systems“: „Für die Parteien, für uns alle, ist die letzte Runde eingeläutet worden.“

Doch was passiert? Während die „Technikerregierung“ von Mario Monti das Land reformieren will, können sich die Parteien im Parlament nicht einmal über die Selbstreform einigen. „Wir schleppen alles so vor uns hin“, sagt ein Abgeordneter der Sozialdemokraten, deren Chef – Pier Luigi Bersani – soeben vorgeschlagen hat, die staatliche Parteienfinanzierung von dieses Jahr 180 Millionen Euro auf 90 Millionen Euro zu halbieren. Dafür hat Bersani Zustimmung geerntet. Professionelle Kommentatoren und die Römer an der Bar aber finden den Vorschlag lachhaft. Schließlich stehen Kommunalwahlen ins Haus, und konkrete Beschlüsse hat Bersani auf irgendein Nachher vertagt.

Am Sonntag beginnen die Kommunalwahlen

Zu diesen Kommunalwahlen sind am Sonntag und Montag mehr als acht Millionen Italiener aufgerufen; gewählt wird auch in 27 Provinz- und Regionalhauptstädten, darunter Genua und Palermo. Es ist der erste und einzige offizielle Stimmungstest in der Ära Monti; die Parteien werden anhand der Ergebnisse auch entscheiden, ob sie den „Cheftechniker“ bis zur regulären Parlamentswahl in zwölf Monaten amtieren lassen oder ihm im Herbst „den Stecker ziehen“, wie es Berlusconi einmal gesagt hat.

Bis jetzt wissen sie selber nicht recht, was sie wollen. Die drei großen Parteien, die Monti im Parlament eine Mehrheit von 80 Prozent sichern, beäugen einander voller Misstrauen. Wechselseitig überziehen sie sich mit allerlei Anschuldigungen und bemühen sich, die Reformen möglichst zu verschleppen. Im Inneren aber sind die Parteien alles andere als stabil. Im Gegenteil: sie zerbröckeln. Womöglich, meinen viele Beobachter, flüchten sie sich in vorgezogene Neuwahlen, um den endgültigen Ruin abzuwenden.

Die Kandidaten werden von oben nominiert

Die Führung der Sozialdemokraten registriert hilflos, dass ihr das Volk davonläuft. Bei den parteiinternen Vorwahlen für den Bürgermeisterkandidaten in vier Großstädten hat die Basis den aus Rom geschickten Kandidaten hinausgekegelt, und sich eigene gewählt: Volkstribunen statt Apparatschiks. In Mailand und Neapel hat das zu grandiosen Wahlsiegen geführt; nun steht in Genua und Palermo die Entscheidung an. Danach werden auch die unablässigen linken Flügelkämpfe in irgendeine Entscheidung darüber münden, ob die Sozialdemokraten auf die Mitte der Wählerschaft oder nicht doch eher auf den linken Rand zielen sollten. Von einer italienischen Eigenart jedenfalls wollen weder linke noch rechte Parteiführungen lassen, auch wenn die Bürger aufbegehren: die Kandidaten werden von oben nominiert, Punkt.

Noch stärker in der Identitätskrise steckt das rechte Lager, das nicht weiß, ob die Zeit Berlusconis tatsächlich abgelaufen ist oder ob er nicht zurückkommen will. Berlusconi schwankt von einem Tag auf den anderen: Mal ernennt er den jungen Angelino Alfano zu seinem Nachfolger, mal spricht er diesem „das gewisse Etwas“ für die Parteiführung ab. Ob Alfano auch Spitzenkandidat der nächsten Parlamentswahl sein darf, hat Berlusconi nicht entschieden.

Dieselben Leute machen immer weiter

Wenn es Berlusconis Volk der Freiheit dann noch gibt, als formeller Parteichef hat Alfano ein „großes neues Projekt in Italiens Politik“ versprochen; Berlusconi hat die Erwartungen tags darauf wieder demontiert. Die neue Partei, das werde „nur ein neuer Name“ sein, „aber weiterhin dieselben Leute, die an dieselbe Sache glauben“.

Derweil jedoch sind 30 Senatoren unter Führung des früheren Innenministers Giuseppe Pisanu aus Berlusconis Partei ausgezogen, um einer neuen politisch rechten Kraft ohne Personenkult den Weg zu bereiten. Auf halber Strecke entgegengekommen ist diesen Senatoren der Chef der Christdemokraten, Pier Ferdinando Casini. Er hat kurzerhand seine Partei aufgelöst und will von sich aus das Mitte-rechts-Lager erobern. „Partei der Nation“ soll die neue Kraft heißen, dem Arbeitstitel nach. Genaueres weiß keiner.

Wären am Sonntag Parlamentswahlen, so besagen es die neuesten Umfragen, wüssten mehr als 60 Prozent der Italiener nicht, wem sie ihre Stimme geben sollten. Die Quote derer, die gar nicht wählen gehen wollen, hat sich von 18 auf gut 35 Prozent verdoppelt. „Nur eins ist sicher“, schreibt der Politologe Roberto Alimonte, „die Orientierungslosigkeit der Wähler.“