Gewerbe- und Handeltreibende sind der Einladung der Leonberger Verwaltung gefolgt und diskutieren die Perspektiven der Stadt.

Der Leonberger Apotheker Hans-Helmut Scheltdorf kann sich noch genau an eine Veranstaltung im Jahr 1969 erinnern. Damals hatte der örtliche Gewerbe- und Handelsverein in den Lehrsaal der Feuerwache geladen, um über den anstehenden Wandel zu diskutieren. Und da hatte ein Kaufmann von seiner Reise nach Schweden berichtet. „Mit großem Erstaunen erzählte er, dass er dort Supermärkte gesehen hätte, wo die Kunden ihre Waren selbst in einen Wagen legten und diese dann an der Kasse bezahlten“, sagt der 82-Jährige.

 

54 Jahre sind vergangen. Supermärkte sind auch bei uns aus dem Stadtbild nicht mehr wegzudenken. Die Zentren befinden sich aktuell erneut in einem starken Wandel. Vor allem Corona hat den Online-Handel beschleunigt, den Einzelhandel und die Gastronomie in Krisen gestürzt. Die jüngste Hiobsbotschaft kam jetzt von der Warenhauskette Karstadt, die ankündigte, einige Standorte schließen zu wollen – unter anderem den im Leo-Center Ende Januar 2024.

Wie können die Innenstädte attraktiver werden?

Der Senior Hans-Helmut Scheltdorf hat nach wie vor „großes Interesse an der Urbanistik, und ich finde es spannend, wie sich Städte entwickeln“. Daher ist er einer Einladung der Leonberger Stadtverwaltung zur Perspektivenwerkstatt für Handel- und Gewerbetreibende in die Stadthalle gefolgt. Wie etwa 50 weitere Interessierte auch, deren Vorschläge für die lokale Transformation gefragt sind. Bereits im September des vergangenen Jahres waren Bürgerinnen und Bürger der Stadt zu einem Workshop eingeladen, um sich gemeinsam Gedanken zur Zukunft des Leonberger Zentrums zu machen. In den vergangenen zwei Tagen waren nun Handel und Gewerbe gefragt, ihre eigenen Ideen einzubringen, wie sie sich ihre Stadt unter dem Engelberg wünschen. Das übergeordnete Thema lautete: Was muss passieren, damit die Innenstadt attraktiver und zukunftsfähiger wird – zum Arbeiten, Leben, Erleben, Einkaufen, Bummeln?

Drei Impulsvorträge gaben zu Beginn der Veranstaltung, nach der Begrüßung durch Oberbürgermeister Martin Georg Cohn, einen Einblick, wohin die Reise gehen kann. Timo Willberger von der Miebach Consulting GmbH in Frankfurt ist für den Bereich der Geschäftsentwicklung zuständig. Sein Steckenpferd ist der Bereich Mode und Lifestyle, er entwickelte seinerseits unter anderem die Logistikplanung bei Boss in Metzingen. Wenn Timo Willberger von „Omnichannel“ spricht, beschreibt er eine zukunftsweisende Geschäftsstrategie, die E-Commerce und Einzelhandel verbindet. Sie zielt darauf ab, ein nahtloses kanalübergreifendes Einkaufserlebnis zu bieten – im Geschäft vor Ort, mobil und online. „Die Ware soll zu mir gebracht werden, damit erlebt der Kunde ein ganz neues entspanntes Einkaufsverhalten“, erklärt Willberger. An sogenannten Pick-up-Stationen werde der Kunde künftig seine Waren auch an bestimmte Orten bequem abholen können.

Leonberg will bei der IBA’27 mit dem Postareal dabei sein

Projektleiter Hans Peter Künkele gab Einblicke in die Internationalen Bauausstellung 2027 Stadtregion Stuttgart (IBA’27). Diese sucht, 100 Jahre nach dem Aufbruch der Architekturmoderne am Stuttgarter Weißenhof, nach der Zukunft des Bauens und Zusammenlebens in einem der wirtschaftlich stärksten Zentren Europas. Ausstellungsorte im Jahr 2027 sind sozial und funktional gemischte Häuser und Quartiere – hier verschmelzen Wohnen, Arbeiten, Kultur und Freizeit. „Die Frage ist: Wohne ich künftig dort, wo ich arbeite? Oder arbeite ich dort, wo ich wohne?“ Die Stadt Leonberg hat sich mit dem Postareal beworben – das noch einen weiten Weg bis zur Realisierung vor sich hat. Momentan laufen Vertragsverhandlungen mit dem Investor Strabag.

Ein erhöhtes Verkehrsaufkommen durch E-Commerce

Das Wachstum von E-Commerce erhöht das Volumen der Paketzustellungen, was wiederum das Verkehrsaufkommen und die dadurch bedingten Luftverschmutzungen in den Städten negativ beeinträchtigt. Architektin Sonja Gallo vom Kölner Studio Caspar sieht im Umbruch der Verkaufswelten daher eine Chance für die Innenstädte. „Der Handel wird sich ändern – weg vom Massenkonsum, hin zum Shopping-Erlebnis. Hierfür ist eine gute Durchmischung notwendig, die Einkaufen auch mit kulinarischen Genüssen verbindet. Wir müssen Plätze beleben und öffnen.“ In anschaulichen Beispielen zeigte sie die von ihrem Büro verwirklichten Verwandlungen der Innenstädte – unter anderem die der Sedelhöfe in Ulm.

Bestandsaufnahme für Leonberg

Der durch den Nachmittag und Abend führende Moderator Andreas von Zadow gab nun den Leonberger Gewerbe- und Handelbetreibenden Raum für eine Bestandsaufnahme in ihrem Leonberg. Auf kleine gelbe Zettel schrieben sie ihre Probleme. Und da gibt es einige: Müll im öffentlichen Raum, mangelnde Fachkräfte, zu wenig bezahlbaren Wohnraum, ein wenig belebter Marktplatz, unschöne Orte in Leonberg wie der Bahnhof, zu viele Casinos, ein fragwürdiges Image der Stadtverwaltung und des Gemeinderats, das Fehlen von hochwertigem Handel und Gastronomie, Kaufkraft wandert ab. Auch Wünsche und Lösungen waren gefragt, die die Anwesenden im Anschluss an einzelnen Branchentischen diskutierten. Fortgesetzt wurde die Veranstaltung am Dienstag.

Ein Video mit der Zusammenfassung dieser Veranstaltung und der Impulsvorträge wird ab Ende März auf der städtischen Webseite www.leonberg.de zu sehen sein.