Peter Gabriel lässt in Stuttgart die alten Zeiten hochleben. In der Schleyerhalle präsentiert er die Songs seines legendären Albums „So“. Der Altmeister bietet aber auch neues Material – und bleibt faszinierend.

Kultur: Jan Ulrich Welke (juw)

Stuttgart - Gerade ein Jahr ist es her, dass Peter Gabriel zuletzt in Stuttgart gastierte, selbstverständlich in der Schleyerhalle, die selbstverständlich rappelvoll war. Bestuhlt war sie im vergangenen Sommer, und auf der Bühne stand Gabriel mit einem Orchester, um sein Programm „Blood“ vorzustellen – zum einen seine Adaptionen von Songs aus fremden Federn, die stellenweise brillant auf seinem Album „Scratch my Back“ versammelt sind, dazu aber auch eigene, für die klassische Besetzung aufbereitete Klassiker. Sehr gut geriet ihm dieser Abend, auch aufgrund der geistreichen Präsentation.

 

Ähnlichen Einfallsreichtum hat der Genesis-Mitbegründer nun auch am Sonntag in der diesmal zwar unbestuhlten, aber natürlich wieder ausverkauften Schleyerhalle gezeigt. Zu feiern galt es den fünfundzwanzigsten Geburtstag seines legendären Albums „So“, mittlerweile ein Klassiker des Pop- und Rockmusikkanons. „Back to Front“ hat er als Motto der Tournee gewählt, um dieses Ausnahmealbum wieder ans Licht zu bringen. Und das tut der 63-Jährige, indem er es in der Schleyerhalle komplett auf die Bühne bringt. Song für Song, hintereinander weg in einem Guss.

David Bowie hat dies auf einer Tournee vor rund zehn Jahren auch schon einmal getan mit seinem nicht minder legendären Popkanonalbum „Low“, Meat Loaf hat dies zuletzt vor einigen Monaten in der Schleyerhalle mit seinem Werk „Bat out of Hell“ vollführt. Dennoch darf und muss die Frage gestattet sein, ob ein Musiker damit den Zuschauererwartungen gerecht wird oder ob ein Konzertpublikum nicht eher das Gegenteil von einem Auftritt erwartet: nämlich eine bewusst dem Studiomaterial entgegengerichtete Anordnung und Kombination von Liedern aus verschiedenen Schaffensperioden. Und noch eine zweite Frage drängt sich auf: ob man als Künstler auf diese Weise nicht sehenden Auges in die Vorhersehbarkeit schlittert, wenn jedem Zuhörer alsbald klar wird, welches Lied zwingend als nächstes folgt.

Im Gepäck: nichts als Weltklassemusiker

Aber Peter Gabriel wäre nicht ein solch erratischer Musiker, wenn er sich dabei nichts gedacht hätte. Und so hat er in der Schleyerhalle jene Weltklassemusiker dabei, mit denen er dieses Album einst eingespielt hat – wenngleich dies mitnichten vor 25 Jahren der Fall war, also nicht 1988, sondern schon 1986, aber das sei geschenkt. Der Star bei dieser Tournee ist somit die Mannschaft. Auf der Bühne finden sich unter anderem der Spitzengitarrist David Rhodes, der Ausnahmebassist Tony Levin sowie der Drummer Manu Katché, der selber längst zum Weltstar gereift ist.

Vorzügliche Musiker sind es also, die in der Schleyerhalle einen zwar viel zu laut ausgesteuerten, aber exquisiten Sound hinlegen. Allein Katchés luftig-filigranes Schlagzeugspiel ist eine Wucht. Dass zwei weitere Teilnehmerinnen der Originaleinspielung nicht dabei sind, lässt sich verschmerzen: Kate Bush wird bei „Don’t give up“ ebenso wie Laurie Anderson bei „This is the Picture“ durch die beiden Tour-Backgroundsängerinnen zwar nicht in gleicher Güteklasse, aber würdig vertreten.

Und nach dem Konzert fliegt er wieder nach Hause

Und dennoch: man muss schon ein sehr extraordinärer Musiker sein, um sich den Luxus der kompletten Albumwiedervorstellung leisten zu können. Gabriel kann sich dies leisten, definitiv. Und er tut dies auch erst im letzten Drittel dieses Konzerts, das er in der Zugabe mit „Biko“ beschließt, einem seiner größten Erfolge.

Vor allen Dingen aber nutzt Gabriel für den abschließenden „Komplettdurchgang“ einen dramaturgischen Kniff. Zum Auftakt des Konzerts, das außerordentlich pünktlich beginnt, da Herr Gabriel abends noch heimzureisen gedachte und deshalb rechtzeitig vor Einsetzen des Nachtflugverbots am Flughafen eintreffen musste (auch solche Extravaganzen muss man sich leisten können), bleibt das Hallenlicht zunächst an. Peter Gabriel kommt unprätentiös und mit einer Art schwarzem Funktionsjackenwams bekleidet auf die Bühne, setzt sich an das Piano, entblättert einen Zettel und beginnt ablesend in niedlichem Deutsch zu verkünden, dass er ein paar neue Songs vorstellen möchte, die noch nicht ihre endgültige Form gefunden haben. Das ist auf jeden Fall sehr originell, denn in die illuminierte Halle hält trotz ihrer enormen Größe eine Werkstattatmosphäre Einzug. In der Tat bekommt der Zuhörer jetzt das Gefühl, dass der Musiker ihn an der Entstehungsgeschichte dieser Stücke teilhaben lassen möchte.

Noch immer mit Lust am Experiment

Vier neue Songs sind es allerdings nur – und richtig neu sind auch sie nicht, denn streng genommen handelt es sich bei zweien von ihnen um die wohlbekannten Songs „Come talk to me“ und „Shock the Monkey“ in kammermusikalischen Neuinterpretationen. Dann wird das Licht herabgedimmt, und es folgt der mittlere der drei Konzertteile. In ihm serviert Peter Gabriel – von „Games without Frontiers“ abgesehen – seine großen Hits, die vor dem Schlussakkord noch fehlen. Los geht es mit „Digging in the Dirt“, am Ende des Mittelteils folgt „Solsbury Hill“, ehe die nun tatsächlich wieder neue Ballade „Why don’t you show yourself“ erklingt.

Ein „Drei-Gänge-Menü“ aus Vorspeise, Hauptgang und Nachtisch werde er bieten, hat Peter Gabriel zu Beginn des Konzerts versprochen. Das hat er eingelöst, und es hat auch sehr gut gemundet. Denn das Album „So“ hat für den Musiker zwar einst einen Wendepunkt markiert, weg vom progressiven Sound, hin zum Mainstream. Aber dem Briten ist die Lust am Experiment noch lange nicht vergangen. Das hat er zuletzt mit den beiden Alben „Scratch my Back“ und „And I’ll scratch yours“ vorgeführt. Und das hat Peter Gabriel nun auch wieder mit der raffinierten Konzertdramaturgie in der Stuttgarter Schleyerhalle unter Beweis gestellt.