Pflanzenschutzmittel sind höchst umstritten – doch Landwirt Werner Kunz aus Zeutern bei Karlsruhe erklärt offen, warum er solche Spritzmittel für notwendig hält.

Klima/Nachhaltigkeit : Thomas Faltin (fal)

Zeutern - Werner Kunz hat rein gar nichts zu verbergen. Er ist einer von grob 30 000 Landwirten in Baden-Württemberg, die Pflanzenschutzmittel einsetzen, auch Glyphosat. Obwohl das alles zuletzt in Verruf geraten ist, führt der 61-Jährige aus Zeutern im Landkreis Karlsruhe bereitwillig durch die Scheunen seines Damianushofes, zeigt seine Spritzmaschinen und nennt Zahlen. Etwa 500 Liter an Pflanzenschutzmitteln verwende er jährlich für seine 200 Hektar Äcker und zehn Hektar Weinberge, alles verdünnt in 125 000 Litern Wasser.

 

Ist das viel? Ist das zu viel?

Eigens breite Streifen mit Kräutern und Sommerblumen eingesät

Jedenfalls merkt man im Gespräch mit Werner Kunz schnell, dass er nicht taugt als Schreckgespenst der Pestizidgegner, ja nicht einmal als Beispiel für einen rein profitorientierten Bauern, dem die Natur egal ist. Im Gegenteil: An seinem Aussiedlerhof hat Kunz breite Streifen mit Kräutern und Sommerblumen eingesät, obwohl er dafür kein Geld bekommt. Er versucht, den Raps in der Blütezeit gar nicht zu spritzen, und wenn es sich gar nicht umgehen lässt, dann erst nach Sonnenuntergang, damit garantiert keine Bienen mehr darauf sitzen. Und er ist durchaus selbstkritisch. „Das Artensterben beschäftigt mich“, sagt er: „Wenn wir Landwirte dafür mitverantwortlich sein sollten, dann müssen wir etwas tun.“ Grundsätzlich aber steht Kunz dazu, Spritzmittel zu verwenden. In diesem ungewöhnlich heißen und feuchten Frühsommer entstünden zum Beispiel viele gesundheitsgefährdende Pilze – das Risiko sei groß, dass später zu viele davon im Getreide seien, wenn man keine Fungizide einsetze. Er fragt sich schon, ob Ökobetriebe da immer die Grenzwerte einhalten könnten. Oder der Raps sei besonders anziehend für Schädlinge, vom Erdfloh über den Glanzkäfer bis hin zur Kohlschotenmücke – wie soll man da ohne Insektizide auskommen?

Motto: So viel Pflanzenschutz wie nötig, so wenig wie möglich

Die Lösung für Werner Kunz heißt: so viel wie nötig, so wenig wie möglich. Im Fachjargon sagt man dazu „integrierter Pflanzenschutz“. Das bedeutet, dass Kunz alles tun will, um die Menge an Pestiziden möglichst gering zu halten. So zahlt er einen Beratungsdienst, der Schädlingsbefall, Wetter und sonstige Bedingungen beobachtet und ihm mitteilt, wann welche Spritzung erforderlich ist – und wann man auch auf eine verzichten kann. In diesem Jahr habe er so durch den Frost im Spätwinter kaum Glyphosat einsetzen müssen.

Daneben arbeitet er mit den neuesten Maschinen. Allein das Spritzgerät für die Weinberge hat 15 000 Euro gekostet – die Spezialdüsen sollen dafür sorgen, dass das Pflanzenschutzmittel genau dosiert und nicht mehr davongeweht wird. So kann es etwa nicht mehr in Gewässer gelangen, wo es viel Schaden anrichten könnte. Mächtig Eindruck macht allerdings die große Spritzmaschine für die Äcker: 2200 Liter passen in die beiden Tanks vorne und hinten am Traktor rein, 21 Meter breit ist der Ausleger mit den Spritzdüsen. 40 Hektar kann er damit an einem Tag bearbeiten.

Zudem beteiligt sich Werner Kunz an einer Aktion, durch die entlang der Äcker mehrere Meter breite Streifen nicht mehr bewirtschaftet, sondern mit Blühmischungen versehen werden. Dafür enthält er eine Entschädigung vom Land – und tatsächlich summt und brummt es in diesen Feldern heftig. Hummeln, Bienen, Heuschrecken und viele andere Insekten haben diese Wiesen erobert. Insgesamt würden bisher 12 000 Hektar in Baden-Württemberg so umgenutzt, sagt Werner Kunz. Das ist zwar nicht einmal ein Prozent der landwirtschaftlichen Fläche, aber: „Nur die Landwirte sind in der Lage, so schnell so viele Flächen ökologisch umzugestalten.“

Mehr spritzen bedeutet höhere Kosten

Zuletzt ist es für Werner Kunz schlicht eine Frage des Geldes, bei den Spritzmitteln zu geizen. Er nennt ein Beispiel: Beim Raps habe er Kosten von 700 bis 800 Euro pro Hektar; darunter machten die Pflanzenschutzmittel 150 Euro aus. Wenn er mehr spritzen würde, dann würde sich sein Ertrag von 200 bis 300 Euro pro Hektar schnell um ein Viertel oder die Hälfte verringern. Das will kein Landwirt.

Alle Pflanzenschutzmittel wegzulassen, hält Werner Kunz aber nicht für möglich. Allein das Verbot von drei Neonicotinoiden vor kurzem führe dazu, dass die Landwirte beim Raps einen Ertragsrückgang um fünf bis zehn Prozent hätten. Auf längere Zeit würden deshalb viele Bauern womöglich ganz auf den Anbau von Raps verzichten, was aber wieder andere Probleme nach sich ziehe. Denn Raps beuge durch seine tiefen Wurzeln der Bodenerosion vor. Beim Glyphosat hofft er auf Bundesagrarministerin Julia Klöckner (CDU), die ein Vermeidungskonzept vorlegen will. Die sogenannte Sikkation, bei der das Getreide kurz vor der Ernte mit Glyphosat abgetötet wird, müsse zurecht verboten werden, sagt Kunz – in Baden-Württemberg sei das sowieso nie gemacht worden. Hier nutze man das Mittel vorwiegend, um im Frühjahr die Zwischenfrucht, mit der man dem Boden überschüssiges Nitrat entziehe, zu vernichten, damit man sie besser einarbeiten kann. „Das wollen die Umweltschützer ja auch, dass nicht zu viel Nitrat im Boden ist“, sagt Kunz: „Und so schützen wir zudem auch unsere Äcker vor Erosion.“

Kunz: „Viele Landwirte sind völlig frustrerit.“

Was Werner Kunz und seinem Sohn Jochen, der den Damianushof übernehmen wird, emotional zu schaffen macht, ist vor allem die Ablehnung, die ihnen aus Teilen der Gesellschaft entgegenschlägt: „Viele Bauern sind völlig frustriert, weil man sie für alles verantwortlich macht, was in der Umwelt schiefläuft.“ Dabei sei längst nicht erwiesen, ob nicht auch die Autoabgase oder der Lichtsmog mit Schuld seien für das Insektensterben. „Das muss untersucht werden“, fordert Kunz.

Der Sohn Jochen Kunz will aber nicht aufgeben. Er hat an der Straße nach Zeutern, mitten in einem bunt blühenden Feld, ein Schild aufgestellt: „Landwirtschaft mit Leib und Seele.“ Am liebsten würde er ganz auf einen Öko-Betrieb umstellen. Doch das ist nicht so einfach für einen reinen Ackerbaubetrieb. Denn jeder Hof muss seinen organischen Dünger selbst herstellen, bei ihnen wären das 5000 Tonnen pro Jahr. Woher nehmen ohne Kühe und Schweine?

Etwas ungerecht behandelt fühlt sich Werner Kunz auch deshalb, weil die Landwirtschaft in Baden-Württemberg immer noch vergleichsweise naturnah ausgerichtet sei. Im Osten seien die Äcker 20 mal so groß. Und wenn hier auf Pflanzenschutzmittel verzichtet und dadurch weniger geerntet würde, dann müsste man mehr Lebensmittel aus dem Ausland einführen – und dort werde unter noch viel schlechteren ökologischen Bedingungen produziert. Spritzmittel wegzulassen, sei also schön und gut. Einfach sei es aber keineswegs.

Fakten zur Landwirtschaft

Betriebe

Im Jahr 2016 hat es in Baden-Württemberg noch 40 500 landwirtschaftliche Betriebe gegeben. Fast zwei Drittel davon sind aber nebenberuflich betriebene Höfe. Die durchschnittliche Größe lag bei 35 Hektar – Werner Kunz hat mit seinen 210 Hektar also einen sehr großen Hof. Rund 3500 Betriebe, also weniger als zehn Prozent, wirtschaften auf ökologische Weise.

Pestizidbericht

Laut dem Pestizidbericht des Nabu wurden im Südwesten 2309 Tonnen an Pflanzenschutzwirkstoffen ausgebracht, darunter als häufigstes Mittel Glyphosat mit 200 Tonnen. Der Hauptanteil entfällt mit 1300 Tonnen auf Fungizide. Diese Werte wurden aus bundesweiten Zahlen errechnet und stehen in der Kritik. Landeszahlen will die Politik aber weiterhin nicht veröffentlichen. http://stzlinx.de/insektensterben