Gerlingen hat sich als eine von drei Kommunen an einem landesweiten Pilotprojekt beteiligen, das die Beteiligung von 16- und 17-Jährigen an der Kommunalwahl steigern wollte. Doch nach der Wahl stellte sich heraus, dass gar nicht ausgewertet werden darf, wie viele Minderjährige abgestimmt haben. Ein Versuch, nachträglich an die Zahlen zu kommen, ist nun vom Innenministerium untersagt worden.

Gerlingen - In den Wochen vor der Kommunalwahl am 25. Mai ist in Gerlingen eine breite Kampagne gelaufen, um junge Leute zum Urnengang zu motivieren. „Zehn Plus“ hieß die Aktion der Landeszentrale für politische Bildung, die der Jugendgemeinderat begeistert unterstützte. Das Ziel war es, in drei Pilotkommunen zehn Prozent mehr junge Leute als im landesweiten Durchschnitt zur Wahl zu locken. Ob man dieses erreicht hat, wird man – zumindest in Gerlingen – nicht feststellen können.

 

Denn schon wenige Tage nach der Wahl stellte sich heraus, dass die Auswertung nicht ganz einfach werden würde. Die Stadt verwies auf die Gesetzeslage – und danach ist in Gerlingen aufgrund der Größe eine Sonderauswertung der Wählerverzeichnisse nicht möglich. Die Landeszentrale war von den Hürden ebenfalls überrascht, verwies aber auf eine rasch eingeholte positive Stellungnahme des Landesdatenschutzbeauftragten. Gerlingen dagegen wollte sich bei den Behörden rückversichern.

Gerlingen ist für eine Wählerauswertung zu klein

Nun landete der definitive Bescheid aus Stuttgart im Gerlinger Rathaus – ein kurzer Brief aus dem Innenministerium. Dort war die Sache letztendlich gelandet, nachdem sich die Gerlinger Stadtverwaltung nach der Wahl an das Statistische Landesamt gewandt hatte. Man habe beantragt, nachträglich die Beteiligung der Jungwähler aus den Wählerverzeichnissen auslesen zu dürfen, hieß es. Das Ministerium beschied die Anfrage kurz und bündig. Nur „Statistikstellen“ dürften solche Auswertungen vornehmen, hieß es in der Antwort. 17 Städte im Land erfüllten die Voraussetzung. In Gerlingen sei aber keine solche Statistikstelle, also dürften die Wählerverzeichnisse auch nicht ausgewertet werden. Zudem wurde auf eine Kleine Anfrage im Landtag verwiesen. Darin heißt es unter anderem, das Wahlgeheimnis müsse gewahrt werden – und das umfasse auch die Tatsache, wer gewählt habe.

Die Gerlinger Stadtverwaltung war bei ihrer Anfrage an das Landesamt „davon ausgegangen, dass es möglich sein könnte“, eine Genehmigung zu erhalten. Andererseits, so die Hauptamtsleiterin Ulrike Hoffmann-Heer, „ist unsere Auffassung bestätigt worden“. Danach habe man „aus dem Gesetz herausgelesen“, dass eine nachträgliche Auswertung der Wählerverzeichnisse nicht möglich sei. „Bei Wahlen muss man sich doppelt absichern.“ Es sei „schade, dass es mit der Auswertung nicht geht“. Es liege der Stadtverwaltung aber fern, „jemandem den Schwarzen Peter zuzuschieben“. Der Jugendgemeinderat wollte sich zu der nun endgültigen Absage nicht äußern, hatte sich nach Bekanntwerden der Hürden nach der Wahl bereits enttäuscht gezeigt über den weiteren Verlauf des Projekts.

Die anderen Pilotkommunen haben dennoch ausgewertet

In Walldorf – einer weiteren Pilotkommune von Zehn Plus – hat man dagegen wenig Aufhebens gemacht. Im Juli hatten dort im Auftrag der Stadt drei Mitarbeiter der Landeszentrale an einem Tag „Wählerverzeichnisse durchgeackert“, um doch noch an die Zahlen der Jungwähler zu gelangen, so die Kommune. Das Ergebnis: 50,6 Prozent der 16- und 17-jährigen Wahlberechtigten gaben ihre Stimmen ab, für die Beteiligten ein großer Erfolg. Den hätte Wolfgang Berger, der für das Projekt zuständige Leiter bei der Landeszentrale, auch gerne für Gerlingen verkündet, wo er ebenfalls nachträglich auswerten lassen wollte.

Für die drei Städte des Projekts habe er die Genehmigung des Landesdatenschutzbeauftragten gehabt, eine Auswertung vorzunehmen, sagt der Politologe. Nach der Antwort des Innenministeriums „mag das alles wasserdicht sein“. Er hofft nun, dass bis zur nächsten Wahl die Hürden für Auswertungen gesenkt werden. Die Vermittlung von Basisinformationen zur Wahl habe jedenfalls „wunderbar geklappt“.

Von den Problemen in Gerlingen zeigte sich die Walldorfer Bürgermeisterin Christiane Staab (CDU) überrascht. Sie habe eigentlich damit gerechnet, dass das Innenministerium von sich aus ermittle, wie viele junge Menschen wählen gegangen seien und welche Maßnahmen für die Zukunft Erfolge versprechen. „Wir haben gewaltige Kosten gehabt“, sagte sie über die Beteiligung an dem Jungwähler-Projekt. Eigentlich hätte das Land, quasi als Verursacher, diese übernehmen sollen. „Da ist völlig planlos vorgegangen worden“, sagte sie über die Regierung.

Statistik: viele Jungwähler in den großen Städten

Erhebung
Der Städtetag Baden-Württemberg hatte anlässlich der Herabsetzung des Wahlalters große Städte gebeten, die Beteiligungsquote von 16- und 17-Jährigen auszuwerten. Dabei kam heraus, dass in diesen 14 Städten die Beteiligung in dieser Altersgruppe mit 40,6 Prozent höher lag als bei den 18- bis maximal 25-Jährigen (30,3 Prozent). Der Anteil der minderjährigen Wähler liegt aber unter dem aller Wahlberechtigten (42,8 Prozent).

Ausreißer
Besonders hoch war mit 58 Prozent die Beteiligung der Jungwähler in Freiburg (gesamt: 51,4 Prozent), Esslingen (53,8 zu 46,2 Prozent) und Ulm (52,4 zu 46,4). Deutlich weniger Minderjährige gingen dagegen in Mannheim (26,1 Prozent, gesamt: 38,7) und Reutlingen (28,5 zu 38,9) zur Wahl.

Ludwigsburg
Auch die Barockstadt hat ausgewertet. Demnach haben 38,8 Prozent aller 16- und 17-Jährigen ihre Stimme abgegeben, bei den 18- bis einschließlich 24-Jährigen waren es 33 Prozent. Insgesamt gingen 44,8 Prozent aller Ludwigsburger Wahlberechtigten an die Urne.

Kommentar: Doppelt verwählt

Panne
Gut gemeint ist nicht immer gut gemacht – das beweisen die Stadt und die Landeszentrale bei der Jungwähler-Kampagne.

Sie haben viel Zeit und Mühe investiert: die Jugendgemeinderäte haben unter anderem ein Speed-Dating mit Kommunalpolitikern organisiert und ein Video gedreht, unterstützt von den Schulen und der Stadt, die per Postkarte zur Wahl aufrief. Und die Landeszentrale für politische Bildung entwickelte Ideen und Infomaterialien. Doch bei allem Eifer, so scheint es, haben sie das Wichtigste vergessen: die Bewertung ihrer eigenen Arbeit.

Man kann es geradezu peinlich nennen, dass für ein landesweites Pilotprojekt, das den Erfolg einer Wahlkampagne quantifizieren sollte, nun ausgerechnet keine Zahlen vorliegen, zumindest in einer der drei Kommunen. Den Schwarzen Peter will sich offiziell zwar niemand zuschieben; doch sowohl die Landeszentrale als auch Gerlingen hätten sich vorab informieren müssen, wie es nach der Wahl weitergehen soll. Zu sehr hat man sich da auf den anderen verlassen, dass die Auswertung funktioniere.

Es kommt nun zu spät, dass Gerlingen sich jetzt um einen korrekten Ablauf bemüht. Mit dem aus ihrer Sicht korrekten Weg hat sich die Stadt erneut verwählt und damit vielleicht schlafende Bürokratie-Hunde geweckt. Denn was bei einer Auswertung ohne Erlaubnis geschehen wäre, vermochte das Ministerium nicht zu sagen.

Rückgängig machen lässt sich all das nicht mehr. Vielleicht bleibt aber wenigstens für die Jugendgemeinderäte eine tröstliche Bilanz: sie haben dank der Kampagne praktische Politik gelernt.

Julia Schweizer