Brigitte Dethier, die Intendantin des Jungen Ensembles Stuttgart (JES), über die neue Saison, wie das Theater durch die Corona-Pandemie kommt und was sie für die Zeit danach befürchtet.

Bauen/Wohnen/Architektur : Nicole Golombek (golo)

Stuttgart - Brigitte Dethier, die Intendantin des Jungen Ensembles Stuttgart (JES), sagt im Interview, wie ihr persönliches Motto für ihre letzte Spielzeit an dem Kinder- und Jugendtheater lautet und warum Netzwerke im Theater wichtig sind.

 

Frau Dethier, ein ziemlich mächtiges Spielzeitheft haben Sie fürs JES veröffentlicht: ist zu Ihrer letzten Saison als Intendantin so viel geplant?

Nein, wir machen fünf Premieren. Aber dafür ist das Heft zugleich ein Rückblick auf die Intendanz mit allen Stücken und Spielclubs, die wir herausgebracht haben, und allen Beteiligten, die dabei waren – das sind über 250 Produktionen. Deshalb heißt das Spielzeitmotto auch „We are JES“ – wir alle zusammen sind das JES. Das zeigt sich auch mit der ersten Premiere „Generation S 2021“.

Inwiefern?

Vor zehn Jahren hat Christian Müller, damals noch Regieassistent bei uns am Haus, in einem Spielclub 16-Jährige über ihr Leben und ihre Wünsche und Ansichten über die Gesellschaft zu Wort kommen lassen. Das war sehr erfolgreich und wurde zum Theatertreffen der Jugend eingeladen. Jetzt sind sie wieder da und reflektieren als 26-Jährige, wieder inszeniert von Christian Müller, was aus ihren Hoffnungen geworden ist. Zugleich zeigt ein Jugendclub in einer Produktion, die einen Tag vorher Premiere hat, was 16-Jährige heute beschäftigt.

Und was beschäftigt eine Intendantin in ihrer letzten Spielzeit?

Erst einmal habe ich auf mein Arbeitsbuch „Freu dich nicht zu spät“ geschrieben. Ich genieße die letzte Saison und bin ich neugierig auf alles Neue nach meiner Intendanz. Vor allem aber bin ich glücklich, wieder vergleichsweise „normal“ proben zu dürfen.

Haben Sie denn noch Überhänge aus der Corona-Zeit?

Nur ein Stück – von meiner Nachfolgerin Grete Pagan über starke Gefühle: „Unbändig“. Darauf freuen wir uns. Wir wollen zudem die Produktionen häufig spielen, die während der Pandemie nur ganz kurz für ein, zwei Vorstellungen zu sehen waren.

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Ein Stück auf dem Premierenzettel kommt einem bekannt vor: „Hotel Europa“.

Genau, es ist eine internationale Produktion zu dem wichtigen Thema Europa mit tollen Partnern und meine Regiearbeit, mit der ich mich vom JES verabschiede. Wegen Corona mussten wir zwei Mal verschieben. Jetzt sind wir glücklich, dass wir sogar noch unsere externe Spielstätte nutzen können.

Was für ein Ort ist das?

Wir hatten nach langem Suchen ein altes Gemeindezentrum gefunden, das bald abgerissen werden sollte und hatten schon Sorge, jetzt etwas Neues suchen zu müssen. Aber es gab eine Bauverzögerung und so können wir dort sein, auch in der Kirche und einem Kindergarten. Es ist ein altes Interieur mit Holzvertäfelungen und viel Resopal, wie in einem Bühnenbild von Anna Viebrock – herrlich.

Wie steht es finanziell ums JES nach all den Schließzeiten wegen der Pandemie?

Anders als die freien Künstlerinnen und Künstler haben wir eine feste Finanzierung, und wir müssen uns als Kinder- und Jugendtheater nicht so sehr durch Eintrittsgelder finanzieren wie andere Theater. Die Krise hat zugleich gezeigt, wie wichtig ein gutes Netzwerk und Solidarität unter Kolleginnen und Kollegen ist, und dass das JES nicht mehr wegzudenken ist. Das ist gut. Ich hoffe nur, dass nun nicht das dicke Ende nachkommt und die Kulturhaushalte gekürzt werden.

Nicht gekürzt oder abgesagt wurde das Festival „Schöne Aussicht“ - 2022 findet wieder eines statt. Wie konnten Sie das überhaupt vorbereiten, während die Theater geschlossen waren?

Wie haben einige Stücke beim Festival, das – von 2020 auf 2021 verschoben – im Sommer stattgefunden hat, nicht zeigen können. Die werden 2022 auf dem Programm stehen. Viel reisen konnten wir tatsächlich nicht. Aber da es ja auch mein letztes Festival ist, passt es ganz gut, dass wir Theater und Gruppen ansprechen, die uns in den vergangenen Jahren begleitet haben.

Info

Zur Person
Brigitte Dethier, 1959 in Haslach im Schwarzwald geboren, ist seit dem Jahr 2002 Intendantin des im selben Jahr gegründeten Jungen Ensembles Stuttgart (JES).

Sie studierte Germanistik, Theaterwissenschaften und Psychologie in Frankfurt am Main und absolvierte eine Schauspielausbildung in Heidelberg. Sie war von 1989 bis 1993 die Leiterin des Kinder- und Jugendtheaters an der Landesbühne Esslingen, von 1993 bis 1995 in selber Funktion am Landestheater Tübingen. Von 1996 bis 2002 leitete sie als Direktorin das Kinder- und Jugendtheater Schnawwl in Mannheim.

2014 erhielt sie den Verdienstorden des Landes Baden-Württemberg für die Gründung und erfolgreiche Arbeit am JES. An der Hochschule für Musik und Darstellende Künste in Stuttgart unterrichtet sie Schauspiel.

Die Premieren im Jungen Ensemble Stuttgart
„Generation S“ (ab 14 Jahre) in der Regie von Christian Müller am 2. Oktober um 19 Uhr.

„Archiv der Körper“ (ab 12) in der Regie von Denise Hafermann am 23. Oktober.

„Oma Monika“ (ab 8) in der Regie von Milan Gather mit Brigitte Dethier als Oma Monika am 28. November.

„Unbändig“ (ab 5) in der Regie von Grete Pagan am 4. Dezember.

„Hotel Europa“ (ab 14) in der Regie von Brigitte Dethier am 1. Mai.

www.jes-stuttgart.de