Der britische Landesteil Wales hat den ersten schwarzen Regierungschef Europas gewählt. Man begreift das dort als Ausweis für Modernität und ist stolz darauf.

Korrespondenten: Peter Nonnenmacher (non)

Das britische Fürstentum Wales, das über ein eigenes Parlament und weitreichende Selbstverwaltung verfügt, ist von sich selbst überrascht und sichtlich stolz: Als erstes Land in Europa könne Wales jetzt nämlich auf einen schwarzen Regierungschef verweisen, erklärt man in Cardiff. Mit seiner Wahl zum walisischen Labour-Vorsitzenden am Wochenende rückt der in Sambia geborene Vaughan Gething an diesem Mittwoch offiziell zum Ersten Minister der walisischen Regierung auf.

 

Symbolische Bedeutung

Wales betrachtet sich seit jeher als eigene Nation, weshalb es zum Beispiel im Sport genau wie Schottland und England eigene Nationalmannschaften zu internationalen Turnieren schickt. Ein souveräner Staat ist es, als Teil des Vereinigten Königreichs, freilich nicht. Aber die symbolische Bedeutung der Wahl Gethings ist unbestritten. Diese „historische“ Wahl verdeutliche „den Fortschritt und die Werte des modernen Wales“, gratulierte Großbritanniens Labour-Vorsitzender Sir Keir Starmer dem erfolgreichen Parteikollegen. Dieser sprach die Hoffnung aus, dass seine Wahl auch bislang zögerliche Landsleute ermutigen werde, sich ins öffentliche Leben zu wagen: „Dass sie denken werden – das ist echt auch was für mich.“

Hart im Nehmen

Seine ersten beiden Lebensjahre verbrachte Gething in Sambia, mit seiner Mutter, die dort eine Farm betrieb, und seinem Vater, einem walisischen Tierarzt, der in Sambia damals arbeitete. Als dem Vater im walisischen Abergavenny ein Job in Aussicht gestellt wurde, zog dieser mit seiner Familie zuversichtlich zurück in die „alte Heimat“. Aber aus dem Job wurde nichts – offenbar wegen Ressentiments gegen die Hautfarbe der „afrikanischen Zuzügler“ zu jener Zeit.

Auch in der Schule, wo er wie viele walisische Jungen Rugby spielte, bekam Gething Rassismus und Ablehnung zu spüren. Damit müsse man „eben fertig werden“, hätten seine Eltern stets gesagt. Tatsächlich waren zur Zeit seiner Kindheit noch sämtliche Westminster-Abgeordneten weiß. Selbst als er vor gut 20 Jahren zum ersten schwarzen Präsidenten in der Geschichte des walisischen Studentenverbandes gewählt wurde, gab es keinen einzigen schwarzen Minister im britischen Kabinett. Mittlerweile sei es aber so weit, dass man „eine neue Seite in unserer nationalen Geschichte aufschlagen“ könne, findet Cardiffs künftiger First Minister.

Die politische Szene Großbritanniens ist heute bemerkenswert vielfältig, was ethnische Ursprünge betrifft. In Schottland ist seit Kurzem Humza Yousaf von der Schottischen Nationalpartei Erster Minister. Yousaf stammt von pakistanischen Eltern ab. Die Familie seiner Frau kommt aus Gaza – was zuletzt Schlagzeilen machte. Bereits seit 2016 ist der moslemische Labour-Politiker Sadiq Khan, ebenfalls pakistanischer Herkunft, Bürgermeister Londons und damit Chef der größten Metropole Westeuropas. Khans Aufstieg zum „Mayor“ an der Themse war ein echter Durchbruch, zumal zu Zeiten interner Spannung und blutiger Terroranschläge. Noch kürzlich hatte der frühere Tory-Vizegeneralsekretär Lee Anderson, der inzwischen zur rechtspopulistischen Partei Reform UK abgewandert ist, Khan vorgeworfen, „die Islamisten“ hätten ihn „im Griff“.

Großbritanniens konservativer Premier Rishi Sunak ist ebenfalls anderer ethnischer Herkunft als die seiner Parteimitglieder oder Wähler. Er stammt von indischen Eltern ab und ist Hindu. Oft hat Sunak darauf verwiesen, dass es sonst nirgendwo in Europa „eine derartige Vielfalt“ in politischen Spitzenpositionen gebe wie auf den Britischen Inseln. So sind auch Innenminister James Cleverly und Wirtschaftsministerin Kemi Badenoch dunkelhäutig.