Am Freitag soll erstmals ein privat gebautes und entwickeltes Raumschiff an der internationalen Raumstation ISS andocken. Kann ein Unternehmen das übernehmen, was staatliche Raumfahrtbehörden nicht mehr leisten können?

Stuttgart - Es sind große Worte, aber vor großen Worten haben Amerikaner weniger Scheu als Deutsche: „Ein ganz neues Zeitalter der Raumfahrt“ sieht Garrett Reisman kommen, und in der Sache sieht es so aus, als bekäme er in diesen Tagen recht. Was derzeit 380 Kilometer über der Erde, bei der Internationalen Raumstation ISS, geschieht, ist, ob es nun perfekt funktioniert oder nicht, ein Bruch mit der Weltraumfahrt, wie sie bisher war.

 

Garrett Reisman ist die Verkörperung dieses Bruches. Der Astronaut war zweimal auf der ISS, trainiert von der staatlichen Raumfahrtorganisation Nasa und transportiert in Shuttles der Nasa. Heute arbeitet Reisman bei einem privaten Unternehmen, der Firma Space Exploration Technologies, kurz Space-X, des in Südafrika geborenen Milliardärs Elon Musk, Jahrgang 1971. Im Dezember 2011 hat Space-X bewiesen, dass es in der Lage ist, eine Raumkapsel ins All und heil wieder zurückzubringen. Das war bis dahin erst fünf Staaten und der Europäischen Union gelungen. Raumfahrt war eine staatliche Angelegenheit. Möglicherweise wird das in diesen Tagen anders, zumindest in den USA. Von einer Privatisierung der Raumfahrt hat man dort schon lange gesprochen. Doch nun nähert sich zum ersten Mal tatsächlich ein privat entwickeltes und gebautes Raumschiff der ISS. Die Rakete Falcon 9, die in dem erst 2003 gegründeten Unternehmen Space-X entwickelt und gebaut wurde, hat die Raumkapsel Dragon – ebenfalls ein Eigenbau – erfolgreich auf die Reise gebracht.

Bisherige Versuche sind an Finanzproblemen gescheitert

Space-X hat mit dieser Leistung derzeit keine ernsthafte Konkurrenz. Zwar hatte die Nasa im Jahre 2008 außer Space-X auch noch das Unternehmen Rocketplane Kistler als Partner ausgewählt. Doch die Firma scheiterte 2010 an Finanzproblemen. Elon Musk dagegen kann sich auf ein komfortables Finanzpolster stützen: 2002, ein Jahr vor der Gründung von Space-X, hat er die von ihm mitbegründete Firma Paypal an Ebay verkauft – für 1,5 Milliarden Dollar. Die Nasa hat dem Raumfahrtbegeisterten einen Vertrag über vorerst zwölf Flüge zur ISS gegeben. Kosten: 1,6 Milliarden Dollar – ein Festpreis, wie Space-X betont.

Auf der Raumstation wird der unbemannte Sendbote der neuen Zeit mit einer gewaltigen Portion Skepsis empfangen. Bevor Dragon sich der ISS nähern darf, wird die Kapsel ausgiebig getestet. Am Donnerstag musste der Drache noch im Anflug beweisen, dass seine Navigationssysteme arbeiten und er sich im Notfall auch schnell von der ISS zurückziehen kann. Dann durfte er sich auf 2,5 Kilometer der ISS nähern. Schließlich musste die Kapsel im Abstand von sieben bis zehn Kilometern eine Runde um die ISS drehen.

Erst dann darf das für Freitagmorgen geplante, eigentliche Manöver beginnen: Weitere fünf Prüfungen muss Dragon bestehen, nach jeder kommt Freigabe oder Abbruch der Aktion von der Missionskontrollstation in Houston, Texas. Stufenweise darf sich Dragon auf 2,5 Kilometer, 1,4 Kilometer, 250, 30 und schließlich zehn Meter nähern. Dragon wird von dem 17,6 Meter langen Roboterarm der ISS eingefangen und zur Andockstelle geführt.Einen Tag später wird die Mannschaft der ISS die Tür zu der Drachen-Kapsel öffnen. 18 Tage hat sie nun Zeit, die 460 Kilo Ladung zu löschen und durch 620 Kilo Müll zu ersetzen. An Bord sind Verpflegung, Wasser und Kleidung – absichtlich nichts Unentbehrliches; schließlich ist es ein Premierenflug. 450 Kilometer vor der Westküste der USA soll Dragon schließlich an Fallschirmen im Pazifik landen.

Das offizielle Russland reagiert bisher mit Zurückhaltung

Bis 2015 will Space-X die vereinbarten zwölf Flüge zur ISS absolvieren. Dazu stehen zahlreiche kommerzielle Starts auf dem Programm. Dragon ist als Vielzweck-Kapsel gebaut. Sie kann bis zu sechs Tonnen Fracht oder sieben Astronauten transportieren und soll erstmals 2014 unter dem Namen Dragon-Lab auch wissenschaftliche Experimente im All möglich machen.

Zur Zeit stellt Russland das einzige Transportmittel zur ISS. Auf den Space-X-Flug hat es bisher nicht reagiert, zumindest hat kein namhafter Politiker offiziell dazu Stellung genommen. Der Moskauer Raumfahrtagentur Roskosmos war der Start nicht einmal eine Nachricht auf der Homepage wert. Deutlich zu Wort gemeldet hat sich der Rundfunksender Kommersant FM. Mittelfristig könne Space-X, das 2015 auch Menschen für 20 Millionen Dollar ins All schicken wolle, ein ernsthafter Konkurrent für Russland werden, hieß es in einem Kommentar. Sobald Dragon seine Zuverlässigkeit nachgewiesen habe, müsse damit gerechnet werden, dass viele Kontrakte zu Space-X abwandern.

Garrett Reisman hat schon im März genau diese Rechnung aufgemacht. 20 Millionen Dollar, das sei der Preis pro Sitzplatz in Dragon. Die Russen verlangten 60 Millionen pro Person für den Flug mit der Sojus-Kapsel. Die ist mit drei Personen voll besetzt und dennoch teurer als Dragon.