Auf dem Weg zu einem neuen Parteiprogramm gönnt sich die CDU einen langen Tag der Selbstbesinnung. Und im Hintergrund ist das AfD-Thema allgegenwärtig.

CDU-Chef Friedrich Merz liest gerade ein Buch. „Die Welt geht unter, aber ich muss trotzdem arbeiten?“ lautet der Titel. An diesem Samstag hat er dennoch gearbeitet. Auf dem Programmkonvent seiner Partei denkt er laut über die Frage nach: „Was ist grundsätzlich an der CDU?“ Die Frage treibt auch viele der 370 000 Parteimitglieder um und manche unter den Millionen, die gelegentlich CDU wählen. Der Konvent soll erste Antworten auf dem Weg zu einem neuen Parteiprogramm liefern.

 

„Es reicht nicht, sich als Anti-Ampel zu profilieren“, sagt Ralf Fücks, ein Grüner der ersten Stunde, jetzt Chef der Denkfabrik „Zentrum Liberale Moderne“. Auf der Bühne debattiert er mit Merz. Der versucht die Grundsätze der CDU auszubuchstabieren. Dabei geht es viel um eine ganz andere Partei: die AfD – die gerade vom Unmut über die Ampel-Politik mehr profitiert als Merz und seine Partei. „Sie sollten sich davor hüten, das Vokabular der AfD zu übernehmen“, mahnt Fücks.

„AfD darf unseren Sprachraum nicht verstellen“

Merz räumt ein, dass ihn sein umstrittenes Etikett „Sozialtourismus“ für Flüchtlinge „noch heute beschwert“. Auf die „kleinen Paschas“, noch so ein Ausflug in die Sprachwelt der Populisten, wolle er aber nicht verzichten. Es müsse möglich sein, gesellschaftliche Probleme zu formulieren, ohne gleich wegen „AfD-Sprech“ gebrandmarkt zu werden. „Die AfD darf unseren Sprachraum nicht verstellen“, reklamiert er. Fücks kontert: Demokratische Parteien müssten sich davor hüten, „politische Brunnenvergiftung“ zu betreiben und ihre Gegner zu dämonisieren. Eine bürgerliche Partei, so sein Anspruch an die CDU, müsse sich auch um „bürgerlichen Stil“ bemühen. Merz dazu: „Dem Volk aufs Maul zu schauen, ist Demokratie – dem Volk nach dem Maul zu reden, ist Populismus.“ Die CDU könne in ihrem künftigen Programm „nicht nur Gefälligkeiten aufschreiben“, müsse sich vielmehr auch zu Zielen bekennen, die unpopulär sind.

Ein ganz wesentliches hat er mit wenigen Zahlen umrissen: Aktuell fließen ein Drittel der deutschen Wirtschaftskraft in Sozialausgaben. Eine Partei wie die CDU müsse darüber nachdenken, ob das gut so ist, ob es ausreicht – oder ob unter diesen Umständen Mittel für andere wichtige Herausforderungen fehlten.

Genau hier zeigt sich auf dem Konvent, dass die Partei auf dem Weg zu einem neuen Programm noch heftige Debatten vor sich hat. Der Arbeitnehmerflügel der Partei ist – sicher nicht ganz unberechtigt - in Sorge, dass es Kräfte in der Partei gibt, die den Sozialstaat erheblich eindampfen wollen. Das wird auf Widerstand stoßen. Auch das hat der Konvent gezeigt. Karl-Josef Laumann, Chef der Christlich-Demokratischen Arbeitnehmerschaft, kündigt an, dass die CDA auf dem nächsten Bundesparteitag einen Antrag mit Sprengkraft einbringen werde: Laumann will, dass sich die Arbeitgeber im Niedriglohn-Bereich verpflichtend an einer Betriebsrente beteiligen müssen. Für Laumann ist das auch ein Weg, das sagt er offen, Menschen mit wenig Einkommen für die CDU zu gewinnen und nicht in die Arme linker Parteien zu treiben.

Mehr Begeisterung beim Klimaschutz

Überhaupt ist der Kampf um neue Wählermilieus ein roter Faden des Konvents. Der junge Podcaster Ruben Giuliano hatte die Partei schon zum Auftakt der Veranstaltung dazu ermuntert, das Thema Klimaschutz mit mehr Engagement und Begeisterung anzugehen. Einen nahm er von seinem Appell bewusst aus. „Der Andi Jung macht das ja schon.“ Tatsächlich müht sich der stellvertretende Parteivorsitzende beharrlich darum, die CDU bei diesem Zukunftsthema sprechfähig zu machen. Und er weiß warum. „Ohne Klimaschutz können wir einpacken, dann brauchen wir bei der nächsten Bundestagswahl gar nicht antreten“, sagt er im Forum des Konvents, das sich mit dem Thema Nachhaltigkeit befasst. „Das Bewahren gehört zum Anspruch der CDU“, sagt er. „Aber wir müssen doch auch den Anspruch haben, zu verbessern, also unseren Nachkommen eine bessere Welt zu hinterlassen.“ Dafür müsse es gelingen, Ökologie, Ökonomie und Sozialpolitik zusammenzubinden. Das beschreibt die Aufgabe des Grundsatzprogramms.

Die CDU ist wieder eine debattenfreudige Partei

So viel ist jedenfalls klar. Die CDU ist wieder eine debattenfreudige Partei. Nach den langen Merkel-Jahren, in denen christdemokratische Regierungspolitik als „alternativlos“ galt, wolle die CDU wieder mehr in Alternativen denken, sagt Generalsekretär Mario Czaja. Dieses muntere Streiten muss Carsten Linnemann, der Chef der Programmkommission, nun weiter moderieren. „Wir müssen die Verzagtheit und Lethargie abgelegen“, sagte er. In einer Zeit des Umbruchs und vielfacher Ungewissheiten sehe er in der Gesellschaft eine große „Sehnsucht nach Halt und Orientierung“.