Markus Rehm, weltbester Prothesen-Weitspringer, macht auch im Schnee eine gute Figur. Wird er bei den Paralympics doppelt antreten?

Markus Rehm spricht von einem Test. Einer Abwechslung auf dem Weg zu neuen Großtaten als Prothesen-Weitspringer. Doch die ersten Ergebnisse deuten auf einen anderen Ausgang dieser Geschichte hin: Der Paralympics-Sieger und Weltrekordhalter im Weitsprung hat Anfang der Woche einen Ausflug in die Welt des Wintersports gemacht – und in Kanada in Big White auf dem Snowboard gleich mal zwei Rennen im North American Cup gewonnen, der Vorstufe zum Weltcup.

 

Wakeboarden und Snowboarden zählen zu Rehms Hobbys

Die echten Profis seien noch ein paar Sekunden schneller, beschwichtigt er: „Ich bin hier der totale Amateur und stelle ständig doofe Fragen.“ Die neuen Kollegen vom deutschen Para-Snowboard-Team haben ihn nicht nur mit einem renntauglichen Brett ausgestattet, sondern auch mit einem neuen Fuß. „Der ist im Sprunggelenk deutlich flexibler“, sagt Rehm. Seine Alltagsprothese oder gar die Sprungfeder, die er als Leichtathlet benötigt, helfen ihm nicht weiter in einem Snowboard-Rennen.

Dass der Weitspringer sofort mithalten kann im Schnee, ist natürlich dennoch beachtlich. Wakeboarden und Snowboarden zählen zu seinen Hobbys – aber auf Anhieb Siege feiern? Er sei ja fit, sagt Rehm, „was die Kraft und die Ausdauer angeht, kann ich gut mithalten“. Ihm fehle es jedoch an der Technik, am Bezug zum Brett. Aber, scherzt er: „Das Beintraining kommt hier auf jeden Fall nicht zu kurz.“

Leichtathletik-Weltverband wertet Prothese als unlauteres Hilfsmittel

Genug von der Leichtathletik hat der 34-Jährige vom TSV Bayer 04 Leverkusen nämlich nicht, auch wenn er im Weitsprung bereits alles gewonnen hat, was es zu gewinnen gibt: Er ist dreimaliger Paralympics-Sieger, fünfmaliger Weltmeister und eben Weltrekordhalter. „Ich will der beste Weitspringer sein, das ist nach wie vor mein Ziel“, sagt Rehm. Und damit meint er nicht bester paralympischer Weitspringer. Da ist er ja seit 2011 ohnehin unangefochtener Dominator. Rehm guckt längst über den Tellerrand zu den olympischen Leichtathleten.

Wenn sie ihn ließen, würde er sich mit ihnen messen, bei Weltmeisterschaften, bei Olympischen Spielen. Doch der Leichtathletik-Weltverband World Athletics wertet seine Prothese als unlauteres Hilfsmittel. Daher bleibt ihm nur der Vergleich via Bestenlisten. Und da hatte er in den vergangenen zwei Jahren die Nase vorn. Bester olympischer Weitspringer 2021 war Olympiasieger Miltiadis Tentoglou mit 8,60 Metern. In diesem Jahr führt der Grieche die Weltjahresbestenliste mit 8,52 Metern an.

Neue Impulse, ein neues Körpergefühl durch das Snowboarden

Rehm steigerte seinen Weltrekord im vergangenen Jahr auf 8,62 Meter und übertrumpfte damit auch den deutschen Rekord (8,54 Meter) von Lutz Dombrowski aus dem Jahr 1980. In diesem Jahr flog Rehm auf 8,66 Meter. Wegen formaler Nickligkeiten wird die Weite allerdings nicht als paralympischer Weltrekord geführt, der Wettbewerb, die Golden Roof Challenge in Innsbruck, war nicht angemeldet beim paralympischen Verband. Die Rekorde der olympischen Athleten, die bei dem Meeting ebenfalls antraten, zählen dagegen alle.

Markus Rehm ärgert sich sehr darüber, er findet, der Verband müsste deutlich professioneller agieren – blickt aber nach vorn. „Ich will diese Weite nächstes Jahr noch mal springen“, sagt er. Das Snowboardfahren soll ihm dabei helfen. „Es tut mir gut, auch mal etwas anderes zu machen. Von anderen Sportarten kann man in der Regel viel mitnehmen.“ Neue Impulse, ein neues Körpergefühl, neue Lust am Training – und in seinem Fall auch Medaillen.

Rehm hält mit den olympischen Springern mit

Wo es für ihn hingehen soll auf Schnee, weiß Rehm noch nicht so genau. Mit seinem Namen ein bisschen Werbung machen für das Para-Snowboarden, so die ursprüngliche Idee. Aber jetzt fährt er so gut – und gewinnt. Es gibt ja auch andere Beispiele: Sprinterin Alexandra Burghardt etwa war im Sommer als Leichtathletin und im Winter als Bob-Anschieberin bei Olympia dabei. Für Rehm also Paralympics 2024 in Paris als Weitspringer und 2026 in Mailand und Cortina d’Ampezzo als Snowboarder? Sein Fokus liege auf dem Sommer, betont Rehm sehr nachdrücklich, der Weitsprung sei sein Job. Aber ausschließen will er es auch nicht: „Wenn ich denken würde, dass etwas nicht möglich ist, wäre das ein Grund, mit dem Sport aufzuhören.“

Als Weitspringer mit Prothese hat Rehm geschafft, was sich vor einigen Jahren niemand vorstellen konnte. Er hält mit den olympischen Springern mit. Und er schließt nicht aus, noch in Reichweite des Weltrekords von Mike Powell (8,95 Meter/1992) zu gelangen. Seine Grenzen auszuloten, war schon immer Rehms Antrieb. Nun eben nicht mehr nur in der Sandgrube, sondern auch auf Schnee.