Ein Mann und eine Frau treffen sich, um ihre speziellen sexuellen Vorlieben miteinander auszuleben. Eine der Verabredungen gerät außer Kontrolle. Jetzt muss das Landgericht entscheiden: Hat es sich um eine Vergewaltigung gehandelt?

Wann endet das Einvernehmen beim Sex, wenn ein Paar Unterwerfungsfantasien auslebt – wenn es also zum Spiel gehört, dass der eine sich über den Willen des anderen hinwegsetzt? Um diese Frage ging es bei einem Prozess vor dem Stuttgarter Landgericht, der am Dienstag damit endete, dass der Vorwurf der Vergewaltigung fallen gelassen und das Verfahren anschließend wegen vorsätzlicher Körperverletzung gegen Zahlung einer Geldstrafe von 3000 Euro eingestellt wurde. „Sie sind noch einmal mit einem blauen Auge davongekommen“, sagte Richter Reiner Skujat an den Angeklagten gewandt. Das Bußgeld bedeutet für ihn ein Monatsgehalt.

 

Das Paar lernt sich auf einer Internet-Plattform kennen

Der Fall hatte sich im Jahr 2019 in Weinstadt abgespielt, also noch deutlich vor Beginn der Coronapandemie. Der Angeklagte und das Opfer lernten sich damals über eine Internet-Plattform kennen, auf der Menschen Gleichgesinnte suchen, um Gewaltfantasien beim Sex auszuleben. Wer in dieser Szene verkehrt, sucht dabei natürlich einen Partner, der auf exakt die gleiche Vorliebe steht – sowohl der Angeklagte als auch seine Partnerin bevorzugen es, wenn der Mann dominiert, Züchtigung inklusive. Der Angeklagte hat die 22-jährige Frau deshalb auch selbstverständlich mit „Hey Schlampe“ angeredet.

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Normalerweise wird bei Paaren mit Hang zu solchen Grenzüberschreitungen wohl ein Code-Wort vereinbart, mit dem jeder der beiden signalisieren kann, wenn er nicht mehr möchte. Ein solches Wort zu vereinbaren, haben der Angeklagte und seine Sex-Partnerin am 14. Dezember 2019 versäumt – und das führte sie schließlich vor Gericht. Als sie ihn damals in seiner Weinstädter Wohnung aufsuchte, kam er nackt aus dem Bad und zwang sie, sich auszuziehen. Dann sollte sie ihn erst oral befriedigen, anschließend drang er in sie ein. Anfangs sei sie noch einverstanden gewesen, sagte die Frau vor Gericht – so wie bei den beiden ersten Treffen, bei denen sie Sex gehabt hatten. Das habe sich aber im Lauf des Geschehens geändert – als er ihr so hart aufs Gesäß schlug, dass sie Blutergüsse davon trug. Offen geäußert hat die Frau ihren Sinneswandel zunächst nicht, sie weinte nur – was er, da er hinter ihr stand, nicht sehen konnte. Später soll er sie ins Gesicht geschlagen haben.

Der Verteidiger spricht von einem Ermittlungsfehler

Der Angeklagte hat vor Gericht den Ablauf des Geschehens bestätigt. Um eine Vergewaltigung habe es sich aber nicht gehandelt, sagte er. Züchtigung habe vielmehr zu ihren Fantasien gehört. Dass er das nachweisen konnte, indem er die WhatsApp-Nachrichten und einen mehrmonatigen Chatverlauf zu den Gerichtsakten gab, ließ den Fall am zweiten Verhandlungstag schon in einem ganz anderen Licht erscheinen als bei der Verlesung der Anklage durch die Staatsanwaltschaft. Die junge Frau hatte den Chatverlauf gelöscht, die Polizei nur bei ihr nach Beweisen gesucht. Hätte die Polizei auch den Angeklagten befragt, wäre es wohl nie zu der Anklage gekommen, weil dann das Vorspiel im Chat von vorneherein bekannt gewesen wäre. Verteidiger Thomas Eschle spricht deshalb von einem Ermittlungsfehler.

Richter Reiner Skujat hatte die 22-jährige Frau am ersten Prozesstag ausführlich befragt. Anders als bei einer Vergewaltigung durch einen Fremden ist bei einer Beziehungstat die Dynamik des Geschehens zwischen beiden Beteiligten von Interesse für die juristische Wertung. Die 22-Jährige bestätigte ihm offen, dass sie dem Angeklagten Fotos vom Geschlechtsverkehr mit anderen Männern geschickt und vom gewaltsamen Verkehr mit anderen geschrieben hatte.

Die Einstellung ist weder ein Schuld- noch ein Freispruch

Bei einem Gespräch außerhalb des Gerichtssaales einigten sich Staatsanwältin, Verteidiger und Richter am Dienstag darauf, den Vorwurf der Vergewaltigung fallen zu lassen. Das Verfahren wegen vorsätzlicher Körperverletzung wurde eingestellt. Das bedeute nicht, dass man der Aussage der Frau keinen Glauben schenke, betonte Skujat. Man könne aber nicht nachweisen, dass es sich um eine Vergewaltigung gehandelt habe. Beide Beteiligten haben ihre Lebensweise inzwischen geändert: Der Angeklagte hat nun eine feste Freundin, die 22-Jährige trifft sich nicht mehr unverbindlich zum Sex.