Kennen Sie Rongorongo? Wenn nicht, ist das keine Bildungslücke. Forscher aus Stuttgart-Hohenheim und Bologna haben erst jetzt das Alter der Schrift der Osterinsel bestimmen können. Ihre Erkenntnisse sind sensationell: Denn Rongorongo ist eine der wenigen unabhängigen Erfindungen der Schrift in der Menschheitsgeschichte.

Wochenend-Magazin: Markus Brauer (mb)

Eine eigene Schrift ist in der Geschichte der Menschheit nur sehr selten erfunden worden. Nun zeigt eine neue Studie, dass dies womöglich an einem völlig unerwarteten Ort geschah - auf der entlegenen Osterinsel im Südostpazifik. Das Schriftsystem, Rongorongo genannt, wurde bisher noch nicht entziffert und unterscheidet sich komplett von allen bekannten Schriften.

 
Verwittert und geheimnisvoll sehen die Moai auf der Osterinsel aus. Sie sind stumme Zeugen einer längst vergangenen Zeit. Foto: dpa/Bernd Kubisch

Rapa Nui und die 887 Moai

Rapa Nui – so der Name, den die polynesischen Ureinwohner Rapanui ihrem Eiland gaben – liegt 3833 Kilometer vor der chilenischen Küste. Sie ist eine der einsamsten Inseln auf dem Globus, bekannt durch seine 887 katalogisierten, geheimnisvollen Steinskulpturen - den Moai.

Eine von vier in Rom untersuchten Holztafeln mit Rongorongo-Inschrift. Foto: Universität Bologna/Silvia Ferrara/Sahra Talamo

Ist Rongorongo vor Ankunft der Europäer entstanden?

Nun hat ein Forscher unter Leitung von Silvia Ferrara und Sahra Talamo von der Universität Bologna in Zusammenarbeit mit Michael Friedrich von der Universität Stuttgart-Hohenheim herausgefunden, dass die Rongorongo möglicherweise bereits vor der Ankunft der ersten europäischen Schiffe auf der Osterinsel im Jahr 1722 entstanden ist.

Das wäre ein direkter Hinweis auf eine unabhängige Erfindung der Schrift. Ihre Studie ist jetzt im Fachmagazin „Scientific Reports“ erschienen.

Vier Holztafeln aus römischem Museum untersucht

An vier der Holztafeln mit Inschriften, die in einem Museum in Rom aufbewahrt werden, haben die Forscher in Bologna Proben entnommen und erstmals eine präzise Radiokarbondatierung durchgeführt. Der Botaniker Michael Friedrich von der Universität Hohenheim analysierte die Baumarten und bestimmte das Alter der Hölzer.

Eine der Tafeln, die sogenannte Échancrée-Tafel, ist deutlich älter als die Ankunft der Europäer. Die übrigen drei werden auf das 19. Jahrhundert taxiert. „Die Échancrée-Tafel besteht aus der Holzart aus der Familie der Steineiben, die auf der Osterinsel nicht heimisch ist. Es könnte sich daher um Treibholz gehandelt haben, das auf der weitgehend entwaldeten Insel intensiv genutzt wurde“, erklärt Friedrich.

Auf einem auf den Osterinseln stehen In Stein geschlagene Moais.  Foto: AP/dpa/Karen Schwartz

Eine der wenigen unabhängigen Schriften in der Geschichte

Die Experten gehen in Anbetracht des Erhaltungszustands der Tafeln nicht davon aus, dass sie wesentlich nach dem Datum beschrieben wurden, als das Holz für die Tafel vorbereitet wurde.

Trotz des noch unklaren Zeitpunkts, wann die Glyphen – also die grafische Darstellung der Schriftzeichen – in die Hölzer eingeritzt wurden, geben sie wichtige Hiweise auf ihre Bedeutung. Die Glyphe unterscheiden sich demnach von allen bekannten Schriften und weisen keine Parallelen auf.

„Rongorongo könnte eine der wenigen unabhängigen Erfindungen der Schrift in der Geschichte der Menschheit darstellen, was die kulturellen Entwicklungen der Bewohner der Osterinsel um eine weitere Ebene bereichert“, resümieren die Wissenschaftler.

Info: Rapa Nui – Osterinsel

Paasch-Eyland
Ihren Namen erhielt die Osterinsel von dem Niederländer Jakob Roggeveen, der im Auftrag der Westindischen Handelskompanie am Ostersonntag, 5. April 1722, mit drei Schiffen dort landete. Er nannte sie Paasch-Eyland (holländisch für Osterinsel) – nach dem Tag ihrer Entdeckung.

Wie kam die Osterinsel in spanischen Besitz?
Der Seefahrer Don Felipe González segelte im Auftrag von Manuel d’Amat i de Junyent, Gouverneur von Chile und Vizekönig von Peru bis zur Magellanstraße (zur Info: Meerenge mit zahlreichen Inseln und Seitenarmen zwischen dem südamerikanischen Festland und der Insel Feuerland) und annektierte nebenbei alles, was ihm vors Schiff lief, für Spanien – u. a. auch Paasch-Eyland. Am 15. November 1770 landete González landete mit dem Linienschiff „San Lorenzo“ und der Fregatte „ Santa Rosalia auf der Osterinsel“, errichtete mehrere Kreuze an markanten Punkten und gab ihr den Namen „San Carlos“ beziehungsweise. „Isla de Pascua“. Am 9. September 1888 annektierte schließlich die Republik Chile das Eiland.

Steckbrief der Osterinsel

Einwohner Laut letzter Volkszählung leben knapp 8000 Menschen auf der Insel. 

Länge 24 Kilometer

Breite 13 Kilometer

Fläche 162,5 Quadratkilometer

Höchster Berg Maunga Terevaka (507,41 Meter)

Hauptort Hanga Roa

Nächstgelegenes bewohntes Eiland Pitcairn im Westen, Entfernung: 2078 Kilometer

Wann wurde die Osterinsel besiedelt?
Neuere DNA-Analysen stützen die Annahme von Thor Heyerdahl. Das Floß aus Balsa-Holz namens „Kon-Tiki“ des norwegischen Wissenschaftlers und Seefahrers war am 28. April 1947 vom peruanischen Marinehafen Callao auf die offene See geschleppt worden und hatte Segel gesetzt. Der Humboldtstrom trieb die „Kon-Tiki“ gen Westen. Heyerdahls Annahme war, dass Ureinwohner aus Südamerika schon lange vor der Ankunft der Europäer nach Polynesien gelangt waren. Der mexikanische Genetiker Andrés Moreno-Estrada wies in DNA-Proben von Menschen auf den Osterinseln und Polynesien Erbgut von Indigenen aus Südamerika nach. Im östlichen Polynesien wurden zwischen 1150 und 1230 die ersten gemeinsamen Nachkommen von Polynesiern und Südamerikanern geboren, wie es in einer 2020 in der Fachzeitschrift „Nature“ veröffentlichten Studie heißt.

Moai Maea
Die kolossalen Steinstatuen der Osterinsel werden auf Rapanui Moai Maea – steinerne Figur - genannt. Der deutsche Missionar und Sprachforscher Pater Sebastian Englert (1888-1969) nummerierte und katalogisierte 638 Statuen. Das „Archaeological Survey and Statue Projekt“ von 1969 bis 1976 ermittelte 887, vermutlich waren es jedoch ursprünglich über 1000. Die monumentalen Moai sind größtenteils aus weichem Tuffstein, der vom Inselvulkans Rano Raraku stammt. Die im statistischen Mittel 4,05 Meter großen und 12,5 Tonnen schweren Statuen sind Bestandteil größerer Zeremonialanlagen, wie sie ähnlich auch aus anderen Bereichen der polynesischen Kultur bekannt sind. Ihr Alter wird auf weniger als 1500 Jahre geschätzt.