In die Jahre gekommen, startet die europäische Trägerrakete Ariane 5 am Freitag zu ihrem letzten Einsatz. Peinlich: Die Nachfolgerin Ariane 6 ist nicht bereit. In die Lücke springen Elon Musk – und deutsche Start-ups.

Korrespondenten: Stefan Brändle (brä)

Europa verstand sich einmal als eine „Weltraummacht“, wie EU-Industriekommissar Thierry Bréton gerne sagte. Zu verdanken hat sie das ihren Trägerraketen, die von Kourou im äquatornahen Überseegebiet Französisch-Guayana starten. Ariane 5 hatte den Abschuss von Satelliten in den letzten 27 Jahren weltweit dominiert – sie war einfach solider und sicherer als die Konkurrenz der USA, Russlands, Chinas oder Indiens.

 

Am Freitag startet das letzte Exemplar der 5. Generation mit einem deutschen Kommunikations- und einem französischen Überwachungssatelliten an Bord. Danach wird in Kourou für wohl mindestens ein Jahr Ruhe einkehren. So banal – andere sagen: katastrophal – es klingt: Die Nachfolgerin Ariane 6 ist nicht bereit.

In der Montagehalle von Les Mureaux (westlich von Paris) stehen die Fließbänder still. Heißlauftests haben noch nicht stattgefunden. Wobei das Problem nicht einmal technischer Natur ist: Der frühere Arianespace-Vorsteher Frédéric d’Allest macht „schwere strategische Fehler“ für den Verzug verantwortlich. Er und andere namhafte Spezialisten läuteten schon vor mehr als zehn Jahren die Alarmglocke: Die Dominanz von Ariane im Satellitengeschäft werde durch neue US-Anbieter wie SpaceX bedroht.

Man hat die Entwicklung verschlafen

Im Elyséepalast, wo die europäische Raumfahrtpolitik faktisch zusammenläuft, verschliefen die Präsidenten Nicolas Sarkozy, François Hollande und zuletzt auch Emmanuel Macron aber die Entwicklung. Ariane hat deshalb laut Ingenieuren einen ungefähr zehnjährigen Rückstand auf die Marktentwicklung eingefahren. Denn der Trend geht heute klar auf die Mikrosatelliten, die es zum Beispiel ermöglichen, den Planeten mit flächendeckendem Internet zu überziehen. Laut einer Studie des tonangebenden Branchenkabinettes Euroconsult werden bis 2031 nicht weniger als 18 500 Minisatelliten (von weniger als 500 Kilos) im Orbit platziert werden. Ariane 6 setzt dagegen auf immer schwerere Himmelskörper von mehren Tonnen Gewicht.

Der Start der ersten Ariane 6 in Kourou war ursprünglich für Juli 2020 programmiert gewesen. Seither wird er ständig aufgeschoben. Jetzt schätzen die unabhängige Experten Mitte 2024. Die Ariane-Group will sich nicht einmal mehr festlegen.

Ein noch krasserer Fehler war es, das Programm der Ariane 5 einzustellen, noch bevor der Ersatz durch Ariane 6 gesichert war. Kein Vergleich zu früher: Als die Ariane 5 im Jahr 1996 erstmals startklar war, gab es noch eine Reserve von 58 Ariane 4-Raketen. Jetzt haben die schlauen Planer in Kourou keine einzige Ariane 5 mehr auf Lager. Die Weltraummacht pausiert.

„Eine Erniedrigung“

Der bisherige Arianespace-Vorsteher, der Franzose André-Hubert Roussel, ist im April in aller Stille ersetzt worden. Doch der Schaden ist nicht wieder gut zu machen: Laut dem Vorsteher der Europäischen Raumfahrtagentur ESA, dem Österreicher Josef Aschbacher, droht Europa für gut ein Jahr seine „Raumfahrt-Souveränität zu verlieren“. Konkret muss die ESA beim US-Konkurrenten SpaceX von Elon Musk anklopfen, um eine Sonde und ein Teleskop ins All zu verfrachten. „Eine Erniedrigung“, befindet das Pariser Blatt Le Monde.

Diese Wissenschaftsmission der ESA ist längst nicht allein betroffen. Das Auftragsheft der Ariane 6 war bisher auf drei Jahre gefüllt mit Aufträgen von Satellitenbetreibern. Doch werden sie der europäischen Trägerrakete treu bleiben, wenn noch nicht mal ein Zeitplan für die Inbetriebnahme besteht? Musks Superrakete Falcon 9 ist, da wiederverwendbar, viel zudem viel günstiger.

Während die Amerikaner, Chinesen und Russen im letzten Jahr über 150 kommerzielle Raketenstarts verzeichneten, kam die Weltraummacht Europa nur noch auf deren fünf. Der Absturz der Kleinrakete Vega C Ende 2022 warf die Europäer im Bereich der leichten Satelliten zusätzlich zurück.

Verständlich, dass in der europäischen Raumfahrt dicke Luft herrscht. Vor allem Berlin und Paris driften in strategischen Fragen auseinander. Süddeutsche Start-ups warten nicht länger, bis sich die schwerfällige, politisch gelenkte Ariane-Group aufrafft, in das lukrative Geschäft mit den Minisatelliten einzusteigen. Die bayrische Firma Isar Aerospace will Ende 2023 in Norwegen erstmals ihre tausend Kilo schwere Kleinstrakete Spectrum testen. Ähnlich weit ist die Rocket Factory Augsburg. HyImpulse in der Nähe von Stuttgart will 2024 folgen.

Spannungen zwischen Paris und Berlin nehmen zu

In Paris wirft man Deutschland vor, es wende sich von Ariane ab und verzettle seine Kräfte. Berlin kontert, der deutsche Beitrag für ESA bleibe gleich, auch wenn man daneben in Start-ups investiere. Das tut auch die EU-Kommission: Sie fördert europaweit junge, dynamische Unternehmen aus dem Bereich „New Space“. Ariane gilt dagegen in der Branche als „Old Space“.

Die französisch gesteuerte Ariane-Group strebt, wie sie diese Woche verlauten ließ, nun selber Allianzen mit Start-ups an. Darunter sind laut Mitteilung keine deutschen, sondern je ein britisches, spanisches und französisches Unternehmen. Niemand würde es offen sagen, doch die Rückschläge mit Ariane sorgen zwischen den beiden wichtigsten Ariane-Partnern Deutschland und Frankreich für zunehmende Spannungen.