Gabriella und Luigi Deambrosis bekommen ihre kleine Tochter nicht zurück. Seit sieben Jahren kämpft das Paar darum. Ein Gericht hatte das Kind kurz nach der Geburt zur Adoption freigegeben. Schuld war ein Augenblick der Zerstreutheit – und das Alter der Eltern.

Turin - Sie werden sie nicht wiedersehen. Wie schon die vergangenen vier Jahre. Gabriella und Luigi Deambrosis haben den Kampf um ihre heute siebenjährige Tochter verloren. Das Berufungsgericht in Turin hat vergangene Woche entschieden: Die Adoption ist rechtmäßig, das Mädchen bleibt bei seiner neuen Familie. Damit hat das Gericht den Einspruch der Eltern gegen ein vorheriges Urteil zurückgewiesen, das die beiden als nicht fähig erachtete, ihre Tochter zu betreuen. Gabriella ist 63, ihr Mann Luigi 75. Die Medien in Italien haben ihnen schon vor langer Zeit den Namen „Genitori Nonni“ gegeben, die „Großeltern-Eltern“.

 

Wurde ihnen die Tochter entzogen, weil sie zu alt sind? Ein früherer Gerichtsspruch aus dem Jahr 2013, durch den die Adoption der Kleinen erst möglich gemacht wurde, legt das zumindest nahe: Gabriella und der Luigi seien „troppo anziani e sbadati“, zu alt und zu zerstreut, um ein Kind aufzuziehen.

Schuld ist ein Augenblick der Unaufmerksamkeit

Auslöser des sich nun schon über Jahre ziehenden Dramas waren nur wenige Augenblicke. Im Ausland hatten Gabriella und Luigi eine künstliche Befruchtung durchführen lassen und hielten 2010 endlich ihr lang ersehntes Kind in den Armen. Doch wenige Wochen nach der Geburt ihrer Tochter kam es zu einem folgenreichen Vorfall. Vater Luigi ließ die Kleine ein paar Minuten alleine im Auto sitzen. Das Baby begann zu schreien, Nachbarn riefen die Polizei, die Eltern wurden wegen vermutlicher Vernachlässigung Minderjähriger angezeigt, die Tochter in Obhut genommen.

Zunächst war es den Eltern noch erlaubt, ihre Tochter im Beisein eines Sozialarbeiters und außerhalb ihres Hauses zu sehen. Doch 2013 wurde auch diesen Treffen ein juristischer Riegel vorgeschoben. Seitdem haben Gabriella und Luigi ihre Tochter nicht mehr gesehen – obwohl sie inzwischen von den Vorwürfen der Vernachlässigung freigesprochen worden sind. Die Familie, in der ihre Tochter jetzt lebt, kennen sie nicht. „Wir sind Mama und Papa der Kleinen. Versuchen Sie sich doch mal, sich vorzustellen, was es für uns bedeutet, sie nicht mehr zu sehen“, sagte Luigi der Zeitung „Corriere della Sera“.

Das Kind kennt seine leiblichen Eltern gar nicht

Die Hoffnung der Deambrosis, dass jemals ihr Kind wieder bei sich zu Hause zu haben, war im vergangenen Jahr gestiegen: Der italienische Kassationsgerichtshof hatte ihrem Einspruch stattgegeben und betont, dass kein Gesetz eine Altersgrenze für das Zeugen von Kindern ziehe. Das Turiner Gericht müsse neu verhandeln und dürfe diesmal das Alter der Eltern nicht in seine Entscheidung einbeziehen.

Aber nicht erst der Richterspruch vergangene Woche ließ die Hoffnung wieder schwinden. Am 21. Februar wurde im Verfahren der Sorgerechtsbeauftragte des Kindes angehört, der sich dafür aussprach, die Adoption aufrecht zu erhalten. Es habe seine biologischen Eltern so lange Zeit nicht gesehen, so seine Begründung. Dadurch sei im Grunde eine Situation der Vernachlässigung entstanden, wenn auch keine, an der die Eltern Schuld hätten.

Der Gutachter sagte, das Alter der Eltern sei nicht ausschlaggebend

Ein Schlag ins Gesicht. In den Fernsehnachrichten sieht man die beiden fassungslos vor dem Gerichtssaal stehen. „Sie erlauben uns nicht, ihr unsere Liebe zu geben“, ruft Luigi verzweifelt und vergräbt schluchzend das Gesicht in seinen großen Händen. „Sie haben uns keine Zeit gegeben, zu beweisen, dass wir gute Eltern sind“, sagen Gabriella und Luigi später dem „Corriere“. Die Gutachter des Gerichts hätten gesagt, sie seien in Ordnung, sie seien gesund und das Alter zähle dabei nicht. „Ich bin kein Anwalt und ich weiß auch nicht, was man an diesem Punkt noch tun kann. Aber ich weiß, dass wir keine weiße Fahne schwenken werden. Wir werden auch dieses Mal nicht aufgeben, dazu bräuchte es mehr“, sagt Luigi.

Die Eltern wollen nicht aufgeben. Auch dieses Urteil wollen sie anfechten. „Sicher, der Richterspruch hat die Situation des Mädchens und eines möglichen Traumas durch die Trennung der neuen Familien, in der es jetzt lebt, in Betracht gezogen“, sagt Adriana Boscagli, die Anwältin des Ehepaars. „Aber früher oder später wird man ihr erklären müssen, dass ihre Eltern andere Menschen sind und wie es dazu kommen konnte, dass sie von ihnen getrennt wurde. Wir vertrauen in ein Gericht, das mutiger ist, und das die biologischen Eltern als ein Paar ansieht, dass absolut in der Lage ist, für seine Tochter zu sorgen.“

Die rechten Parteien nutzen das Urteil

Derweil nutzen die rechten Parteien in Italien das Urteil von vergangener Woche, um gegen den Trend der italienischen Justiz zu wettern, die in jüngster Zeit einige Adoptions-Urteile im Sinne von homosexuellen Paaren gefällt hat. Damit ist sie der Gesetzgebung schon einen Schritt voraus. Matteo Salvini, Chef der Lega Nord sagte: „Wir haben Richter, die Mama und Papa, Gabriella und Luigi, ihr Kind entziehen, auf der Basis einer falschen Anschuldigung wegen Vernachlässigung und weil sie zu alt seien. Und wir haben Richter, die Adoptionen für rechtens erklären, im Sinne zweier Männer, sie beide „Vater“ nennen von zweien im Ausland von einer Leihmutter geborenen Kindern. Verrückt.“

Späte Mutterschaft

Mutterschaft über 45 ist immer noch eine Seltenheit, Mütter ab 40 aber sind mittlerweile ein Massenphänomen. 2015 hatten in Deutschland 34 000 Neugeborene eine Mama, die zwischen 40 und 44 Jahre alt war. Auch in der Altersgruppe „50 Jahre und älter“ steigt die Zahl der Geburten: 134 Neugeborene hatten 2015 in Deutschland eine Mutter in diesem Alter; im Jahr 2000 waren es erst 23. 2268 Kinder, die 2015 in Deutschland geboren wurden, hatten Mütter, die 45 Jahre oder älter waren. Im Jahr 2000 hatten nur 706 Neugeborene eine Mutter in diesem Alter, wie das Statistische Bundesamt mitteilte.

Im europäischen Vergleich liegt Deutschland beim Thema späte Mutterschaft im Durchschnitt. Bei Müttern über 40 liegen laut der Europäischen Statistikbehörde Italien mit knapp zehn Prozent und Spanien mit knapp neun Prozent vorn. In Deutschland sind es um die fünf Prozent. Viele osteuropäische Staaten haben Werte um drei Prozent.

Vor wenigen Wochen brachte die US-Popsängerin Janet Jackson ihr erstes Kind zur Welt – mit 50 Jahren. Die italienische Rocksängerin Gianna Nannini war sogar 54, als sie zum ersten Mal Mutter wurde. US-Schauspielerin Geena Davis wurde mit 47 Jahren Mutter von Zwillingen. Ihre deutsche Kollegin Ute Lemper war beim zweiten Kind 48, Ex-First-Lady Cherie Blair beim vierten Kind 45 Jahre alt.