Die irische Verfassung weist Frauen einen Platz an Heim und Herd zu. Das will die Regierung jetzt ändern, auch mit einem radikal neuen Familien-Begriff.

Korrespondenten: Peter Nonnenmacher (non)

Am Weltfrauentag am Freitag hatten die Iren Gelegenheit, ihre Verfassung anzupassen. Bis in die Nacht hinein waren die Wahllokale auf der Grünen Insel geöffnet für ein Doppelreferendum zum Konzept der Familie und zur gesellschaftlichen Rolle der Frau. Im Vorfeld war kontrovers diskutiert worden. Konservative fanden, dass die irische Verfassung gar keiner Änderung bedurfte. Progressive Stimmen klagten, die Referendums-Reform bleibe unklar und gehe nicht weit genug.

 

Taoiseach, Regierungschef, Leo Varadkar appellierte an die Nation, den Reformvorschlägen seines Kabinetts zuzustimmen. Es gehe darum, deutlich zu machen, „wofür wir als Gesellschaft stehen“. Einiges an „sehr altbackener, sehr sexistischer Sprache“ und an überholten Konzepten müsse aus der Verfassung verschwinden. Zum Beispiel müsse man den Begriff der Familie künftig weiter fassen. Bisher garantierte die irische Verfassung nur verheirateten Paaren rechtlichen Rückhalt. Auch Unverheiratete in festen Beziehungen sollten als Familienverbände anerkannt werden, so Varadkar. „Und natürlich kann ein Familienoberhaupt zum Beispiel auch ein alleinerziehendes Elternteil oder ein Großelternteil sein.“

Frauen als Heimchen

Noch dringender sei es, jenen antiquierten Verfassungsartikel zu tilgen, der besagt, nur „durch ihr Leben daheim“ lasse eine Frau „dem Staat die Unterstützung zukommen, ohne die es kein Gemeinwohl geben kann“. Der Staat müsse darum „sicher stellen, dass Mütter nicht durch wirtschaftliche Notwendigkeit gezwungen sind, sich auf dem Arbeitsmarkt zu verdingen, auf Kosten einer Vernachlässigung ihrer Pflichten daheim“. Die Suffragette Hanna Sheehy Skeffington sprach bereits 1937 von einem „faschistischen Modell, das Frauen zu permanenter Unterordnung verdammt“.

Lange Zeit wurden Frauen am beruflichen Fortkommen gehindert. Erst mit dem Schwinden des Einflusses der extrem konservativen Katholischen Kirche und weiteren sozialen Umbrüchen begann sich das zu bessern. Der Wandel zeigte sich etwa in der Abschaffung der Verbote von Ehescheidungen und Abtreibungen und der Legalisierung der gleichgeschlechtlichen Ehe. Mehrfach wurde dafür die Verfassung per Volksabstimmung angepasst.

Iren reagieren verunsichert

Mittlerweile kann Irland darauf verweisen, dass es zwei Präsidentinnen hatte, dass die stimmenstärkste Partei Sinn Féin von zwei Frauen geführt wird und der Anteil der Frauen auf Chefposten in der Wirtschaft schneller zunimmt als im Schnitt der EU. Das jetzige Referendum sei „ein weiterer wichtiger Schritt, mit dem wir abrücken vom alten Irland und von dem Platz, den es Frauen zugewiesen hat“, meint Orla O´Connor, die Vorsitzende des Nationalen Frauenrats.

Statt Frauen die Alleinverantwortung für die Familie zuzusprechen, sucht der neue Text diese nun geschlechtsneutral zu verteilen. Dass die Sorge für die Familie reine Privatsache sein soll, hat aber selbst unter Reformern Unmut ausgelöst. „Ich habe kein Problem damit, dass wir Dinge wie die anachronistischen Bemerkungen zu Frauen an Heim und Herd aus der Verfassung streichen“, sagt etwa der unabhängige Senator Tom Clonan. „Aber wir sollten uns gründlich überlegen, was wir stattdessen aufnehmen.“ Auch die Sinn-Féin-Vorsitzende Mary Lou McDonald zögerte mit ihrer Zustimmung. Lieber wäre ihr der Text gewesen, den eine Bürgerversammlung formuliert hatte. Darin ist von Gleichberechtigung die Rede und davon, dass auch der Staat zur Fürsorge verpflichtet sei.

Im Vorfeld des Doppelreferendums waren viele Iren unsicher, wofür oder ob sie überhaupt abstimmen sollten. Ein Drittel der Wählerschaft hatte dazu vorige Woche noch keine abschließende Meinung.