Immer öfter können Windräder oder Solaranlagen nicht in Betrieb gehen, weil die Kapazität des Stromnetzes nicht ausreicht. Das Land will jetzt gegensteuern.

Klima/Nachhaltigkeit : Thomas Faltin (fal)

Weder die Politik noch die Gesellschaft hatten das Problem bisher wirklich im Blick: Auch bei den regionalen Stromnetzen – also nicht nur bei den bundesweiten Übertragungsnetzen wie Südlink – droht ein gewaltiger Flaschenhals. Das könnte sich zu einer realen Gefahr für das Gelingen der Energiewende auswachsen. Denn das Netz muss massiv ertüchtigt und ausgebaut werden. Von zwei bis drei Milliarden Euro an jährlichen Investitionen in Baden-Württemberg ist die Rede – das wäre das Vier- bis Fünffache der Summe, die die 118 Netzbetreiber im Südwesten derzeit aufbringen.

 

Bei einem Netzausbau-Gipfel im Stuttgarter Hospitalhof am Freitag fand Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) sehr deutliche Worte: „Ich erwarte von allen, die beteiligt sind, volle Kraft, damit das Netz kein Nadelöhr wird“, sagte er den anwesenden Vertretern von Netzbetreibern, Kommunen und Lieferunternehmen.

Baden-Württemberg steht noch besser da als andere Bundesländer

Tatsächlich steht Baden-Württemberg im Verhältnis zu anderen Bundesländern noch einigermaßen gut da. Auf einer Karte der Bundesnetzagentur mit kritischen Regionen finden sich im Südwesten „nur“ vier rote Bereiche: die Regionen Stuttgart, Ulm, Mannheim und Ostwürttemberg. Umweltministerin Thekla Walker (Grüne) musste dennoch einräumen, dass es auch im Südwesten Fälle gibt, bei denen Windräder oder Solaranlagen nicht oder nicht sofort angeschlossen werden können, weil die Kapazität des Netzes nicht ausreicht. Das könne zunehmen.

Hintergrund für den dringenden Umbau sind zwei Entwicklungen. Auf der einen Seite müssen die Netzbetreiber immer mehr Windräder und Solaranlagen anschließen, die Strom einspeisen. Auf der anderen Seite sorgen immer mehr Elektroautos und Wärmepumpen dafür, dass der Strombedarf wächst. Dirk Güsewell von den Netzen BW als größtem Verteilnetzbetreiber in Baden-Württemberg geht davon aus, dass 95 Prozent ihrer 300 Umspannwerke „angefasst“ und 50 bis 100 neu gebaut werden müssten. Landesweit müsse ein Großteil der 220 000 Kilometer an Verteilnetzen ertüchtigt werden, ergänzte Michael Homann, der Präsident des Landesverbands für Energie- und Wasserwirtschaft. „Für dieses Verteilnetz hat sich jahrelang niemand interessiert.“

Kretschmann wollte bei dem Gipfel auch hören, wo es Probleme gebe – er bekam viele Antworten. Homann kritisierte die langen Genehmigungsverfahren vor allem im innerstädtischen Bereich. Das Fachpersonal fehle. Und die Unternehmen, die Trafos und alle weiteren Geräte herstellten, hielten bei der Produktion nicht Schritt mit dem Ausbau. Klaus Eder, der Geschäftsführer der Stadtwerke Ulm, ging auch die Bundesnetzagentur an: Deren Vorgaben seien nicht mehr zeitgemäß, die Bürokratie sei zu hoch. Und die Digitalisierung im Netzbereich hinke fünf bis zehn Jahre hinterher.

3000 bis 4000 Euro pro Einwohner kostet der Ausbau bis 2045

Das Land hat jetzt mit allen Beteiligten eine Erklärung unterzeichnet, damit Prozesse besser laufen und mehr Informationen ausgetauscht werden. Thekla Walker will sich daneben beim Bund dafür einsetzen, dass die Netzentgelte solidarischer verteilt werden. Bisher ist es so, dass in ländlichen Gebieten, wo wenig Menschen leben, aber etwa viele Windräder angeschlossen werden, die Netzumbaukosten den Strompreis für die Menschen vor Ort unverhältnismäßig verteuern. In Ostwürttemberg etwa drohe dieses Problem. Da müsse es eine Umlage auf alle geben. Rechnerisch verteuert der Netzausbau allein für Nieder- und Mittelspannung den Strom um 3000 bis 4000 Euro pro Einwohner bis 2045. Daneben forderte die Umweltministerin den Bund auf, Fördergelder für den Netzausbau bereitzustellen, auch damit die Strompreise nicht so stark stiegen.