Am Donnerstag sprach der Friedensnobelpreisträger Kailash Satyarthi in Berlin auf Einladung der Robert-Bosch-Stiftung über seine Motive, sein Denken und über den Nutzen, den er sich von dem Preis erhofft.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Armin Käfer (kä)

Berlin - Inder haben ein weites Herz. „Das ganze Universum ist meine Familie“, lautet eines ihrer Sprichwörter. Kailash Satyarthi hat es sich als Lebensmotto erkoren. Seiner insofern immensen Familie sind mindestens 83 000 Kinder zuzurechnen – jene, die er aus Sklaverei und Zwangsprostitution befreit hat. Vor einer Woche wurde er dafür mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet. Am Donnerstag sprach er in Berlin auf Einladung der Robert-Bosch-Stiftung über seine Motive, sein Denken und über den Nutzen, den er sich von dem Preis erhofft.

 

Jedes Mal, wenn es ihm gelungen sei, ein Kind zu retten und es seiner Mutter in den Schoß setze, komme er sich ein bisschen so vor wie ein Gott, sagt der 60-jährige Aktivist aus Neu-Delhi. Er hält sich aber für einen „sehr gewöhnlichen Menschen“. Das wiederholt er ungefragt. Die afghanische Schülerin Malala Yousafzai, mit der er den Nobelpreis teilt, nennt er einen Star, er selbst sei „einer aus dem Staub“. Sein Anliegen sei eine „Globalisierung des Mitgefühls“. Zufrieden nimmt er davon Notiz, dass seine Stimme nun überall Gehör finde. Welchen Wert der Friedensnobelpreis hat, jenseits der knapp 900 000 Euro, mit der er dotiert ist, umschreibt ein Kollege: der Bengale Muhammad Yunus, der 2006 die gleiche Auszeichnung erhalten hat. Der Nobelpreis verschaffe globale Aufmerksamkeit und Glaubwürdigkeit: „Die Welt nimmt Notiz von Deinem Anliegen.“

Gauck lobt die Bosch-Stiftung

Was haben Menschen wie Yunus und Satyarthi, Mikrokredite und Kinderarbeit mit den Demonstrationen in Leipzig und anderen DDR-Städten vor 25 Jahren zu tun? Und diese wiederum mit der Bosch-Stiftung, die auf einen philanthropischen schwäbischen Unternehmer aus dem 19. Jahrhundert zurückgeht und jetzt ihr 50-jähriges Bestehen feiert? Bundespräsident Joachim Gauck schlägt diesen weiten Bogen. Die Bosch-Stiftung ist für ihn eine mustergültige Institution, Inbegriff bürgerschaftlichen Engagements. Überhaupt seien Stiftungen „Inkubatoren für das Neue, Innovationsmotoren für den Wandel in Staat, Zivilgesellschaft und Wirtschaft“. Der Akt des Stiftens sei „ein Akt des Eigensinns, der Sinn stiftet“.

Eine lebendige Bürgergesellschaft sei „unverzichtbares Korrektiv für Missstände und ein wichtiger Katalysator für Veränderungen“, sagt Gauck. In Zeiten des Wutbürgertums hält er es freilich für notwendig anzumerken, dass er nicht mit jeder Position einverstanden sei, nur weil sie „jenseits von Staat und Markt formuliert“ wurde. Gleichwohl müsse man sich fragen: „Bei welchem verhinderten Großprojekt werden wir in ein, zwei Jahrzehnten vielleicht froh sein, dass es scheiterte? Und von welchem werden wir uns wünschen, es sei durchgesetzt worden?“ Bürgergesellschaft bedeute häufig Protest, aber „nicht immer nur das Gute“, so der Bundespräsident.

Räume des freien Denkens erobern

Satyarthi hingegen ist ein positives Beispiel. Sein Wirken zeige, was „besondere Menschen, aber eben auch keine Übermenschen“ zu bewegen vermögen. „Zivilgesellschaft wächst aus solchem Engagement heraus“, sagt Gauck. Ihre Strukturen seien zerbrechlich, aber manchmal breche sie auch Veränderungen Bahn, die unvorstellbar scheinen – so wie das Engagement der DDR-Bürger vor 25 Jahren. Gauck zieht Vergleiche mit dem neuen Selbstbewusstsein der Zivilgesellschaft in der Ukraine, der Türkei und vielen anderen Ländern, wo die Bürger „Raum des freien Denkens“ eroberten. Nur Diktatoren hätten solche Bürger zu fürchten. Offene Gesellschaften seien auf sie angewiesen. Gauck mahnt, „das Privileg der Freiheit verantwortlich zu nutzen – eigensinnig und doch mit dem Ziel des Gemeinsinns“. Damit ist er wieder bei Robert Bosch angelangt.