Mit einer bewegenden Gedenkfeier hat Rostock an die Opfer der rassistischen Krawalle von Lichtenhagen vor 20 Jahren erinnert – allen voran Bundespräsident Joachim Gauck.

Rostock-Lichtenhagen - Die Fassade ist in Schuss, die Balkone sind in einem freundlichen hellen Gelb gestrichen. Geranien und Fuchsien wachsen über die Geländer hinweg. An manchen Fenstern stehen ältere Hausbewohner und blicken in den Hof hinunter. Alles sieht aus wie in einem der vielen sanierten ostdeutschen Plattenbauviertel. Und doch ist dieser Ort anders.

 

Hier trugen sich vor exakt zwei Jahrzehnten entsetzliche Dinge zu. Seit Sonntag – vielleicht sollte man besser sagen, erst seit Sonntag – gibt es hier, im Rostocker Stadtteil Lichtenhagen, einen Ort der Erinnerung an jene gewalttätigen ausländerfeindlichen Pogrome von August 1992.

Etwa 150 Menschen zumeist vietnamesischer Herkunft entkamen damals bei rassistischen Übergriffen knapp dem Feuertod. Ein neu gepflanzter Baum und eine kleine, unauffällige Gedenktafel mit einem Zitat aus der UN-Menschenrechtscharta erinnern nun an jene Geschehnisse, die als schlimmste fremdenfeindliche Ausschreitungen der deutschen Nachkriegsgeschichte gelten. Auch eine offizielle Entschuldigung der Stadt für das damalige Versagen der Sicherheitskräfte gab es dieser Tage – ebenfalls das erste Mal seit zwanzig Jahren.

Buntes Bürgerfest „Lichtenhagen bewegt sich“

Auf jener Wiese, auf der seinerzeit ein aufgebrachter Mob unter dem Beifall von Anwohnern Brandsätze auf ein von vietnamesischen Vertragsarbeitern bewohntes Gebäude warf, findet zum Jahrestag ein buntes Bürgerfest statt. „Lichtenhagen bewegt sich. Gemeinsam füreinander“, ist auf Plakaten zu lesen. Parteien, Verbände und Bürgerinitiativen haben Stände aufgebaut. 20 Jahre nachdem die Fernsehbilder des brennenden Wohnheims um die Welt gingen, will die Stadt zeigen, dass sie aus der Vergangenheit gelernt hat und dass es ein neues Rostock gibt.

Zur Gedenkveranstaltung ist Bundespräsident Joachim Gauck in seine einstige Heimatstadt gereist, in der er zu DDR-Zeiten als evangelischer Pfarrer arbeitete. In seiner Ansprache nennt er die Ereignisse von damals ein „Brandmal“, das der Hansestadt noch lange anhaften werde. Aus der Erinnerung an die Pogrome erwachse die Verpflichtung, „nicht Gras darüber wachsen zu lassen“. Gauck erinnert daran, dass rechte Gesinnung bereits wenige Jahre nach den Ausschreitungen in Lichtenhagen zu weiteren Opfern geführt habe. Er nennt die Zwickauer Terrorzelle „NSU“. Die Rechtsextremisten hatten 2004, also zwölf Jahre später, in einer Imbissbude in Rostock den türkischstämmigen Mehmet Turgut erschossen. „Wenn Hass entsteht, wird nichts besser, aber alles schlimmer“, sagt Gauck. „Das Wichtigste unseres Gemeinwesens wird dadurch zerstört: Menschenwürde und Solidarität.“

„Ostdeutsche anfälliger für Schwarz-Weiß-Schemata“

Mahnende Worte richtet das Staatsoberhaupt vor allem an die Ostdeutschen – als ein „Hiesiger“, wie Gauck es formuliert. Es lasse sich nicht leugnen, sagt er, dass man Rechtsextremen in Ostdeutschland häufiger begegne. Das liege nicht daran, „dass die Menschen im Osten einen schlechteren Charakter hätten“. Vielmehr seien sie aufgrund ihrer Sozialisation „anfälliger für Schwarz-Weiß-Schemata“. Die DDR sei ein Land gewesen, deren Bürger die Kultur der offenen Bürgerdebatte nicht erlernen konnten. Eine Zivilgesellschaft habe sich dadurch nicht etablieren können.

Hier sehe er aber viel Veränderung. 20 Jahre nach den Ereignissen von Lichtenhagen müsse die Botschaft an alle Rechtsextremisten daher lauten: „Wir fürchten euch nicht. Wo ihr auftretet, werden wir euch im Weg stehen. Unsere Heimat kommt nicht in braune Hände.“ Zudem mahnt der Bundespräsident einen wehrhaften Staat an. Wenn die Demokratie Bestand haben soll, dürfe sie sich „das Gewaltmonopol nicht aus der Hand nehmen lassen“, sagt er vor 3000 Gästen – immer wieder von Störern unterbrochen. Die Demokratie brauche beides: Mutige Bürger, die nicht wegschauen, aber vor allem einen Staat, der fähig ist, Würde und Leben zu schützen. Hunderte Menschen auf der Wiese, auf der einst der Mob tobte, spenden heftigen Applaus.