Es ist eine neue Drohgebärde aus Moskau: Mitten im Krieg ordnet Putin eine Übung seiner Atomstreitkräfte an. In Berlin sieht man dadurch allerdings keine Veränderung der Lage.

Wochenend-Magazin: Markus Brauer (mb)

Mehr als zwei Jahre nach Beginn des Angriffskriegs gegen die Ukraine hat Russland auf Befehl von Präsident Wladimir Putin ein Manöver seiner taktischen Nuklearstreitkräfte angekündigt. Und auch, wenn es keine Hinweise darauf gibt, dass die Raketen im Rahmen der Übung tatsächlich Atomsprengköpfe tragen: Es handelt sich wohl um einen Einschüchterungsversuch der russischen Führung im Kreml, die sich über Gedankenspiele westlicher Politiker über mögliche Truppenentsendungen in die Ukraine ärgert.

 

Moskau will „Einsatz nicht strategischer Atomwaffen“ üben

„Im Zuge der Übung wird eine Reihe von Aktivitäten durchgeführt, um die Vorbereitung und den Einsatz nicht strategischer Atomwaffen zu üben“, teilte das Verteidigungsministerium in Moskau mit. In der Mitteilung war allerdings keine Rede davon, dass bei dem Manöver auch mit Raketen geübt wird, die tatsächlich Atomsprengköpfen tragen. Wann und wo genau die Übung beginnen soll, war zunächst unklar. An der Übung teilnehmen sollen der südliche Wehrbezirk sowie die Seestreitkräfte.

Bereits in der Vergangenheit hatte Russland seine Nuklearstreitkräfte ohne Atomsprengköpfe trainieren lassen. So wurden etwa im Oktober zu Übungs- und Abschreckungszwecken zwei Interkontinentalraketen und mehrere Marschflugkörper abgefeuert.

US-Regierung: Geplante Atom-Übung Russlands unverantwortlich

Die US-Regierung hat das von Russlands Präsidenten Wladimir Putin ankündigte Manöver seiner taktischen Nuklearstreitkräfte scharf kritisiert. „Es ist einfach leichtsinnig und unverantwortlich, wenn der Anführer einer großen Atommacht so mit dem Säbel rasselt, wie er es in Bezug auf den möglichen Einsatz von Atomwaffen tut“, sagte der Kommunikationsdirektor des Nationalen Sicherheitsrats, John Kirby. Trotz dieser „rücksichtslosen Rhetorik“ habe die US-Regierung aber nichts beobachtet, was sie dazu veranlassen würde, ihre strategische Abschreckungshaltung zu ändern.

Berlin sieht keine veränderte Lage

Ein Sprecher des Verteidigungsministeriums in Berlin sagte, dies sei keine veränderte Lage. Von Änderungen in der Bereitschaft der russischen Atomstreitkräfte sei nichts bekannt. Grünen-Chef Omid Nouripour sprach von einer Provokation. Die Rücksichtslosigkeit im Kreml sei groß. Es gehe darum, «uns einzuschüchtern», sagte Nouripour in Berlin.

Weniger nukleare Sprengköpfe, dafür mehr „scharfe“

Die Gesamtzahl der nuklearen Sprengköpfe im Besitz der Atommächte Großbritannien, China, Frankreich, Indien, Israel, Nordkorea, Pakistan, USA und Russland ging laut Stockholmer Friedensforschungsinstitut Sipr zuletzt von 12 710 auf 12 512 zurück. Davon waren demnach 9576 in „militärischem Lagerbestand für potenziellen Gebrauch“.

Sipri unterscheidet bei seinen Recherchen zwischen einsatzbereitem Lagerbestand und Gesamtbestand. Zu Letzterem gehören auch ältere Atomwaffen und solche, die für den Rückbau bestimmt sind. Der Lagerbestand bezeichne die „nutzbaren Atomwaffensprengköpfe und diese Zahlen beginnen leicht zu steigen“. Die Zahl sei aber noch weit entfernt von den mehr als 70 000 während der 1980er Jahre.

Überblick über die Atommächte und ihre atomaren Arsenale 2023:

  • Atomare Sprengköpfe insgesamt: 12.512
  • davon einsetzbar: 3844
  • davon in Reserve: 8668
  • China: 410 atomare Sprengköpfe in Reserve
  • Frankreich: 290 atomare Sprengköpfe
  • davon einsetzbar: 10
  • davon in Reserve: 280
  • Großbritannien: 225 atomare Sprengköpfe
  • davon einsetzbar: 120
  • davon in Reserve: 105
  • Indien: 164 atomare Sprengköpfe in Reserve
  • Israel: 90 atomare Sprengköpfe in Reserve
  • Nordkorea: circa 30 atomare Sprengköpfe in Reserve
  • Pakistan: 170 atomare Sprengköpfe in Reserve
  • Russland: 5889 atomare Sprengköpfe
  • davon einsetzbar: 4215
  • davon in Reserve: 1674
  • USA: 5244 atomare Sprengköpfe
  • davon einsatzbar: 1770
  • davon in Reserve: 3474

Vor allem China rüstet atomar auf

Der Großteil der aktuellen Steigerung ist auf China zurückzuführen, das seinen Lagerbestand von 350 auf 410 Atomwaffensprengköpfe erhöhte. Indien, Pakistan, Nordkorea und in einem geringeren Maße auch Russland erhöhten ebenfalls ihre Lagerbestände, die übrigen Atommächte behielten ihre Zahlen bei.

Russland und die USA verfügen nach wie vor gemeinsam über fast 90 Prozent aller Atomwaffen weltweit.