Der verunglückte Kandidat Samuel Koch schreibt über seinen „Wetten dass . . ?“-Unfall. Die Autobiografie ist die Geschichte eines Helden, der keiner mehr sein will.

Hannover - Es fiel ihm schwer, die richtigen Worte zu finden, als sein Sohn nach dem Unfall erwachte, der ihn vom Hals abwärts gelähmt hatte. „Samuel“, hat Christoph Koch gesagt, „ich würde mit dir tauschen, wenn ich könnte. Du hast dein ganzes Leben noch vor dir.“ Das war im Dezember 2010. Der Informatiker wachte am Bett seines Sohnes auf der Intensivstation. Er wollte den Moment abpassen, in dem Samuel das Bewusstsein wiedererlangte. Er hatte das Auto gesteuert, das seinem Sohn in der ZDF-Show „Wetten, dass . . ?“ das Genick gebrochen hat. Es war eine spektakuläre Wette. In vier Minuten sollte Samuel fünf Autos im Salto überspringen, vom Smart bis zum Geländewagen. Die Autos standen nicht, sie rollten ihm entgegen mit 22 Stundenkilometern.

 

Am Steuer saßen Freunde und sein Vater. Christoph Koch wird später sagen, ihm sei nicht wohl gewesen bei dem Gedanken, dass ihm der eigene Sohn vors Auto springt, doch Samuel habe darauf bestanden, dass er ihn begleitet. So steht es in der Autobiografie, die heute erscheint: „Samuel Koch. Zwei Leben.“ Sie erzählt von einem Jungen, der durch einen TV-Auftritt berühmt werden will. Er verlässt die Bühne tatsächlich als Held, aber ganz anders, als er sich das erträumt hat. Im Rollstuhl. Für die Öffentlichkeit ist er jetzt ein Hoffnungsträger. Einer, der versucht, sich einen Weg zurück in die Normalität zu bahnen, Millimeter für Millimeter.

Schneller geht es nicht, das ist sein Problem. Er sagt: „Ich bin reduziert auf den Menschen, den der Unfall von mir übrig gelassen hat.“ Eingesperrt in einen Körper, den er nicht mehr spüre, angewiesen auf fremde Hilfe, 24 Stunden am Tag. „Einen Pulli anzuziehen, gerät gern mal zur Staatsaktion.“ Er konstatiert das ohne eine Spur von Larmoyanz. Das erleichtert es dem Leser, sich ihm und seiner Diagnose zu nähern. Tetraplegie. Querschnittslähmung.

Er schwärmt noch heute von seiner „Spitzenwette“

Der Journalist Christoph Fasel hat das Buch geschrieben. Wer will, kann es als Parabel auf die Casting-Gesellschaft lesen: Ich werde gesendet, also bin ich. Samuel ist da keine Ausnahme. Thomas Gottschalk schreibt im Vorwort: „Man spürte, dass da einer in dem Medium angekommen war, das für ihn die Zukunft bedeutete.“ Samuel schwärmt noch heute von der „Spitzenwette“ und der Chance, damit auf einen Schlag viel Geld zu verdienen. Es war nicht seine Idee, in der Show aufzutreten. Ein PR-Agent hatte den Deal mit dem ZDF eingefädelt. Er witterte wohl eine Chance, jene Sprungstiefel zu vermarkten, die ihm übermenschliche Kräfte verliehen.

Es gab Probleme im Training. Das ZDF wollte, dass er über größere Autos springt. Und im Gebet mit einem Glaubensbruder hat Samuel vor dem Auftritt eingeräumt, er sei „da in etwas reingeschlittert, wo er nicht sicher war, ob er das auch machen kann.“ Im Buch ist von solchen Zweifeln keine Rede. Samuel sagt, Gott habe bei dieser Wette Regie geführt. So entlastet er alle, die sich fragen müssen, ob sie nicht zumindest eine Mitschuld an seinem Unfall treffe – das ZDF und auch sein eigener Vater.

Er sagt, er habe sich eingeredet, er könne das Programm notfalls auch mit verbundenen Augen schaffen. „Konzentrieren. Stoßgebet. Zeichen geben, Gewicht auf rechten Fuß verlagern, warten, bis das Auto die Markierung überfahren hat, fünf Schritte, einspringen, abspringen, Salto, hinter dem Wagen aufkommen, abfedern, auslaufen, freuen.“

Seinee Schmerzen sind oft unerträglich

Heute schreibt er, es sei ein Wunder, dass er noch nicht durchgedreht sei vor Schmerzen. Er habe manchmal gedacht: „Schade, dass ich kein Pferd bin, dann hätte man mich eingeschläfert.“ Solche Töne passen nicht zu dem Bild, das die Medien von ihm zeichnen. Als er im ZDF-Jahresrückblick „Menschen 2011“ darüber sprechen will, erklärt ihm ein Redakteur: „Samuel, schau, das ist nur Unterhaltung. Da passen schwere Themen nicht rein.“

Samuel Koch will dieser Tage wieder sein Schauspielstudium in Hannover aufnehmen. „Abfinden kann und will ich mich nicht mit meinem Zustand.“ Das ist Samuel. Mal kämpferisch, mal verzagt. Ein lebender Widerspruch, so nennt er sich selber. Das Angebot seines Vaters, mit ihm zu tauschen, hat er natürlich abgelehnt. Die Antwort hat sein Vater noch im Ohr. „Du redest wie ein Blinder von der Farbe.“