Von der Witzfigur zum Kommissar: Matthias Matschke ist ein Glücksfall für die Krimireihe „Helen Dorn“. Am Samstag ist er in einer neuen Folge zu sehen. Antje Hildebrandt porträtiert den Schauspieler.

Stuttgart - Matschke ist schon da. Der mit dem Seitenscheitel. Sitzt da in Anzug und T-Shirt in einem bekannten Café in Berlin-Mitte und guckt Löcher in die Luft. Er ist einer der talentiertesten Komiker Deutschlands. Viele kennen ihn aus dem Fernsehen, und Theatergänger haben ihn vielleicht schon mal in der Berliner Volksbühne, im Quatsch Comedy Club oder in der Wiener Burg gesehen. Aber in diesem Café kann man sich stundenlang mit ihm unterhalten, ohne dass auch nur einer der Gäste am Nebentisch Notiz von ihm nimmt. Dabei ist er jetzt dort angekommen, wo ihn viele sehen können, im Zweiten. Matthias Matschke spielt seit März einen TV-Kommissar. Am Samstagabend ermittelt er zum zweiten Mal zur besten Sendezeit an der Seite der ebenso taffen wie unkonventionellen „Helen Dorn“ (Anna Loos).

 

Gregor Georgi heißt sein Kommissar. Noch ein Ermittler, der Alibis nach Schema F abfragt, denkt man. Doch dann sieht man, mit wie viel Liebe zum Detail er die Figur des Paragrafenhubers entwickelt hat. Eine hochgezogene Augenbraue oder ein tiefes Durchatmen, mehr Gefühle gestattet er ihr nicht. Kleine Fingerzeige nur. Sie müssen reichen, um anzudeuten, wie der Mensch hinter der Fassade tickt. Dieser Kommissar ist kein gewöhnlicher Kommissar. Aber diese Krimireihe ist auch keine gewöhnliche Krimireihe. „Helen Dorn“ ist eine Kampfansage an den „Tatort“, das Flaggschiff des Ersten. Mit der Regie hat das ZDF Matti Geschonneck betraut. Einen Meister des Suspense, einen vielfach preisgekrönten Autorenfilmer. Den Matschke hatte keiner auf dem Schirm, und beim ZDF schaute Geschonneck in ratlose Gesichter, als er sagte, natürlich brauche auch Anna Loos ein männliches Pendant.

Er schlage den Matschke vor, den oder keinen. In Mainz sind sie heute froh, dass sie auf seinen Rat gehört haben, denn die erste Folge von „Helen Dorn“, im März ausgestrahlt, erreichte nicht nur die Rekordquote von acht Millionen Zuschauern. Sie wurde gerade für den Deutschen Fernsehpreis nominiert. Und das ist auch maßgeblich das Verdienst von Matthias Matschke. Ein Mann, dessen Gesicht jeder schon mal irgendwo gesehen hat, der sich aber trotz seiner 46 Jahre noch immer die Frage gefallen lassen muss: „Matthias, wer?“

Der sauertöpfische Bruder von Bastian Pastewka

Dieser Matschke ist ein Glücksfall für den Krimi. Die meisten kennen den Wahl-Berliner ja schon aus der Sitcom „Pastewka“. Da spielt er Hagen, den sauertöpfischen Bruder von Bastian Pastewka. Einen Mann, der immer ein bisschen so guckt, als habe man ihm gerade das letzte Croissant vor der Nase weggeschnappt. Entdeckt hat ihn Anke Engelke vor vierzehn Jahren, bei Dreharbeiten für die Kinokomödie „Liebesluder“ von Detlev Buck. Seine Stimme bekommt einen ehrfürchtigen Unterton, wenn er von der Kollegin spricht, von ihrer Wandlungsfähigkeit schwärmt. Sie sei eben beides: „Eine großartige Schauspielerin und Komikerin.“

Der Kinofilm floppte, dafür fragte ihn Engelke, ob er nicht Lust habe, an ihrem neuen Projekt mitzumachen. Einer Sitcom für Sat 1, „Ladykracher.“ Sein Agent riet ihm ab. „Fernsehen war damals noch bäh“, sagt er und grinst. Doch Matschke hatte Feuer gefangen. Dass er komisch kann, das will der Sohn einer hessischen Religionslehrerin viel früher geahnt haben. Er sagt, mit Loriot habe alles angefangen. „Alle Jungs in meinem Alter, die was auf sich hielten, haben Dr. Klöööbner und Dr. Müller-Lüdenscheidt nachgespielt.“ Man erinnert sich: Zwei Herren mit Seitenscheiteln, die sich nackt in der Wanne wiederfinden und sich um ein Quietsche-Entchen streiten, immer per Sie. Matthias Matschke sieht aus wie einer von ihnen, und man darf das sagen, ohne dass er beleidigt ist. Er sagt: „Ich bin ja auch traurig. Ich bin ein mitunter ganz trauriger Mensch.“ Woher diese Traurigkeit kommt, darüber will er nicht reden. Auch sein Familienleben muss tabu bleiben. Man darf sich Matschke als einen grüblerischen Menschen vorstellen.

Den Regisseur erinnert er an den großen Heinz Rühmann

„Ladykracher“ war sein Sprungbrett. Da passieren ihm Dinge, die Männern normalerweise nicht passieren. Da erlebt man ihn als Lover, der eiskalt abserviert wird. Oder als trotteligen Ehemann und Vater, der noch die absurdesten Erziehungsmethoden seiner besseren Hälfte abnickt. Oder er gibt den Abteilungsleiter, der erschossen wird und so filmreif vom Stuhl fällt, als hätte er sein Leben lang nichts anderes getan. Der Mann als Irrtum der Evolution. Er belegt den berühmten Satz von Loriot, dass Komik ohne Ernst undenkbar sei, weil sie nun mal einer gewissen Fallhöhe bedarf.

In der neuen ZDF-Krimireihe findet er sich in einer Rolle wieder, die man ihm, der Witzfigur, vielleicht nicht zugetraut hätte. Sein Georgi ist der vollendete Bürokrat, loyal bis zur Selbstverleugnung. Und auch in dieser Rolle hat er etwas unfreiwillig Komisches. Denn im Grunde seines Herzen ist dieser Georgi ein kleiner Junge geblieben. Er verbarrikadiert sich hinter Statistiken, um das Grauen der Verbrechen von sich fernzuhalten. Aber es gelingt ihm nicht. Man merkt das daran, wie ihm in „Helen Dorn – Unter Kontrolle“ seine Gattin (Bettina Lamprecht) liebevoll über den Kopf streicht, wenn er zu Hause neben den Töchtern am Tisch sitzt und darüber grübelt, was wohl mit der vierjährigen Tochter des Unternehmers Hans Thomsen (Herbert Knaup) passiert ist, die spurlos verschwunden ist. In der „taz“ stand über ihn, der Georgi sei so fein gearbeitet, dass man erst an ihm sehe, „welch grobe Tischlerarbeiten die meisten Charaktere in deutschen Krimis sind.“ Vielleicht merkt jetzt auch der Rest der Welt, was für ein begnadeter Schauspieler Matschke ist.

Matti Geschonneck hat ihn 2010 für seinen Kinofilm „Boxhagener Platz“ als Stasi-Offizier entdeckt, inzwischen hat er den sechsten Film mit ihm gedreht. Demnächst wird man Matschke auch als zwielichtigen Zeugen in einem Film über die Nürnberger Prozesse sehen. Geschonneck sagt, er erinnere ihn an den großen Heinz Rühmann. „Er hat diese scheinbare Unauffälligkeit, die jederzeit umschlagen kann in Gefährlichkeit.“ Das klingt, als habe die Karriere des Matthias Matschke erst begonnen.