Wegen der steigenden Betriebskosten ist die Schwäbische Tafel zunehmend auf Spenden angewiesen. Schließlich könne man den Kunden keine höheren Preise beim Einkauf zumuten, sagt die Projektleiterin Ingrid Poppe. Die Bedürftigen schauten sorgenvoll in die Zukunft.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Thea Bracht (tab)

Stuttgart. - F

 

rau Poppe, die Verbraucherpreise in Deutschland sind so stark gestiegen wie seit 1992 nicht mehr. Wie merken Sie das bei der Schwäbischen Tafel?

Dass die Energiepreise steigen, merken wir an unseren Betriebskosten, der Transport der Lebensmittel mit Dieselfahrzeugen ist deutlich teurer geworden, hinzu kommen steigende Mietkosten. Wir können die Tafelpreise aber nicht anpassen, sonst können sich Bedürftige selbst den Einkauf bei uns nicht mehr leisten, und das Elend wird noch größer. Mit den Einnahmen können wir also nicht mehr kostendeckend arbeiten, von Investitionen ganz zu schweigen. Ohne Spenden wird es eng im laufenden Betrieb. Und wenn das Dieselprivileg fällt, werden wir für den Lebensmitteltransport künftig deutlich mehr zahlen müssen. Die Stuttgarter Tafel versorgt ja nicht nur die eigenen vier Läden, sondern ist auch Verteilzentrum für 36 weitere, kleine Tafeln in Baden-Württemberg.

Der Preisanstieg bei Lebensmitteln trifft vor allem die Bedürftigen. Ist der Andrang bei Ihnen noch größer geworden?

Wir haben vor allem wegen der Pandemie viele neue Kundenkarten ausgestellt, mit denen bedürftige Menschen bei uns einkaufen können, wenn sie zum Beispiel in Hartz IV gerutscht sind. Aber bevor die Menschen sich bei der Tafel anstellen, vergeht oft ein Jahr, zuerst leben Bedürftige von den Reserven oder bitten Verwandte um Hilfe. Ich rechne deshalb damit, dass das Problem im nächsten Jahr noch akuter wird. Wir merken jetzt schon, wie knapp es für viele am Monatsende wird, da ist der Andrang deutlich größer als am Monatsanfang. Man darf nicht vergessen: Es gibt etwa 66 000 Bedürftige in Stuttgart, die besonders darunter leiden, wenn die Kartoffeln plötzlich zehn Prozent teurer werden.

Zu den steigenden Preisen kommt die vierte Coronawelle. Steigt der Frust bei Ihren Kunden?

Diejenigen, die von der Grundsicherung oder Hartz IV leben, sind eigentlich Krisenprofis, weil sie mit wenig Geld zurechtkommen müssen. Aber die Menschen haben zunehmend Angst um ihre Zukunft, es entsteht eine Nervositäts- und Angstspirale. Die vierte Welle ist eigentlich die schlimmste für die Bevölkerung, weil kein Ende der Pandemie abzusehen ist.

Es gab coronabedingt lange Schlangen vor den Tafelläden. Welche Reaktionen gab es darauf?

Die Armut in Stuttgart ist sichtbar geworden, das hat viele Menschen aufgerüttelt. Wir erfahren unglaublich viel Unterstützung, nicht nur in der Pandemie. Auch weil Firmen im Lockdown waren, haben sich Ehrenamtliche gemeldet. Und statt zu Weihnachten zu wichteln, wird nun für die Tafel gespendet, das hat eher zugenommen. Andererseits ist die Personaldecke zum Beispiel durch die Hochsetzung des Rentenalters dünner geworden – viele sind bei Renteneintritt nicht mehr so fit wie mit Anfang 60 und wollen sich nicht zu viele Ehrenämter zumuten. Und es sind natürlich auch für Unternehmen schlechte Zeiten. Der Handel etwa bestellt vorsichtiger, am Ende bleibt dann bei uns weniger hängen, wir haben deshalb etwa 15 Prozent weniger Lebensmittelspenden. Und das macht sich in der Tüte jedes einzelnen Bedürftigen bemerkbar.