Hans Christoph Binswanger, der Doktorvater des früheren Deutsche-Bank-Chefs Josef Ackermann, kritisiert den Zwang zum Wachstum.

Stuttgart - - Die Zentralbanken fluten die Märkte regelrecht mit Geld, um die Wirtschaft anzukurbeln. Der Schweizer Ökonom Hans Christoph Binswanger hält das für falsch und kritisiert eine „Wachstumsspirale“ aus steigender Geldmenge und wachsender Produktion. Er spricht von einem „Schneeballsystem“ auf Kosten der natürlichen Lebensgrundlagen und plädiert dafür, beim Wachstum einen Gang zurückzuschalten.
Hans Christoph Binswanger Foto: privat
Herr Binswanger, der Zins hat bei Kapitalismuskritikern seit jeher keinen guten Ruf. Er verstärkt den Zwang zum wirtschaftlichen Wachstum und führt zu einer Umverteilung von unten nach oben. Ist es eine gute Nachricht, dass die Europäische Zentralbank (EBZ) die Leitzinsen auf null gesetzt hat?
Ich gehöre nicht zu denen, die generell gegen Zinsen sind. Wenn eine Bank einem Unternehmen Kredit gibt, das damit Investitionen tätigt und am Ende einen Gewinn erzielt, ist es legitim, dass ein Teil des Gewinns in Form von Zinsen an die Bank geht.
Die EZB und andere Zentralbanken haben die Zinsen abgeschafft und wollen so die Kreditvergabe erleichtern, um die Wirtschaft anzukurbeln. Kann das funktionieren?
Niedrige Zinsen sind natürlich ein Vorteil für denjenigen, der sich verschulden will. Sie sind aber ein Nachteil für denjenigen, der Kredite gewährt und für die Sparer – das sind ja nicht nur Reiche, sondern auch Angehörige der Mittelschicht. Das Hauptproblem bei der Abschaffung des Zinses ist aber, dass die Zentralbanken damit die Kontrolle über die Geldschöpfung vollends verloren haben.
Eine allzu große Rolle haben Sie dabei auch vorher nicht mehr gespielt.
Das ist richtig. Der allergrößte Teil der Geldschöpfung läuft schon bisher über die Geschäftsbanken, die aus dem Nichts zusätzliches Geld erzeugen können.
Geld aus dem Nichts – das klingt nach Magie.
Der Vergleich ist nicht so weit hergeholt. Neues Geld entsteht vor allem dadurch, dass eine Privatperson oder ein Unternehmen sich bei seiner Bank verschuldet. Wenn die Bank einen Kredit gewährt, gibt sie dem Kunden kein Bündel mit Banknoten, sondern bucht ihm ein Guthaben auf sein Konto. So entsteht neues Buchgeld, über das der Kunde verfügen kann, und zwar ohne dass dafür ein Guthaben auf einem anderen Konto reduziert wird.
Das neue Geld beruht also letztlich nur auf Schulden.
Genau. Wenn mehr Kredite vergeben als zurückgezahlt werden, vergrößert sich die Geldmenge in der gesamten Volkswirtschaft – und damit auch die Verschuldung. Heute können sich die Banken darauf verlassen, dass ihnen die EZB Geld in beliebiger Menge zinslos zur Verfügung stellt. Dadurch steigt die Geldmenge noch schneller. Früher konnte die EZB die Kreditvergabe zumindest noch etwas steuern, indem sie die Refinanzierung der Geschäftsbanken mit Zentralbankgeld durch Drehen an der Zinsschraube verteuert oder verbilligt hat.