Im Europasaal des Deutschen Bundestags tagen die Untersuchungsausschüsse – vor herrlicher Kulisse.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Armin Käfer (kä)

Berlin - Es ist ein Rätsel in schmutzigem, verschmiertem Gold und düsterem Schwarz. Das Rätsel beginnt schon beim Titel. „Impressionen der automatisierten Abweichung“ hat der Schweizer Künstler Helmut Federle seinen Gemäldezyklus genannt, der seit 15 Jahren die Wände des Europasaals im Paul-Löbe-Haus ziert. Was uns die großformatigen Bilder sagen wollen, wird nicht auf den ersten Blick ersichtlich. Aber sie spiegeln eine Welt, die an die Themen erinnert, die im Europasaal für gewöhnlich verhandelt werden – eine Welt, die nur schemenhaft erkennbar ist.

 

In diesem Saal tagt der Ausschuss für Angelegenheiten der Europäischen Union, daher der Name. Die Zimmernummer lautet ganz schlicht: 4900. Die Vier vornedran steht für die Etagennummer. Hier versammeln sich aber auch die Untersuchungsausschüsse des Deutschen Bundestags. Im Moment gibt es zwei davon: einer kümmert sich um die Spionage amerikanischer Geheimdienste in Deutschland und die Frage, wie bundesdeutsche Sicherheitsbehörden in diese Affäre verwickelt sind; der andere versucht aufzuklären, wie das Bundeskriminalamt (BKA) mit dem Kinderporno-Verdacht gegen den ehemaligen SPD-Abgeordneten Sebastian Edathy umgegangen ist.

Vor dem Bau fließt die Spree

Die beiden Ausschüsse tagen in der Regel mittwochs und donnerstags. Dann herrscht im und um den Europasaal Hochbetrieb. Für sich genommen ist dieser Saal einer der schönsten Plätze im Regierungsviertel. Das liegt weniger an Helmut Federles Gemälden, obwohl dieser Maler auf dem internationalen Kunstmarkt einen guten Namen hat. Seine Werke hängen in London, Paris, Stockholm, New York und Zürich. Schön sind sie gleichwohl nicht zu nennen, zumindest nicht im klassischen Sinne.

Die Schönheit des Saales verdankt dieser den Ausblicken, die sich von der Zuschauertribüne in Richtung Spree eröffnen. Die windet sich vier Stockwerke tiefer an der Glasfassade des Paul-Löbe-Hauses vorbei. Der nach einem verdienten Sozialdemokraten benannte Bau hat 21 Sitzungssäle und 1000 Büros, darunter auch viele baden-württembergischer Abgeordneter. Der Namensparton Paul Löbe hatte im Laufe seines langen Lebens fünf verschiedenen Parlamenten angehört. Er war der Alterspräsident des ersten Deutschen Bundestags. 1967 starb er mit 92 Jahren.

Wenn es voll wird, hilft der Sonderausweis

Der Europasaal ist eine Rotunde, die sich über zwei Stockwerke erstreckt. Auf einer Empore befinden sich 85 Plätze für Journalisten und Besucher. Wenn einer der Untersuchungsausschüsse spannende Zeugen vernimmt, ist der Andrang auch schon mal größer. Dann dürfen nur Personen mit einem Sonderausweis des Bundestags auf die Tribüne. Unten sind in konzentrischen Halbkreisen die Abgeordneten, ihre Mitarbeiter, das Sekretariat des jeweiligen Untersuchungsausschusses und ihnen gegenüber Beamte betroffener Behörden und Ministerien platziert. Die Besucher können ihnen von oben herab beim Protokollieren wichtiger Zeugenaussagen zuschauen - oder auch beim Vespern.

Der Glasfassade zur Spree hin vorgelagert ist ein Balkon, der in Sitzungspausen eifrig von Rauchern frequentiert wird. Gelegentlich gehen da auch Zeugen frische Luft schnappen, wenn sie von den Abgeordneten durch die Mangel gedreht werden. Vor den Toren des Europasaals herrscht an den Sitzungstagen der Untersuchungsausschüsse häufig großes Gedränge. Da geben die Obleute der Fraktionen vor Fernsehkameras ihre Ansichten zum Besten.

Völlig unbeachtet bleiben dann die „Sitze der Macht“. Das sind farbige Polsterbänke, welche die kanadische Künstlerin Angela Bulloch dort installiert hat. Sie wollte damit auf die „problematischen Spannungsverhältnisse von Freiheit und Gesetz“ aufmerksam machen, wie Andreas Kaernbach erklärt, Kurator der Kunstsammlung des Parlaments. Aber an diesem Ort geht es meist um viel profanere Fragen.