Die kleine RTL-Schwester Vox hat Guido Maria Kretschmer als Experten für eine Doku-Soap engagiert hat, die das Potenzial hat, eine Trendwende im Fernsehen auszulösen – weg vom Kochen, hin zum Kaufen.

Stuttgart - Es gibt Dinge, über die kann man mit Guido Maria Kretschmer nicht diskutieren. Rüschen zum Beispiel. Schleifen. Oder Pünktchen. Kretschmer, 47, ist Modedesigner. Mit Uniformen für die Stewardessen von Hapag Lloyd fing er an. Wer ihm heute als Wiedergeburt des Cartoon-Kätzchens „Hello Kitty“ gegenüber tritt, kann sich glücklich schätzen, wenn er nur mit den Augen rollt und nach Luft schnappt, weil ihm zu diesem Outfit nichts, aber auch gar nichts mehr einfällt.

 

Dabei ist der Ästhet Anschläge auf sein Geschmacksempfinden gewohnt, seit ihn die kleine RTL-Schwester Vox Anfang 2012 als Experten für eine Doku-Soap engagiert hat, die das Potenzial hat, eine Trendwende im Fernsehen auszulösen – weg vom Kochen, hin zum Kaufen. „Shopping-Queen“ heißt das neue Sesam-Öffne-Dich für den schwierigen Sendeplatz am Nachmittag. Jede Woche bekommen fünf Frauen 500 Euro in Scheinen, konspirativ verpackt in einem braunen Papierumschlag. Innerhalb von vier Stunden dürfen, nein, müssen sie sich davon neu einkleiden – Klamotten, Schuhe, Accessoires, Haare und Make-up, alles inklusive.

Das klingt nach einem Super-Sonderangebot für Schnäppchenjäger: auf die Grabbeltische, fertig, los! Doch so einfach ist es nicht. Wir sind schließlich im Fernsehen, nicht in einem dieser seelenlosen Textil-Discounter. Die Zuschauer erwarten Bilder von Frauen in Extremsituationen. Trauerklöße in Vorzelten aus fair gehandelter Baumwolle. Vorher-Nachher-Kandidatinnen im Kaufrausch oder am Rande des Nervenzusammenbruchs. So stilisiert das Fernsehen die lästige Suche nach der passenden Hose zur sportlichen Herausforderung hoch. Shoppen als Extremsport, als Crashtest für die Konsumgesellschaft.

Schnell wird die Nase gerümpft

Um einen dramaturgischen Bogen zu spannen, gibt GMK, wie Guido Maria Kretschmer von seinen Anhängerinnen genannt wird, den Mädels ein Motto vor. Picknick zum Beispiel, erstes Date, Klassentreffen oder Roter Teppich. Sie müssen sich passend zu diesem Anlass einkleiden und stylen. Wer gewinnt, entscheiden die Kandidatinnen. Und die können manchmal gnadenlos sein, wenn es darum geht, die Konkurrenz zu kompromittieren. Da wird schon mal die Nase gerümpft, weil „die Farbe der Handtasche eine Nuance von den Schuhen abweicht.“

Das letzte Wort hat aber GMK. Und der wird für seine pointierte Kritik ebenso geliebt wie gefürchtet. Zwar beteuert er, es gehe ihm darum, seinen Klientinnen bei der Selbstfindung zu helfen. „Vermutlich sitzen viele Traumfrauen auf deutschen Sofas, die nur ein bisschen Beratung bräuchten.“ Doch seine Kommentare wiegen umso schwerer, als er sie aus dem Off spricht, wenn auch augenzwinkernd. „Dieser Spitzenkittel in Mutti-Länge ist ein textiles Verhütungsmittel. Wer so etwas trägt, wird nicht schwanger“, ist noch eines der gnädigeren Urteile. Eine textile Instanz, so nennt er sich selber.

Neulich, als das Motto Frühlingsspaziergang lautete, wurde den Frauen auch noch ein Update beim Friseur aufgebrummt. Dabei vermittelten sie gar nicht den Eindruck, als schrien sie nach einer Farb- und Stilberatung. Jessica zum Beispiel, 28, Krankenschwester auf einer Intensivstation, erschien schon perfekt gestylt und frisch erblondet. Doch Shoppen, lehrt Vox die paar Männer, die sich wochentags um 15 Uhr eher aus Versehen in diese Sendung verirren, das ist eben mehr als nur das warme Glücksgefühl, das die Jägerin und Sammlerin durchflutet, wenn sie die im Ausverkauf geschossene 73. Designer-Bluse zu den übrigen 72 Blusen in den Schrank hängen kann. Shoppen, das ist ein Ritual, das zelebriert werden will. Mit Prosecco, Klatsch und Tratsch und außerdem Klamottentausch.

Leider zu viel Schminke

Was vielleicht erklärt, warum sich bislang erst ein einziger Mann als Kandidat beworben hat. Das Motto hieß: kreiere einen Look passend zur Handtasche! Und Patrick aus Köln, „schöne Frisur, toller Gürtel, das Make-up ein Touch too much“ (Kretschmer) schlug sich souverän. Er wurde Shopping King. Im türkischen Fernsehen, dort, wo das Format unter dem treffenderen Namen „Shopping Monsters“ erstmals erprobt wurde, wäre das undenkbar. Der Mann als emanzipierter Konsument, der einkaufen nicht als Todesstrafe, sondern als Belohnung empfindet, ist eben ein Produkt der westlichen Konsumgesellschaft.

Bei Vox hat er sich auch schon am Herd bewährt, in der Dokusoap „Das perfekte Dinner“. Die Kochshow, seit einigen Jahren das Aushängeschild des Senders, hat jetzt aber Konkurrenz bekommen. Die „Shopping Queen“ läuft inzwischen so erfolgreich am Nachmittag, dass sie auch schon am Sonntagabend losgelassen wurde – mit den üblichen Verdächtigen, die sonst den Kochlöffel beim „Perfekten Promi-Dinner“ schwingen. Zuletzt erlebten knapp zwei Millionen Zuschauer, wie Katy Karrenbauer, vielen noch bekannt aus der RTL-Knastserie „Unter Gittern“, eine wundersame Verwandlung erfuhr – von der Vogelscheuche zur Venus.

In der werberelevanten Zielgruppe erreichte Vox damit den ersten Platz in der Prime Time, noch vor dem „Tatort“. Es muss eben nicht immer Mord und Totschlag sein, lehrt der Erfolg dieses Formats. Das Elend ist offenbar leichter feindosiert zu ertragen – und sei es in Gestalt einer Puffärmelbluse.

Vox, montags bis freitags, 15 Uhr