Ist San Francisco die Stadt der Zukunft? Zumindest die Unternehmer des Silicon Valley sehen sich als Zukunfts-Macher. Doch manche Menschen in der Stadt kommen trotz dieser Visionen unter die Räder.

Stadtentwicklung & Infrastruktur: Andreas Geldner (age)

USA/Stuttgart - Nur einen Steinwurf von der Hafenpromenade Embarcadero in San Francisco entfernt rückt in der Autodesk Gallery die Zukunft ganz nah. Da ist die Sportwagenstudie für Mercedes-Benz, die wie ein Insekt aussieht, weil der Computer natürliche Wachstumsvorgänge nachempfand. Dort steht der mit Hilfe von Algorithmen konstruierte Lego-Saurier in Echtgröße oder der vom 3-D-Drucker lebensnah kopierte Kopf eines Kindes. „Die Galerie feiert den kreativen Prozess und zeigt, wie Menschen neue Technologien benutzen, um eine bessere Welt zu imaginieren, zu designen und zu schaffen“, steht am Eingang der Ausstellung von Autodesk, einer Firma für Computerdesign.

 

Eine bessere Welt – darunter macht man es in San Francisco nicht. Vom Panoramafenster der Gallery aus hat man einen guten Blick auf die Oakland-Bay-Brücke. Drinnen zeigt ein Modell, wie mit Computerhilfe vor zwei Jahren der erdbebensichere Umbau der Hängebrücke gemeistert wurde, die zweieinhalb Mal so lang ist wie ihre viel berühmtere Schwester Golden Gate Bridge. „Unser Team benützte Ingenieur-, Herstellungs- und Konstruktionsdaten, um fotorealistische, kontextuelle Abbilder der Brücke zu erstellen“, steht an der Vitrine. Algorithmen als Baustein für die Demokratie: das geplante Bauwerk habe sich so gut simulieren lassen, dass es gegen das Vorhaben kaum Einwände gab, heißt es. Die Realität folgt dem Computer – das ist für Andrew Anagnost, Marketingchef von Autodesk, ein unaufhaltsamer Trend. „In sechs bis acht Jahren werden die Dinge radikal anders hergestellt werden als heute“, sagt er. Firmen mit digitaler Expertise würden nicht nur im Internet, sondern auch in der Produktion die Macht übernehmen. Das könnte etwa für deutsche Autohersteller eine Horrorvision werden. Anagnost geht es nicht um das autonome Fahren. Er sagt voraus, dass sich der ganze Herstellungsprozess umkrempeln wird, zuerst bei Premiumautos. „Schon immer haben kleine Firmen maßgeschneiderte Autos gebaut – aber ihre Zahl wird explodieren“, sagt er: „Diese Firmen brauchen keinen der Prozesse mehr, die ein klassischer Autobauer anwendet. Sie haben eine rein digitale Infrastruktur – bei Design, Tests und bei der Produktion mit neuen Materialien. Sie können Autos binnen Monaten auf den Markt bringen, nicht in Jahren.“ Anagnost sagt das so, als parke das erste Auto aus dem 3-D-Drucker um die Ecke.

Für Uber purzeln in San Francisco die Milliarden geradezu

An der Market Street in San Francisco reihen sich die Weltveränderungs-Zentralen aneinander. Think big, in großen Maßstäben denken, ist das Kredo. Nur zehn Taximinuten von Autodesk entfernt liegt das Hauptquartier von Uber. Erst sechs Jahre alt ist der Fahrtenvermittler. Im Frühsommer hat er eine Milliarde Dollar frisches Kapital eingesammelt. Laut „New York Times“ soll in dieser Woche gleich noch einmal eine weitere Milliarde hinzukommen. Damit dürfte Ubers Wert 50 Milliarden Dollar übertreffen. Die Zentrale eines Megakonzerns stellt man sich aber anders vor. Sandwiches in Papiertüten liegen neben den jungen Mitarbeitern, die sich mit ihren Laptops in kleinen, gepolsterten Nischen lümmeln. An eine Bürowand haben Mitarbeiter eine Karikatur zur Begrüßung eines neuen Kollegen gekritzelt. David Plouffe, einst Chefberater im Weißen Haus und 2008 Barack Obamas erfolgreicher – und gnadenlos datensammelnder – Wahlkampfmanager, passt mit T-Shirt und brauner Cordhose ins Ambiente. Wer ihn reden hört, der könnte glauben, als gehe es Uber nicht um Geschäfte, sondern um eine Mission. „Die meisten Städte haben weder den Platz noch das Geld, neue öffentliche Verkehrssysteme zu bauen“, sagt Plouffe. Der Ex-Politikberater wischt die Rolle der Politik weg: „Auch für den Straßenbau reicht es nicht. Mathe ist Mathe.“ Uber könne das ändern. „Wir haben eine begeisternde Vision: Wir machen die Städte lebenswert , weil wir die Zahl der Autos senken“, sagt er: „Wir verändern sogar das menschliche Verhalten.“ Man rette Menschenleben, weil dank Uber weniger Menschen betrunken Auto fahren.

Auch die Fahrer von Uber leben unter diesem Blickwinkel fast in Utopia: „Wir erlauben es Menschen, ihre Arbeitszeit an ihr Leben anzupassen“, sagt Plouffe zur Möglichkeit, sich auf der Plattform jederzeit ein- und auszuloggen – was im Übrigen das zentrale Argument ist, warum Uber gerade in einem Arbeitsrechtsprozess in Kalifornien klagenden Fahrern den Angestelltenstatus verweigert: „Sie können erst ihre Kinder zur Schule bringen – und dann für uns fahren.“ Man habe kein Problem, Fahrer zu finden. An diese neue, flexible Welt müssten sich Regulierer, Taxiunternehmer und Stadtpolitiker gewöhnen, sagt Plouffe: „Eine Diskussion, wie sich Uber in einen 40 Jahre alten gesetzlichen Rahmen fügt, wird nicht sehr befriedigend sein.“ Doch Uber profitiert von Autos, in die man kein Kapital hineinsteckt. Was ist mit sozialer Verantwortung? Plouffe redet weiter, als habe er die Frage nicht verstanden: „Das ist doch nicht eine Debatte, die unsere Fahrer mit uns führen. Sie wollen Flexibilität und diese nicht verlieren.“

Die Realität der Stadt vor der Tür sieht oft anders aus

Draußen auf der Market Street herrscht das übliche nachmittägliche Verkehrschaos. Da stecken auch Uber-Autos fest. San Francisco ist als Stadt vom Digitalboom nicht reich geworden. Wer in der laut dröhnenden, auf unebenen Gleisen bedrohlich rüttelnden U-Bahn namens BART fährt, der weiß, was Plouffe mit dem fehlenden Geld für den öffentlichen Verkehr meint. Der Vorortzug in Richtung Silicon Valley wird von rußenden Diesellokomotiven gezogen. Die viel befahrene Strecke sollte längst elektrifiziert werden. Inzwischen peilt man 2020 an. Wenn denn der öffentliche Betreiber des Nahverkehrssystems Caltrain das Geld zusammenkratzt.

Deanna Hodgin, eine Journalistin, die im Zuge des digitalen Wandels ihren Beruf an den Nagel hängen musste, und deren Mann selbst im Valley arbeitet, erlebt den Widerspruch jeden Tag. Er wird sichtbar in Gestalt der luxuriösen, am Platz individuell klimatisierten, mit Snackbars und Wifi ausgestatteten Google-Busse für die „Techies“, wie man Mitarbeiter der Digitalbranche nennt. So umgeht der Konzern das öffentliche Verkehrssystem. „Wenn mein Kind auf die Straße treten muss, um zu ihrem vom Google-Vehikel blockierten Bus zu kommen, während die ,Techies‘ mit ihren teuren iPads und Technikspielzeugen gemütlich aussteigen, dann packt mich die Wut“, sagt sie.

Die Kinder müssen wieder zu Hause einziehen

„Die Stadt hatte immer eine reiche und eine arme Seite“, sagt die in der Valley-Stadt San Mateo lebende Louise Yarnall, die ebenfalls einst Journalistin war: „Aber heute siehst du so viel Wohlstand, mehr denn je, und doch gibt es gleichzeitig so viele Obdachlose und so viel Armut. Als normaler Mensch kannst du die Lebenshaltungskosten kaum noch bezahlen.“ Sie arbeitet nun als Sozialwissenschaftlerin für die aus der Universität Stanford hervorgegangenen Forschungsstiftung SRI. Von deren mit Steuergeld geförderten Innovationen haben die Firmen im Silicon Valley profitiert. Das sagen sie nicht laut.

Die beiden Söhne von Yarnall mussten nach dem Studium wieder zu Hause einziehen. Monatsmieten, die in San Mateo für ein Einzimmerapartment bei mehr 2500 Dollar liegen können, sind utopisch. San Francisco und das Valley seien ein miserabler Platz zum Durchstarten, wenn man das außerhalb der Digitalbranche versuche, sagt sie: „Wenn du ein Künstler oder eine junge Familie mit bescheidenem Einkommen bist, dann musst du riesige Abstriche bei der Lebensqualität machen.“ Sie ist dem digitalen Fortschritt gegenüber aufgeschlossen, doch sie weiß aus ihrer täglichen Arbeit, wie wenig Technikfreaks oft das reale Leben wahrnehmen: „Wenn die menschliche Sensibilität fehlt und die Fähigkeit, die Konsequenzen und inneren Widersprüche ihrer technischen Ideen zu sehen, dann spüren wir das in ihren Produkten, ihren Visionen, ihren Organisationen – und am Ende in unserem Leben.“

Deanna Hodgin beschreibt dies mit einem Kalauer: „Woran erkennst du einen ,Techie‘ mit Sozialkompetenz? Wenn der deine Schuhe anschaut – und nicht nur seine eigenen.“ Sie hat aus dem Leben im Technik-Utopia eine Anekdote parat: „Ich habe vor Kurzem gesehen, wie eine Nachbarin im Garten hinter dem Haus ihre Arzneimittel mit einer Drohne geliefert bekam“, erzählt sie: „Ihr ist die Tasche auf den Kopf geknallt!“ Auf dem lokalen Anzeigenportal Craigslist gebe es eine eigene Suchrubrik für verlorene Drohnen: „Mit jedem technischen Fortschritt schaffen wir uns eben neue Probleme.“

Die letzte Phase: Die perfekte Kontrolle des menschlichen Körpers

Elf Gehminuten vom Uber-Hauptquartier entfernt hat die Technikutopie die Endstufe erreicht: Die datengestützte Optimierung des menschlichen Körpers. Fitbit, nach eigener Aussage Weltmarktführer für smarte Sportarmbänder, hat große Pläne. „Vor acht Jahren, als wir gestartet sind, hat Fitness etwas ganz anderes bedeutet“, sagt Finanzchef Edward Scal: „Heute wollen wir nicht Minderheiten erreichen, sondern die Mehrheit.“ Die Menschen sollen den Körper Tag und Nacht vermessen, sich vernetzen und vergleichen: Schritte zählen, vom Computer gesetzte Ziele checken. Sogar die Frage, ob man gut geschlafen hat, beantwortet das smarte Armband.

„Viele denken wir seien nur eine Firma für elektronische Geräte mit einer damit verbundenen App“, sagt Scal: „Doch wir sehen unsere Rolle als viel größer an. Wir existieren, damit Menschen ein gesünderes Leben führen. Wir können dein Verhalten genau verfolgen und können es ändern.“ Aber was ist, wenn Menschen gar nicht so optimiert werden wollen? Scal schaut den Frager an. „Ja, ich weiß, dass das für sie in Deutschland immer ein Thema ist“, sagt er. Weiterverkaufen werde man Daten nie: „Wenn eine Firma einen Wettbewerb startet, welcher Mitarbeiter die meisten Schritte geht, schreiben wir natürlich in unsere Nutzungsbedingungen, dass die Teilnahme nur freiwillig erfolgen darf.“

Dass die hier zitierten Technikvisionäre alle Männer sind, und die Skeptiker zwei Frauen, ist kein Zufall. Besonders in technischen Bereichen sind im Silicon Valley Frauen drastisch unterrepräsentiert. „Wenn ich eine Smartwatch habe, die meine Gesundheitsdaten sammelt, gehe ich dann noch einmal im Jahr zum Arzt?“, fragt Louise Yarnall. Sie sieht für manche Visionäre eine harte Landung voraus: „Ich habe die Internetblase im Jahr 2000 und die Rezession im Jahr 2008 erlebt. Ich habe erlebt, wie meine Karriere als Zeitungsjournalistin implodiert ist. Ich betrachte alles in San Francisco nur als vorübergehend.“ Deanna Hodgin sieht das ebenso: „San Francisco hat so viele Blasen erlebt. Das hat mit dem Goldrausch 1849 angefangen. Die Dinge hier kommen und gehen.“