Schon als Kind hat Manuela Burkart Bäume geliebt. Heute untersucht die Expertin die Sindelfinger Stadtbäume auf ihre Standfestigkeit. Denn Pilzkrankheiten können das Holz morsch und die Bäume damit zu einer Gefahr werden lassen.

Sindelfingen - Sie umkreist ihn. Mit kritischem Blick betrachtet die Baumkontrolleurin Manuela Burkart einen Apfelbaum am Darmsheimer Friedhof. Sie geht einige Schritte zurück, schaut zu seiner Krone hinauf. Sind die Blätter gut ausgebildet und nicht verkrüppelt gewachsen? „Rein optisch sieht er schon einmal vital aus“, urteilt Burkart. Dann nimmt sie den Stamm des Obstgehölzes unter die Lupe. Von oben bis unten und von allen Seiten betrachtet sie ihn, fährt mit der Hand an der Rinde entlang. „Ich schaue, ob es Höhlungen gibt oder Pilzbefall“, erläutert die Expertin. Beides ist nicht der Fall. Dennoch kniet sie sich auch noch hinunter zum sogenannten Stammfuß des Baumes. Nein, auch da sind keine Alarmzeichen wie Pilze oder eine Fäulnis zu erkennen.

 

Der Apfelbaum ist nur einer von 30 000 Bäumen, die der Stadt Sindelfingen gehören. Als Eigentümerin ist sie verpflichtet diese regelmäßig auf ihre Standfestigkeit hin prüfen zu lassen. Dazu hat die Kommune Manuela Burkart als externe Expertin beauftragt. Auch die Kastanie, die jüngst in der Schillerstraße umgestürzt ist und fünf Autos unter sich begraben hat, hatte Burkart überprüft. Ihr Urteil bei der jüngsten Kontrolle: innerhalb der nächsten fünf Wochen sollte die Kastanie gefällt werden. Just zum Fristende stürzte sie aber um.

Krankheiten können auch über die Wurzeln eindringen

Sie war von dem so genannten Brandkrustenpilz befallen, einer gefürchteten Pilzart, erklärt Burkart. Denn diese könne sich durch ihr unscheinbares Äußeres relativ rasch unbemerkt ausbreiten und das Stammholz faulen lassen. Bei der Kastanie wurde er bemerkt. „Aber ich hätte nicht gedacht, dass sie so schnell umfällt.“ Der Pilzbefall sei wahrscheinlich nicht die einzige Ursache gewesen. „Vermutlich wurden beim Bau der Stadthalle die Wurzeln verletzt“ – eine Eintrittspforte für Krankheiten.

„Die Wurzeln sind das Wichtigste für einen Baum“, sagt Dr. Hans-Joachim Schulz, der als Leiter des Regelwerksausschuss der Bonner Forschungsgesellschaft Landschaftsentwicklung Landschaftsbau (FLL) die Baumkontrollrichtlinie mitausgearbeitet hat, nach der Kommunen ihre Bäume überprüfen. Doch gerade auf sie werde, beispielsweise bei Bauarbeiten, oftmals viel zu wenig geachtet. Zwar ließen Wurzelschäden sich mitunter auch an dem Kronenwachstum erkennen. „Aber es kann durchaus auch sein, dass ein Pilz die Wurzeln morsch werden lässt und der Baum oben noch prima aussieht“, sagt der Sachverständige. Ein Restrisiko bleibe daher immer. „Zu 97 Prozent kann der Handlungsbedarf durch Baumkontrollen, die letztlich rein visuelle Prüfungen sind, festgelegt werden.“ Eine absolute Sicherheit gebe es nicht. Und auch wenn es immer tragisch sei, kämen mit 100 bis 150 Menschen, die von umstürzenden Bäumen oder herabfallenden Ästen getroffen würden, vergleichsweise wenige im Jahr zu Tode – gegenüber tausenden Unfall- und Grippetoten, relativiert Schulz die Gefahr.

Mauela Burkart liebte schon als Kind Bäume

Manuela Burkart ist ein Fall wie die Kastanie zuvor noch nie untergekommen. Seit zehn Jahren kontrolliert die 39-Jährige, die Landschaftspflege studiert und sich anschließend zur FLL-zertifizierten Baumkontrolleurin weiter gebildet hat, die Bäume der Stadt Sindelfingen. Daneben überprüft sie auch Waldbestände von Naturschutzverbänden sowie Bäume in privaten Gärten. „Die Liebe zu Bäumen war schon immer da. Bereits als Kind bin ich gerne raufgeklettert“, erzählt sie. „Blühpflanzen haben mich nie so fasziniert.“ Bäume seien eben eigene Persönlichkeiten.

Eine große Persönlichkeit ist auf jeden Fall auch der alte Birnbaum auf dem Darmsheimer Friedhof mit seiner weitausladenden Krone und einem Stammdurchmesser von mehr als einem halben Meter. Er ist einer von etwa 100 Bäumen, die die Expertin an diesem Tag in Augenschein nimmt, und einer der Kandidaten, die engmaschig in Halbjahresabständen kontrolliert werden. Gesunde Jungbäume sind dagegen nur alle vier Jahre an der Reihe. Der Grund: „der Birnbaum hat einen V-Zwiesel, auch kritischer Zwiesel genannt“, sagt Burkart und deutet auf eine Astgabel, von der aus sich schon ein Riss durch den Stamm zieht. „Aber die Kronensicherung, die ich empfohlen habe, ist gemacht worden und der Riss seither auch nicht größer geworden“, stellt die Kontrolleurin fest, während sie ihr Untersuchungsergebnis mit den Daten abgleicht, die in einem kleinen Computer gespeichert sind, den sie bei sich trägt.

Über den Rechner kann sie die Karten des Regiebetriebs Stadtgrün, in denen sämtliche Bäume als verschiedenfarbige Punkte eingezeichnet sind, aufrufen und aktualisieren. „Wenn ich einen Baum kontrolliert habe, dann springt er auf Grün um.“ Auf diese Weise könnten die städtischen Mitarbeiter in Realzeit mitverfolgen, wo sie gerade unterwegs sei. Zudem habe sie immer einen Hammer und einen Meterstab bei sich. Weist ein Baum eine Höhlung auf, dann misst sie mit dem Meterstab aus wie tief sie ist und klopft mit dem Hammer den Stamm nach Faulstellen ab. „Oh, aber an dem Baumloch lassen wir das jetzt lieber. Da drin piept es“, sagt Burkart und schleicht sich mit sachten Schritten von ihrem Untersuchungsobjekt weg. Denn die alte Spechthöhle haben sich Kohlmeisen für die Aufzucht ihrer Jungen ausgesucht. „Man darf nie vergessen, dass ein Baum immer auch ein Biotop für Vögel ist.“