CDU und CSU müssen sich sortieren, und die anderen Partner einer möglichen Jamaika-Koalition müssen warten. Die Sondierung soll erst nach der Niedersachsen-Wahl am 15. Oktober beginnen. Liberale und Grüne nehmen das mit unterschiedlichen Gefühlen auf.

Politik/Baden-Württemberg : Bärbel Krauß (luß)

Berlin - Die Bürger werden noch länger auf eine neue Regierung warten müssen als ohnehin gedacht: Knapp 15 Stunden braucht es, um von Deutschland nach Jamaika zu kommen – wer von Stuttgart fliegt, kommt am schnellsten über den Zwischenstopp Atlanta in die Hauptstadt Kingston. Die politische Reise nach Jamaika, das für ein Bündnis von Union, Grünen und Liberalen steht, dauert dagegen ein Vielfaches länger. Seit sich CDU und CSU wegen des schwachen Wahlergebnisses darauf verständigt haben, vor Mitte Oktober nicht einmal erste Sondierungsgespräche zu führen, ist klar, dass der Weg zur ersten schwarz-grün-gelben Koalition auf Bundesebene noch viel mehr Zeit beanspruchen wird als ohnehin gedacht. „Es muss und wird eine inhaltliche Diskussion zwischen CDU und CSU geben, bevor wir mit anderen Parteien sprechen“, hatte der neue CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt nach der ersten Sitzung der neuen Fraktion am Dienstag bekannt gegeben.

 

„Wir nutzen die Zeit, um uns gut vorzubereiten.“

Zuvor hatten Bundeskanzlerin Angela Merkel und Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer dort intern eingeräumt, dass sie untereinander erst „noch einige Gespräche führen“ müssten, ehe sie die FDP und die Grünen zu offiziellen Gesprächen bitten könnten. Die potenziellen Partner reagieren gelassen.

Zwar müssen die Grünen ihren eigentlich für den 21. Oktober anberaumten Parteitag verschieben, weil die Sondierungsphase sechs Tage nach ihrem Beginn noch nicht beendet sein kann. „Wir verstehen, dass die Union Klärungsbedarf hat. Das ist bei dem Wahlergebnis nachvollziehbar“, sagt Parteichef Cem Özdemir ganz zurückgelehnt im Gespräch mit unserer Zeitung. „Wir Grünen respektieren das und verschieben unseren Parteitag.“ Özdemir ist überzeugt, dass alle Parteien sich für die schwierigen Gespräche ausreichend Zeit nehmen sollten und will die gewonnenen Tage bis zum ersten Zusammentreffen aller potenziellen Koalitionspartner nicht vertrödeln. „Wir nutzen die Zeit, um uns gut vorzubereiten“, betonte der Grünen-Chef.

„Für uns hat die Arbeitsfähigkeit im Parlament Vorrang“

Den Liberalen, die 2013 aus dem Bundestag geflogen ist, kommt es zupass, dass die Union nun unerwartet viel Zeit für ihren internen Beratungsbedarf braucht. Nach vierjähriger Parlamentspause muss die FDP sich für die Arbeit im Bundestag von Grund auf neu organisieren, Mitarbeiter finden, Büros, Bürobedarf, Computer besorgen. „Für uns steht im Vordergrund, die Arbeitsfähigkeit der Fraktion im Parlament herzustellen“, erklärte der baden-württembergische FDP-Chef Michael Theurer. Auch er gibt sich angesichts der Signale der Union gelassen und sieht den Ball im Spielfeld der Kanzlerin. „Wenn wir zu Gesprächen eingeladen werden, werden wir uns nicht verweigern“, sagte er. „Ich habe mir vorgenommen, dabei die Frage ins Zentrum zu stellen, was gut ist für unser Land.“

Der Beschluss der Unions-Schwesterparteien über den späten Start der Sondierung hat Folgen. So wird unter der Hand im Regierungsviertel schon jetzt gemutmaßt, dass die Wahl der Kanzlerin eher erst im Januar wird erfolgen kann als noch vor Weihnachten. Erst danach werden die neuen Minister ernannt werden und die neue Regierung arbeitsfähig sein.

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