Thronfolgerin Leonor de Borbón y Ortiz wird am 31. Oktober 18 Jahre alt und einen Eid auf die Verfassung ablegen. Die mäßig populäre Monarchie Spaniens hat in ihr die stärkste Stütze. Auf ihr späteres Dasein als Königin bereitet sich Leonor mit großer Ernsthaftigkeit vor.

Korrespondenten: Martin Dahms (mda)

Neulich, am Welttag der Geistigen Gesundheit, überraschte Spaniens Königin Letizia das Publikum mit ein paar Zeilen des spanischen Rappers El Chojin: „Ich tue, was ich kann, ich komme so weit, wie ich komme, und es ist nicht gesund für mich, so viel von mir zu verlangen. Die Wut und die kritischen Gesichter, wenn ich bei etwas versage, tun weh . . . Tut mir leid, wenn ich versage. Aber . . . Warum dachten sie, ich würde immer alles richtig machen?“ Wer es hörte war ergriffen, auch El Chojin selbst, der seinen Sprechgesang unerwartet königlich gewürdigt fand.

 

Was aber niemandem einfiel: dass Letizia diesen Text gewählt hatte, weil sie darin ihre eigenen Selbstzweifel ausgedrückt fand – und weil es die richtigen Worte für den weiteren Lebensweg ihrer Tochter Leonor sind.

Eine geborene Königin

Letizia ist eine eingeheiratete Königin, Leonor eine geborene. Am Dienstag, 31. Oktober, wird die Kronprinzessin 18 Jahre alt, also volljährig, und wird vor den versammelten Kammern des spanischen Parlaments einen Eid auf die Verfassung ablegen. Sie wird schwören, ihre „Pflichten gewissenhaft zu erfüllen, die Verfassung und die Gesetze zu achten, die Rechte der Bürger und der Autonomen Gemeinschaften zu respektieren und Seiner Majestät dem König treu zu sein“. Es spricht alles dafür, dass sie diesen Schwur ernst meint. Im Sommer benannte sie bei einem öffentlichen Auftritt im katalanischen Girona die Werte, mit denen sie aufgewachsen sei: „Achtung vor den anderen, Anstrengung, Exzellenz, Streben nach Wissen, Mäßigung, Disziplin, Beharrlichkeit.“ Sie hat sich viel aufgeladen. Gelegentlich wird sie versagen. „Warum dachten sie, ich würde immer alles richtig machen?“, wie es bei El Chojin heißt.

Ein Königshaus ist eine Fassade. Die da draußen bekommen zu sehen, was die da drinnen zu zeigen wünschen, und das ist meistens nur Gutes. Manchmal tun sich feine Risse auf, so wie vor ein paar Jahren, als eine Whatsapp-Nachricht Letizias ans Licht kam, in der sie auf die „scheiß LOC“ – die Sonntagsbeilage einer Madrider Zeitung – schimpfte, oder ein andermal, als Letizia bei einem öffentlichen Fototermin ihre Schwiegermutter Sofía anfauchte.

Skandale im Königshaus

Manchmal tun sich gewaltige Risse auf: als Letizias Schwager Iñaki Urdangarin wegen korrupter Geschäfte zu fünf Jahren und zehn Monaten Haft verurteilt wurde, und erst recht, als ihr Schwiegervater, der alte König Juan Carlos, Geld- und Liebeshändel miteinander vermischte, abdankte und sich schließlich ins Exil nach Abu Dhabi zurückzog. Nichts dergleichen soll Leonor widerfahren. Keine noch so feinen Risse sollen sich auftun.

18 Jahre sind noch nicht besonders viele, um mit bemerkenswerten Fehlern oder Leistungen von sich reden zu machen. Außerdem haben die Eltern, König Felipe VI. und seine Frau Letizia, zugesehen, dass ihre Töchter Leonor und Sofía nur selten ins Licht der Öffentlichkeit kamen. Das hat sich in den letzten Monaten geändert. Leonor ist zur öffentlichen Person geworden. Was die Welt zu sehen bekommt, ist eine gute Prinzessin.

Nach zweijährigem Schulbesuch in einem walisischen Internat spricht sie flüssiges Englisch, ebenso gutes Katalanisch und auch Baskisch und Galizisch, und überhaupt spricht sie für eine bald 18-Jährige mit erstaunlicher – noch nicht perfekter – Sicherheit. In jedem Wort, in jeder Geste, in jedem Blick ist ihr anzumerken, dass sie für den Beruf der Königin erzogen worden ist und dass sie beschlossen hat, diese Herausforderung anzunehmen. Falls sie jemals gegen ihre Eltern oder gegen ihre Rolle rebelliert haben sollte, ist davon keine Spur zurückgeblieben.

Sie nimmt ihre Berufung ernst

Im August begann Leonor eine Ausbildung zur Soldatin, so wie einst ihr Vater und ihr Großvater. Als künftige Königin Spaniens wird sie laut Verfassung den „Oberbefehl über die Streitkräfte“ übernehmen, was symbolisch gemeint ist, aber im Fall der Fälle Bedeutung haben kann: so wie am 23. Februar 1981, als Juan Carlos putschende Militärs erfolgreich in ihre Kasernen zurückbeorderte. Trotzdem ist der auf drei Jahre angesetzte Dienst beim Militär für Leonor keine gesetzliche, sondern eine Ehrenpflicht: ein weiterer, vielleicht der wichtigste Beleg dafür, dass sie ihre Berufung ernst nimmt.

Sie wirft sich für Spanien in den Schlamm, so wie sie sich am Nationalfeiertag im Königspalast huldvoll einem mehr als einstündigen Begrüßungsritual für 2000 Gäste unterzieht. Als dies am 12. Oktober vorbei war, rief ihr ein Kamerad von der Heeresakademie zu: „Wie schön du bist, Borbón!“, worauf ein kurzes, entspanntes Lächeln über ihr Gesicht ging. Entspannung gehört ansonsten nicht zu ihrer Berufsauffassung.

Empfang ohne Großvater Juan Carlos

Laster
Über der ernsthaften Leonor liegt der Schatten ihres lasterhaften Großvaters Juan Carlos. Die Spanier sind keine begeisterten Monarchisten, sie stehen zum Königshaus, solange es gute Arbeit macht. Juan Carlos tat das lange Zeit, er war der Schutzschild der jungen spanischen Demokratie nach dem Ende der Franco-Diktatur, dann ließ er sich gehen. Er liebte das gute Leben, die Frauen – nicht nur seine eigene – und das Geld, wo immer es herkam.

Lektion
Wer ihm die Fehltritte mehr als jeder andere verübelt, ist sein Sohn Felipe. Zum Verfassungseid Leonors und zum anschließenden Empfang im Königspalast ist Juan Carlos nicht geladen, nur danach zu einem familiären Beisammensein. Jaime Peñafiel, der Gottvater des spanischen Königshausjournalismus, nennt das ein „unbeschreibliches und grausames Verhalten“ des Sohnes gegenüber dem Vater. Es lässt sich als Lehre für Leonor interpretieren: Sie mag gelegentlich versagen. Aber bitte nie im Ansehen so tief sinken wie der Großvater.