Als in der Türkei die Erde bebt, starten zwei Beamte eine spontane Spendenaktion. Der Aufruf im Intranet, Geld per Paypal zu schicken, trägt schnell Früchte. Mit einer stattlichen Summe fliegen die zwei in das Erdbebengebiet.

Lokales: Christine Bilger (ceb)

Die Spendenbereitschaft seiner Kolleginnen und Kollegen hat zwei Seiten: Zum einen hat sich Salih Igde gefreut, innerhalb weniger Tage 12 500 Euro bei einer polizeiinternen Sammelaktion in Stuttgart zusammenbekommen zu haben. Zum anderen fühlte er sich mit dem Scheinebündel – umgerechnet rund 250 000 türkische Lira – etwas unwohl, als er mit seinem Karlsruher Kollegen und Freund Mazlum Alagöz kurz nach der Erdbebenkatastrophe in der Türkei und Syrien in das betroffene Gebiet reiste. „Ich hab immer vorsichtig ein kleines Bündel rausgeholt“, berichtet er.

 

Mit zwei Schlafsäcken und dem Spendengeld starten die zwei Polizisten

Alagöz und Igde kennen sich seit der Polizeiausbildung. „Meiner Frau und mir war klar: Man muss hin und etwas tun“, sagt der 29-jährige Stuttgarter Polizist Salih Igde. Zwei Schlafsäcke haben sie gekauft, zwei Tickets gebucht, und dann ging es Mitte Februar los: Von München flogen sie nach Kayseri, mieteten einen Wagen, in dem sie mit den Schlafsäcken auch schlafen wollten. Fünf Stunden fuhren sie von Kayseri noch ins Erdbebengebiet. Die erste Station dort war Adyiaman. „Dort leben Verwandte meines Kollegen“, sagt Igde.

In der Stadt konnten sie nicht viel ausrichten – die Menschen waren geflüchtet und bei Verwandten auf den Dörfern rundherum untergekommen. In den folgenden Tagen machten sie zahlreiche Versorgungsfahrten, mindestens eine pro Tag. „Wir haben versucht, jedes Mal für 30 Familien Lebensmittel und Wäsche zu kaufen.“ Nudeln, Öl und Reis standen auf ihren Einkaufslisten. Aber auch eine große Ladung Kinderschuhe, Kinderkleidung „und ein paar Malbücher gegen die große Langeweile“ haben sie eingepackt auf den Versorgungsfahrten zwischen dem Großmarkt und den Notunterkünften, wo die Menschen eng zusammenrückten. Entweder lebten mehrere Familien auf dem Land in einem kleinen Haus, das stehen geblieben war. Oder die aus den zerstörten Gebieten geflüchteten Menschen kamen in Zeltstädten unter.

„Es war ein richtiges Netzwerk. Das System ist zwar gecrasht in der Gegend, aber es hat alles funktioniert, es gab Nachschub und Verteilstationen“, berichtet der Polizist. So hätten an Straßenecken Paletten mit Trinkwasser gestanden, von denen man in die zu versorgenden Gebiete etwas mitnehmen konnte.

Neben all den Begegnungen mit den Betroffenen haben sie auch einen Eindruck von der Zerstörung durch die Erdbeben bekommen. „Was man im Fernsehen sieht, sind ja nur kleine Ausschnitte. Wenn man durch die Städte fährt, sieht man das ganze Ausmaß“, beschreibt der Stuttgarter mit türkischen Wurzeln. Nach sieben Tagen Verteilaktion ging es zurück nach Kayseri. „Da haben wir zum ersten Mal wieder geduscht und in einem Hotel geschlafen“, sagt Salih Igde. Nach einer Nacht Ausschlafen flogen sie zurück nach Deutschland. Zu Hause angekommen, habe er festgestellt, dass sich bei ihm etwas verändert hat. „Man nimmt kleine Probleme nicht mehr so ernst“, sagt Igde. „Aber das ändert sich auch wieder.“