Erst Aufbauhelfer in Sachsen und Tübinger Regierungspräsident, dann Amtschef des Stuttgarter Staatsministeriums: Hubert Wicker ist einer der profiliertesten Beamten des Landes Baden-Württemberg. Jetzt geht er mit bald 69 Jahren in den Ruhestand.

Stuttgart - Wenn Hubert Wicker am 12. September seinen 69. Geburtstag feiert, wird es Zeit für den Amtschef des Wirtschaftsministeriums, sein Büro im Neuen Schloss zu räumen. Eine bemerkenswerte Beamtenkarriere neigt sich ihrem Ende entgegen. Sie führte den 1948 in Ebingen (heute Albstadt) Geborenen bis an die Spitze der Beamtenschaft des Landes: Mitte 2007 berief ihn der damalige Ministerpräsident Günther Oettinger als beamteten Staatssekretär zum Amtschef des Staatsministeriums, nachdem der Vorgänger Rudolf Böhmler in den Vorstand der Bundesbank gewechselt war.

 

Zehn Jahre ist das her, die Spitze der baden-württembergischen Ministerialbürokratie war damals tatsächlich noch eine Spitze und kein breites Plateau. Seit Gründung der grün-schwarzen Koalition gibt es im Staatsministerium einen beamteten Staatsminister (Klaus-Peter Murawski) sowie zwei beamtete Staatssekretäre (Theresa Schopper, Volker Ratzmann; alle drei sind Grüne). Dazu kommt Martin Jäger (CDU) als beamteter Staatssekretär im Innenministerium. Eine gewisse Barockisierung des Ämterwesens ist unverkennbar.

Die Position des Chefs des Staatsministeriums ist einflussreich, setzt aber das Vermögen heraus, die Strippen im Hintergrund zu ziehen und die eigene Eitelkeit unter Kontrolle zu halten. Soll doch das Licht der Öffentlichkeit auf den Ministerpräsidenten und die ihn umgebende Ministerschar fallen. Hubert Wicker bekam das gut hin, obwohl er zuvor als Tübinger Regierungspräsident von 1997 bis 2006 auch die Sonnenseiten der Macht kennengelernt hatte. Für die Regierungspräsidenten gilt die Faustregel: Je weiter ihr Operationsgebiet von der Landeshauptstadt entfernt liegt, desto sichtbarer werden sie in der Öffentlichkeit, nicht zuletzt als Repräsentanten einer regionalen Identität.

Unerschrockenes Verhältnis zum schwäbischen Idiom

Wicker fand sich glänzend ein, nicht zuletzt dank seines unerschrockenen Verhältnisses zum schwäbischen Idiom, was auch sein Eintreten für den Förderverein Schwäbischer Dialekt begründete. Überhaupt befleißigt sich Wicker eines breiten ehrenamtlichen Engagements, in der Tübinger Museumsgesellschaft genauso wie für die Freunde der Beuroner Erzabtei St. Martin. Aufnahmeanträge der zahlreichen Fördervereine hat er immer zur Hand; er überreicht sie mit einem schwäbischen Charme, der kein Entkommen zulässt.

Als ungekrönter König bereiste der Regierungspräsident Wicker das Oberland, gern von Musikkapellen willkommen geheißen, bis ihn Oettinger 2006 als Amtschef des Finanzministeriums nach Stuttgart holte und ihn im Jahr darauf in die Villa Reitzenstein promovierte. Prägende Jahre hatte Wicker schon vorher durchlaufen: als Aufbauhelfer in Sachsen. Von 1991 bis 1997 war Wicker Amtschef im sächsischen Innenministerium tätig – eine Aufgabe, die er als überaus spannend empfand. „Wir mussten ungeheuer viele und schnelle Entscheidungen treffen, jeden Tag wurde man mit einer neuen Situation konfrontiert; lange nachdenken war nicht möglich“, sagte Wicker in einem Interview dieser Zeitung. Von den sächsischen Mitarbeitern forderte er Vorschläge, Initiativen, Meinungen ein. Doch viele hielten sich bedeckt. „Nur nicht auffallen, nur nicht anecken, nur nichts sagen, was die Vorgesetzten nicht hören wollten – so lautete die Devise.“ Wicker zog daraus die Erkenntnis: „Der Sozialismus hat nicht nur das Land zerstört, sondern auch die Menschen.“

Bockelharter Christdemokrat, unabhängiger Kopf

Spätestens in Dresden lernte Wicker, mit Provisorien umzugehen, diese in Ordnungen zu überführen – mit rascher Entschlusskraft. Außerdem bereicherten die Aufbaujahre im Osten seine Kontaktliste. Wicker war schon Netzwerker, als kaum jemand wusste, was das ist. Wicker ist ein bockelharter Christdemokrat, aber der Jurist definiert Intelligenz nicht nach der Farbe des Parteibuchs, er ist ein unabhängiger Kopf. Er weiß, wie politische Prozesse funktionieren. Gleichwohl nimmt er am Innenleben seiner Partei regen Anteil, mitunter auch in Form von Absprachen in rückwärtigen Zimmern.

Als 2011 Winfried Kretschmann das Zepter in der Villa Reitzenstein übernahm, war klar, dass Wicker weichen muss. Parlamentspräsident Willi Stächele machte ihn zum Landtagsdirektor, nachdem er dessen Vorgänger Ulrich Lochmann rasch aus dem Amt komplimentiert hatte. Wicker konnte einen Gang herunterschalten. Mit Beginn der grün-schwarzen Landesregierung leistete Wicker dann erneut Aufbauarbeit: im wieder selbstständig gewordenen Wirtschaftsministerium unter der neuen Ministerin Nicole Hoffmeister-Kraut (CDU). Nun geht der Umtriebige. Es bleibt noch der Sitz im Tübinger Kreistag. Neuer Amtschef im Wirtschaftsministerium, so ist zu hören, könnte Michael Kleiner werden, bisher Abteilungsleiter für Strategie, Grundsatz, Arbeit und Europa.