Der Tübinger Sportsoziologe Helmut Digel fordert Reformen – und hat Zweifel am Erfolg des Kampfes gegen Doping.

Chef vom Dienst: Tobias Schall (tos)
Stuttgart - Helmut Digel, 66, ist ein Querdenker. Mit seinem kritischen Blick auf die Entwicklung des Sports hat sich der Tübinger Sportsoziologe und Funktionär nicht überall Freunde gemacht. Im Interview erklärt er den Antidopingkampf für gescheitert. "Wir werden dem Problem nicht annähernd gerecht."

Herr Digel, knapp ein Jahr ist die WM in Berlin vorbei. Die Hoffnung auf einen Aufschwung der Leichtathletik war damals groß. Was ist davon geblieben?


Man darf nicht erwarten, dass so ein Großereignis zu einem Boom führt. Was die WM bewirkt hat, ist, dass die Arbeit in den Vereinen erleichtert wurde, die WM stimulierend gewirkt hat und die Kinder kurzfristig Vorbilder gefunden haben.

In der Öffentlichkeit ist die Leichtathletik allerdings schnell wieder verschwunden, obwohl Präsenz ein großes Ziel war.


Das Problem war, dass die nächsten Meetings und Großereignisse nicht im Fernsehen gezeigt wurden und das vielleicht neu interessierte Publikum nicht bedient werden konnte. Letztlich lebt die Leichtathletik von ihren Höhepunkten.

Warum gelingt es nicht, die Sportart länger als eine Woche im Jahr den Zuschauern schmackhaft zu machen?


Die Unterhaltungsinteressen haben sich dramatisch verändert, das junge Publikum ist an kurzweiliger Unterhaltung interessiert, an dramaturgisch inszenierten Wettkämpfen. Wenn wir die Massen erreichen wollen, müssen wird deren Interessen respektieren. Jede einzelne Disziplin muss auf den Prüfstand gestellt werden bezüglich ihrer Präsentation, man muss zum Beispiel auch über eine Begrenzung der Versuche nachdenken. Die Neukonzeption bei der EM mit einer Verkürzung und komprimierten Höhepunkten am Abend ist ein wesentlicher Fortschritt. Die Leichtathletik muss dem Zuschauer eine geschlossene Unterhaltunsgeinheit offerieren. Dies entspricht dem Interesse des Fernsehens.

Die Leichtathletik soll sich dem Diktat des Fernsehens ausliefern?


Die Leichtathletik muss in Sorge sein. Sie funktioniert bei Großereignissen, wenn es um eine nationale Identifikation geht und ein Medaillenspiegel geführt werden kann, Eintagesmeetings funktionieren leider nur noch selten. Wenn man weiter Teil der Unterhaltungsindustrie sein will, braucht man zwingend Reformen. Allerdings muss der Sport im Mittelpunkt stehen.

Zuschauer lockt man auch über Figuren wie Usain Bolt und aberwitzige Rekorde.