Trotz schwerer Kindheit hat Noah Lyles es weit gebracht – er ist der neue Sprintkönig der Leichtathletik. Der Dreifach-Weltmeister von Budapest, der an diesem Donnerstag in Zürich antritt, erinnert auch dank seines Unterhaltungswerts an Usain Bolt. Dessen Rekorde sind seine Messlatte.

Noah Lyles rennt auf den Spuren der Sprintlegende Usain Bolt, dem achtfachen Olympiasieger, elfmaligen Weltmeister und dreifacher Weltrekordler. In Budapest wurde der 26-Jährige aus Florida mit drei Goldmedaillen zum WM-Star. Es waren seine Festspiele.

 

Dieser Noah Lyles bringt alles mit, was auch schon Bolt zu bieten hatte. Auch er steht für schnelle Zeiten, eine große Klappe und hohen Unterhaltungswert. Den 200-Meter-Weltrekord von Usain Bolt (19,19 Sekunden) im Visier, tönte er im Vorfeld der Weltmeisterschaften: „Ich bin hier, um 9,65 und 19,10 Sekunden zu laufen.“ Am Ende waren es eine Bestzeit von 9,83 Sekunden über 100 Meter und 19,52 Sekunden über 200 Meter bei Gegenwind. In Manier der Boxlegende Muhammad Ali schrie er gleich hinter der Ziellinie in den Budapester Nachthimmel: „Ich bin der Größte.“ Und in der Pressekonferenz unterhielt er über 100 Journalisten bestens. „Das war Noah-Lyles-like. Ich danke Gott, dass ich es bin.“

Als Kind hatte Lyles große gesundheitliche Probleme

Dabei war es in seiner Kindheit mit seinem Selbstbewusstsein nicht immer bestens bestellt. Als Kind hatte Lyles große gesundheitliche Probleme. Er kämpfte mit Hustenattacken, hatte Asthma und dadurch auch Probleme bei der Ernährung. Der junge Noah musste teilweise von der Schule zu Hause bleiben, seine Mutter unterrichtete ihn dort selbst, der Sport war kein Thema. Legasthenie und Lernstörungen stehen nicht gerade für eine gute Kindheit. Zudem hatte er Depressionen. Doch er hat die schweren Zeiten überwunden. „Ich bin nicht Noah, ich bin Winboy“, sagte er zu seiner Mutter damals schon. Winboy – ein Gewinnerjunge.

Gina Lückenkemper, das deutsche Sprint-Aushängeschild und Trainingspartnerin von Lyles in der Gruppe von Trainer Lance Brauman in Florida, ist beeindruckt von ihm: „Noah hat einen großen Willen.“ Und ein großes Ego. In den Stadien inszeniert Lyles nach seinen Rennen inzwischen seine eigene Choreografie, die er zuvor im Hotel einstudiert.

Die Arenen dieser Welt sind inzwischen seine Bühne

In Budapest streckte er nach seinem dritten WM-Titel mit der 4x100-Meter-Staffel den kleinen Finger, den Ring- und den Mittelfinger in die Kameras – drei Goldmedaillen für den Sprintkönig! Als erster Athlet seit Bolt 2015 gewann er dieses Tripel, so wie er es zu WM-Beginn vorhergesagt hatte: „Das ist das dritte Gold für mich. Es ist sensationell, fantastisch. Besser kann man es nicht machen.“ Die Arenen dieser Welt sind inzwischen seine Bühne. Der extrovertierte Showmann tritt manchmal mit grauen, fransigen Haaren auf, dann mit Rastalocken, und jetzt in Budapest waren es seitliche Zöpfchen.

Weiter geht es nun an diesem Donnerstagabend beim Diamond-League-Meeting in Zürich. „Lyles ist für uns heute die Überschrift, außergewöhnlich“, sagt Meetingchef Andreas Hediger. Auf der Showbühne in der Mitte des Letzigrund-Stadions rappte der Sprinter 2019 vor 25 000 Zuschauern mal zusammen mit Stabhochspringerin Sandi Morris (USA) und der Band Baba Shrimps den Song „Souvenir“. Zumindest musikalisch ist er an Bolt vorbeigezogen. „Ich bin mehr als Sport“, sagt Lyles über sich selbst.

Er sagt, er habe seinen Weltrekordlauf vorab geträumt

Ebenfalls in Zürich hat er schon mal einen Traum verraten – er habe seinen Weltrekordlauf bereits geträumt und könne sich an die Details noch genau erinnern: „Ich lief auf einer blauen Bahn auf gleicher Höhe mit den Konkurrenten und dann einfach davon.“ Die Zeit auf der Uhr, die er neben der Ziellinie sah: 9,41 Sekunden.

Ist dieser Lyles nur ein Träumer? 1896 wurde die erste Zeit unter 11 Sekunden über 100 Meter registriert, 1960 lief Armin Hary als Erster die 10,0 Sekunden, und 1968 durchbrach Jim Hines die Zehn-Sekunden-Barriere. Seit der WM 2009 in Berlin hält Usain Bolt den Weltrekord mit 9,58 Sekunden. Wie schnell kann ein Mensch überhaupt laufen? 9,4 Sekunden oder gar 9,27 Sekunden, wie der australische Wissenschaftler Jeramy Richmond in seinen Studien errechnet hat? 44,72 Stundenkilometer hat Bolt seinerzeit als Höchstgeschwindigkeit erreicht. Wird Lyles ihn einholen?

100 Meter, die Königsdisziplin der Leichtathletik ist zugleich eine der schillerndsten. Doch immer läuft in weniger als zehn Sekunden ein Dopingschatten mit. Nicht wenige Sprinter haben versucht, ihre Beine mit unerlaubten Mitteln schneller zu machen. Dopingsünder wie Ben Johnson, Dwain Chambers, Tim Montgomery, Justin Gatlin oder Tyson Gay – die Reihe lässt sich weiter fortsetzen. Auch bis ins Finale von Budapest, wo mit Christian Coleman ein amerikanischer Weltmeister von 2019 startete, der nach drei verpassten Dopingtests ein Jahr gesperrt war. Er wurde in 9,92 Sekunden Fünfter – gegen seinen Landsmann Noah Lyles hatte kein Konkurrent eine Chance.